Zweifel an Doktortiteln Rumänien: Trotz Plagiatsvorwürfen weiter regieren
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30. Dezember 2022, 05:00 Uhr
Gegen den rumänischen Premier Nicolae Ciucă stehen seit Monaten Plagiatsvorwürfe im Raum. Konsequenzen gab es bislang keine. Vielmehr soll es der Kommission an den Kragen gehen, die seine Doktorarbeit prüfen soll. Auch ist eine Verjährungsfrist für Plagiate im Gespräch. Das wäre EU-weit einmalig. Regierungschef Ciucă würde zuallererst davon profitieren. Ciucăs Fall erinnert an Ex-Premier Victor Ponta, bei dem es Jahre dauerte, bis ihm wegen seines Plagiats der Doktortitel aberkannt wurde.
Früher nannte man ihn wegen seiner Militäreinsätze den "Wüstengeneral": Nicolae Ciucă befehligte 2003 die rumänischen Truppen in Afghanistan, im Jahr darauf war er im Irak-Krieg. Es waren Einsätze auf dem Schlachtfeld und unter Lebensgefahr, weit weg vom gewöhnlichen Lebensalltag. Dennoch schaffte es Ciucă in dieser Zeit, an der Nationalen Verteidigungsuniversität in Bukarest zu promovieren. Der Titel seiner Doktorarbeit klingt ein wenig hölzern und nach viel theoretischer Analyse: "Die Dimension des Engagements der rumänischen Armee in multinationalen gemeinsamen Operationen". Doch hatte Ciucă bei all seinen Auslandseinsätzen auch Zeit für eine jahrelange wissenschaftliche Quellenrecherche in Archiven und Bibliotheken, wie sie für eine Promotion gang und gebe ist?
Plagiatsjägerin spricht vom Copy & Paste-Prinzip
Emilia Sercan – Rumäniens bekannteste Plagiatsjägerin – hatte da ihre Zweifel. Die 45-jährige Journalistin deckte in den vergangenen Jahren zahlreiche Plagiate hochrangiger rumänischer Politiker und Funktionäre auf – von Ministern, Staatsanwälten bis hin zu Rektoren. Wie sie ihre Auswahl trifft? "Ich schaue mir zunächst an, ob die Doktoranden einen Fulltime-Job haben, bei dem ernsthaftes wissenschaftliches Arbeiten zeitlich gar nicht möglich ist", sagt Sercan im Gespräch mit der MDR-Osteuroparedaktion.
Zu Beginn des Jahres erhob sie erdrückende Plagiatsvorwürfe gegen Nicolae Ciucă, der seit Ende 2021 Rumäniens Regierungschef ist. Im Online-Medium pressone.ro veröffentlichte Sercan alle Textpassagen, die der Premier offenbar aus anderen Dissertationen übernommen hatte. Es fehlten Anführungszeichen oder die korrekte Zuordnung zu den Originalautoren. Bei fast einem Drittel der 138-seitigen Dissertation des Premiers soll es plagiierte Textstellen geben. "Die Doktorarbeit ist nach Copy & Paste-Verfahren entstanden, das war einfach nachzuweisen", sagt Sercan.
Prüfung der Doktorarbeit bislang auf Eis gelegt
Für die Überprüfung von Plagiatsvorwürfen sind in Rumänien seit Jahren nicht die Universitäten sondern die unabhängige Uni-Expertenkommission CNACTDU zuständig – sie ist die einzige Institution, deren Fachurteil bindend ist. Ob es zum Doktortitel-Entzug kommt, entscheidet im Anschluss das Bildungsministerium.
Auch Ciucă selbst hatte versprochen, seine Doktorarbeit prüfen zu lassen und wies im selben Atemzug die Plagiatsvorwürfe zurück. Er habe, so argumentierte er, seine Dissertation vor gut 20 Jahren "im Einklang mit den damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen verfasst".
Rumänien spielt geostrategisch wichtige Rolle
Die CNACTDU-Expertenkommission hätte die Vorwürfe im Eilverfahren prüfen können, immerhin ist ein Premier eine Art Kapitän für das Land, der weitreichende Entscheidung trifft und nicht unter dem Verdacht stehen sollte, geistigen Diebstahl begangen zu haben. Zudem spielt Rumänien als Schwarzmeer-Anrainer seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eine wichtige geostrategische Rolle für die Nato und die EU. Durch das Land laufen Getreide- und Waffenlieferungen aus und für die Ukraine. Neben zahlreichen ukrainischen Flüchtlingen versorgt Rumänien inzwischen zu großen Teilen auch die Republik Moldau mit Strom und Erdgas.
Doch statt einer schnellen Integritätsüberprüfung des Premiers untersagte im Frühjahr das Bukarester Berufungsgericht eine Analyse von Ciucăs Doktorarbeit und begründete, dass andernfalls das Image des Premiers Schaden nehmen könne. Journalisten des Online-Portals g4.media.ro fanden später heraus, dass der Rechtsfall offenbar einem bestimmten Richter zugespielt wurde, der zum Einflusskreis von Ciucăs nationalliberaler Partei gehören soll.
Vergabe von Rechtssachen offenbar manipulierbar
Ist Ciucăs Fall etwa nicht nur eine Plagiatsaffäre sondern auch ein Justizskandal? Hat der Premier womöglich ein ihm genehmes Urteil beim Gericht bestellt? Um eine Einflussnahme auf die Justiz auszuschließen, werden in Rumänien alle Rechtssachen per zufallsgesteuertem System an die Gerichte verteilt. "Es gab in der Vergangenheit immer wieder Fälle, wo jemand sagte, ich helfe dir mit einem befreundeten Richter aus, damit du recht bekommst. Eine solche Einflussnahme sollte mit der zufallsgesteuerten Verteilung ausgeschlossen werden", erzählt der Bukarester IT-Experte Bogdan Manolea im Gespräch mit dem MDR.
Er und 13 andere Nichtregierungsorganisationen fordern Aufklärung darüber, wie die Rechtssache Ciucă verteilt wurde. Sie machten Eingaben, forderten eine justizinterne Prüfung, gingen an die Presse, doch bislang ohne Erfolg. "Vom Justizministerium heißt es bis heute, das System sei supersicher. Dabei haben uns Richter schon kurz nach der Einführung erzählt, wie man das System austricksen und umgehen kann", erzählt Manolea.
Fall Ciucă ähnelt Fall Ponta
Nicolae Ciucă ist nicht der erste Premier in Rumänien, der mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert wird. 2012 schrieb die renommierte Fachzeitschrift "Nature" über den damals amtierenden Premier Victor Ponta, dass er in seiner Dissertation zum Internationalen Strafgerichtshof ganze Textpassagen wortwörtlich aus englischen Publikationen ins Rumänische übersetzt habe, ohne sie als Zitate zu kennzeichnen.
Wie im Fall Ciucă waren auch im Fall Ponta die Beweise erdrückend. Einen Rücktrittsgrund sah Ponta darin nicht, erst nachdem es im Herbst 2015 nach einem verheerenden Brand in einem Bukarester Musikclub mit über 60 Toten zu Massenprotesten gegen seine Regierung kam, konnte er sich nicht mehr auf dem Posten halten. Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten um Pontas Dissertation entschied 2020 das Oberste Gericht – wenig überraschend – dass er in seiner Doktorarbeit plagiiert hatte. Eigentlich sieht das rumänische Gesetz in diesem Fall Geld- oder sogar Haftstrafen vor. Schärfste Konsequenz war bislang jedoch nur der Titelentzug – bei Ponta dauerte es über acht Jahre, bis er ihn abgeben musste.
Doktortitel in Rumänien Promovierte Arbeitnehmer verdienen in Rumänien mehr Gehalt als ihre Kollegen ohne Doktortitel: Der Zuschlag entspricht derzeit 200 Euro monatlich. Allein auf zehn Arbeitsjahre gerechnet, ergibt das ein Mehreinkommen von 24.000 Euro.
CNACTDU prüft Doktorarbeiten noch einmal
Das lange Gezerre um Pontas Plagiat hat der rumänische Philosoph Mircea Dumitru hautnah miterlebt. 2012 ließ er als damaliger Rektor der Universität Bukarest, an der Ponta promoviert hatte, die Vorwürfe prüfen. "Ein Teil meiner Unikollegen forderte damals, dass ich doch besser den Ruf der Universität verteidigen und Gras über die Sache wachsen lasse solle", erzählt Dumitru im Gespräch mit dem MDR. Die Praxis des Vertuschens würden die Universitäten bis heute betreiben, meint Dumitru, der derzeit Interimschef des CNACTDU-Gremiums ist: "Ohne diese Kommission geht es derzeit nicht. Wir sind eine Art doppelter Filter".
Das rumänische Gremium ist EU-weit einmalig: Über 550 Experten prüfen in 35 verschiedenen Fachbereichen jede frisch entstandene Dissertation auf Herz und Nieren, auch wenn die Universitäten sie bereits für gut befunden haben. Gut 50 Plagiate hat das Gremium allein in den vergangenen drei Jahren nachgewiesen. Durch die reihenweisen Enthüllungen ist der rumänische Hochschulstandort in Fachkreisen stark in Verruf geraten – sehr zum Unmut der rumänischen Uni-Rektoren, die die strenge CNACTDU-Kommission am liebsten abschaffen würden. "Man wirft uns vor, dass wir uns als die Moralapostel der Nation aufschwingen. Doch unsere Ergebnisse zeigen, dass unsere Universitäten vorerst noch nicht so weit sind, die Prüfung der Doktorarbeiten alleine vorzunehmen", sagt Dumitru.
Man wirft uns vor, dass wir uns als die Moralapostel der Nation aufschwingen.
Werden Plagiate in Rumänien verjähren dürfen?
Doch könnte es demnächst der Prüfungskommission CNACTDU an den Kragen gehen. Ihre Abschaffung sieht zumindest ein Entwurf des Bildungsministeriums vom Sommer 2022 vor. Auch von einer Verjährung von Plagiaten ist im Entwurf die Rede. Alle rumänischen Doktorarbeiten, die älter als drei Jahre sind, sollen nicht mehr überprüft werden können. Premier Ciucă wäre bei einer solchen Regelung aus dem Schneider. Noch ist unklar, ob der Entwurf in dieser Form im Januar ins Parlament kommt. Bei den Abgeordneten – viele mit Doktortiteln – würde er auf großen Zuspruch stoßen, meint Plagiatsjägerin Emilia Sercan: "Die Betroffenen versuchen alles, um ihre Plagiate zu vertuschen, um nicht dafür zur Verantwortung gezogen zu werden".
Sercan hat in den vergangenen Jahren Morddrohungen erhalten, wurde öffentlich diffamiert und ausspioniert, weil sie ranghohe Beamte in Armee, Polizei, dem Geheimdienst und der Justiz als Plagiatoren enttarnte. Sie denkt nicht daran, damit aufzuhören. Im Gegenteil: Im neuen Jahr will sie Journalistenkollegen anlernen, wie man Plagiate aufdeckt. Über 200 Interessenten gebe es bereits für ihren Kurs, sagt sie. Sercan würde bei ihrer Plagiatsjagd damit bald Verstärkung haben.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 21. November 2021 | 22:00 Uhr