Kampf gegen Vetternwirtschaft und Korruption Wie ein deutscher Bürgermeister eine rumänische Stadt umkrempeln will
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16. Dezember 2020, 16:20 Uhr
Dem 36-jährigen Dominic Fritz ist etwas Großes gelungen: Als erster Ausländer in der Geschichte Rumäniens hat er den Bürgermeisterposten einer rumänischen Großstadt erobert. Für nunmehr vier Jahre wird er die Geschicke von Timișoara leiten, der drittgrößten Stadt des Landes. Und Fritz hat Großes vor: Bürokratie abbauen, Seilschaften aufbrechen, Korruption bekämpfen, mehr Bürgernähe und Transparenz im Rathaus schaffen. Gelingt ihm das, wäre das ein völlig neuer Stil in der rumänischen Kommunalpolitik - eine Revolution, die sich immer mehr Rumänen wünschen.
Die Wahl des 36-jährigen Deutschen Dominic Fritz zum Bürgermeister Ende September war eine faustdicke Überraschung. Auf Anhieb erhielt er 53 Prozent der Stimmen und konnte damit ohne Stichwahl ins Rathaus einziehen. Die rumänischen Medien hatten damit kaum gerechnet – erst als die Ergebnisse feststanden, klingelte bei Fritz andauernd das Telefon, denn plötzlich wollten alle ein Interview haben.
Ein Deutscher soll in Timișoara aufräumen
Die Erwartungen seiner Wähler sind hoch. "Eine seiner Aufgaben ist es, die Haltung der Rathausbeamten gegenüber den Bürgern gründlich zu revidieren und im Interesse des Gemeinwohls zu handeln", sagt eine Passantin in Timișoara. "Die Menschen haben die ortsüblichen Lügen satt", fügt ein Mann hinzu. Man merkt, dass der neue Bürgermeister aus Deutschland für viele Einheimische ein Hoffnungsträger ist.
Denn zur Kommunalwahl im Herbst 2020 war Fritz mit dem Versprechen angetreten, in der Stadt aufzuräumen. Er wolle finanzielles Missmanagement beenden, mehr Umweltschutz und eine Verkehrswende, erzählt der locker wirkende junge Rathauschef. Ein weiteres Ziel: mehr Bürgernähe und Transparenz – ungewöhnlich für Rumänien, wo sich Politiker und Beamte meist hinter Bürokratie und Paragraphen verschanzen und nicht selten die Hand aufhalten, anstatt für die Bürger da zu sein.
Das ist sicher eine große Herausforderung, weil historisch und systemisch die öffentlichen Institutionen hier – und das merke ich auch im Rathaus bei meinen Mitarbeitern – nicht wirklich darauf ausgerichtet sind, Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger zu sein. Das ist sicher etwas, was ich aus Deutschland mitgebracht habe, viel mehr Transparenz zu schaffen, aber eben auch viel mehr Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger, sich an politischen Prozessen hier vor Ort zu beteiligen.
Der gebürtige Schwarzwälder Dominic Fritz studierte Politik und öffentliche Verwaltung in Berlin, war in Deutschland bei den Grünen aktiv und arbeitete als Büroleiter von Alt-Bundespräsident Horst Köhler. 2003 machte er ein Soziales Jahr in einem Waisenhaus nahe Timișoara – so begann seine Faszination für die 300.000-Einwohner-Stadt im Westen Rumäniens, die im Dreiländereck an der Grenze zu Ungarn und Serbien liegt.
Rumänen haben Vetternwirtschaft satt
Es mag wie ein naiver Märchenglaube klingen: Ein Ausländer kommt und wird die Probleme der Stadt lösen, mit denen die Einheimischen seit Jahren nicht fertig werden. Doch Fritz' Wahlsieg ist zugleich Ausdruck eines Trends, der sich im ganzen Land bemerkbar macht: Die Menschen in Rumänien werden immer ungeduldiger mit den Machthabern, die seit Jahren einen autoritären Regierungsstil pflegen – eine Politik voller Geheimniskrämerei, intransparenter Geschäfte, Vetternwirtschaft und Seilschaften. Immer vehementer fordern die Rumänen nun einen transparenten, korruptionsfreien und modernen Staat ein.
Diese Unzufriedenheit schlägt sich in den Wahlergebnissen nieder. Das Zweiparteienbündnis USR-PLUS, mit dessen Unterstützung Fritz angetreten war, konnte bei der Parlamentswahl am 6. Dezember 2020 gegenüber der letzten Wahl vor vier Jahren deutlich zulegen – von 9 auf 15 Prozent – und landete auf Platz drei. Bürgernähe und Korruptionsbekämpfung sind dort Programm.
Ich glaube, immer mehr Rumänen sehen, dass die alten Parteien leider viel zu verfilzt und im Grunde genommen reformunfähig sind.
Bei Dominic Fritz und der USR-PLUS steht außer Korruptionsbekämpfung und Ökologie auch die massive Abwanderung oben auf der Liste. Schätzungsweise vier bis fünf Millionen Rumänen leben bereits im Ausland. Vor allem im Sozial- und Medizinbereich herrscht dadurch ein eklatanter Fachkräftemangel, der während der Corona-Pandemie besonders schmerzhaft ist. In und um Timișoara gebe es keine Intensiv-Betten für Coronapatienten mehr, musste Fritz, der sich sehr bei der Bekämpfung der Pandemie engagiert, schon Mitte November feststellen.
Kulturhauptstadt-Vorbereitungen mangelhaft
Ein weiteres Problem: 2021 sollte Timișoara als Europäische Kulturhauptstadt glänzen – doch die Vorbereitungen dafür waren recht mangelhaft. Nun bekommt Fritz die Chance aufzuholen, denn durch Corona verschiebt sich alles auf 2023.
Ich gebe zu, dass mir das nicht ganz unrecht ist, denn leider wurde das Projekt nicht angemessen vorbereitet. Von daher bin ich froh, noch zwei Jahre zu haben, um alles auf die Beine zu stellen.
Bis dahin wird es sich wahrscheinlich auch herausgestellt haben, ob der Deutsche im Rathaus von Rumäniens drittgrößter Stadt die Hoffnungen erfüllt hat, die die Einheimischen in ihn setzen. Die Latte hängt hoch: "Die Stadt hat heute eine neue Revolution vollbracht", rief Fritz am Wahlabend ins Mikrofon, in Anspielung auf die Ereignisse vom Dezember 1989, als in Timișoara der landesweite Aufstand gegen den Diktator Nicolae Ceaușescu begann. Nun führt der Deutsche Dominic Fritz einen Aufstand gegen Korruption, Vetternwirtschaft und Bevormundung der Bürger durch die Politik.
(baz/ARD Wien)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 05. Dezember 2020 | 09:30 Uhr