Ukraine-Krieg Moldau: Druck von pro-russischen Kräften steigt
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10. Dezember 2022, 05:51 Uhr
Ein nahezu vollständiger Stromausfall hatte Mitte November die Republik Moldau in Dunkelheit gestürzt. Und das war nur der Vorgeschmack auf einen harten Winter. Wenn die Energie- und Gaslieferungen drastisch gedrosselt werden, werden soziale Unruhen nicht lange auf sich warten lassen. Schon jetzt gerät die pro-europäische Regierung durch pro-russische Kräfte immer mehr unter Druck.
Strom und Gas sind durch den Ukraine-Krieg zur Mangelware geworden. In ganz Europa versuchen Menschen, ihren Verbrauch zu reduzieren, doch die Republik Moldau muss mehr als alle anderen sparen. Ein nahezu vollständiger Stromausfall Mitte November hatte das Land ins Dunkel gestürzt. Die Folgen waren gravierend, hat doch beispielsweise nur etwa ein Viertel der Krankenhäuser eine vollständige Notstromversorgung. Selbst die Regierung in Chişinău hält ihre Sitzungen ab und zu im Dunkeln ab. Der Grund für die verschärfte Situation: Nach russischen Drohnen- und Raketenangriffen im Oktober hat die Ukraine die Stromexporte ins Nachbarland eingestellt.
Notstand in allen Bereichen
Dies schien zunächst ein lösbares Problem zu sein. Der stellvertretende Regierungschef, Andrei Spînu, erklärte, die Republik Moldau werde ihren gesamten Strom vom Kraftwerk Cuciurgan erhalten. Allerdings liegt das in der Region Transnistrien, die zwar völkerrechtlich zur Republik Moldau gehört aber de facto eine pro-russische Regierung hat, die wiederum international nicht anerkannt wird. Seit 30 Jahren sind in der Region Transnistrien 1.500 russische Soldaten stationiert.
Und so kam es, wie es kommen musste: Am 1. November 2022 stellte das Kraftwerk Cuciurgan die Stromversorgung für den Rest von Moldau ein. Jetzt importiert das Land den größten Teil seiner Elektrizität aus Rumänien. Für diesen Strom müssen die Moldauer allerdings das Fünffache bezahlen. In Spitzenzeiten kauft Moldau Energie aus dem europäischen Netz für 351 Euro pro Megawattstunde. Die derzeit noch gültigen Verbrauchertarife wurden jedoch auf der Grundlage eines Preises von etwa 52-66 Euro pro Megawattstunde berechnet – ein Preis, der mit dem Cuciurgan-Kraftwerk aus der abtrünnigen Region Transnistrien vereinbart wurde.
Aber selbst der alte Preis war für viele Haushalte schon eine enorme Belastung. Auch für Rentnerin Eugenia Sandu, die im Oktober ein Drittel ihrer Rente nur für Strom ausgeben musste. Sie und ihr Mann versuchen zu sparen, wo es nur geht. So stellen sie beispielsweise den Warmwasserboiler nicht jeden Tag an. Die November-Rechnung machte Eugenia sprachlos, denn sie war doppelt so hoch wie im Vormonat. Auch ihre Gasrechnung ist um 40 Prozent gestiegen, denn der russische Versorger Gazprom liefert trotz vertraglicher Verpflichtungen nur 44 Prozent der von Moldau benötigten Gasmenge. "Meine Rente wird jährlich angepasst, doch egal wie hoch sie bisher war, konnte sie nicht mit den Preissteigerungen mithalten und schützt mich gar nicht", sagt die Rentnerin. Laut der moldauischen Sozialversicherungsanstalt beträgt die Durchschnittsrente umgerechnet knapp über 150 Euro, wobei etwa ein Fünftel der Bevölkerung Rentnerinnen und Rentner sind.
Pro-russische Opposition bringt Menschen auf die Straße
Gleichzeitig mit den steigenden Energiepreisen ist Moldau mit einer schrumpfenden Wirtschaft und einer extrem hohen Inflation von 35 Prozent konfrontiert, die höchste seit 1999. Und das ist eine große Herausforderung nicht nur für die Bürger, die kaum über die Runden kommen, sondern auch für die pro-europäische moldauische Regierung, die die Wahl im Jahr 2021 mit der Losung "Mit uns beginnen gute Zeiten" gewann. Was damals beim Wahlvolk zog, ist heute eine Steilvorlage für Kritiker. Pro-russische Demonstranten fordern seit zwei Monaten besonders lautstark den Sturz der Regierung.
Die Demonstranten werden mit Bussen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt Chişinău gebracht und schlagen ihre Zelte vor dem Parlament und der Generalstaatsanwaltschaft auf. Die Organisatoren der Proteste werfen der pro-europäischen moldauischen Präsidentin Maia Sandu vor, dass sie sich weigert, nach Moskau zu reisen und Wladimir Putin zu beschwichtigen, um billiges Gas für Moldau zu sichern. Die Demonstranten skandieren den Namen von Ilan Șor, einem pro-russischen Politiker, der 2014 wegen des "Diebstahls des Jahrhunderts" bekannt geworden ist. Er wird in Zusammenhang mit einem Bankenbetrug in Milliardenhöhe international gesucht. Das hält ihn jedoch offenbar nicht davon ab, die Proteste in Moldau aus dem Ausland zu bezahlen.
Laufende Korruptionsermittlungen gegen pro-russische Partei
Ende Oktober führten die Staatsanwälte und Beamten des Nationalen Zentrums für Korruptionsbekämpfung im Zusammenhang mit den Protesten 55 Razzien bei führenden Mitgliedern seiner "ȘOR"-Partei durch.
"Wir haben an mehreren Orten etwa 20 schwarze Säcke eingesammelt. Insgesamt schätzen wir, dass heute etwa 3,5 Millionen Lei (etwa 174.000 Euro, Anm. d. Red.) in diesen Geldsäcken gefunden wurden. In einer schwarzen Tasche mit der Aufschrift "Călărași" (Name eines Landkreises, Anm. d. Red.) fanden wir den Betrag von 25 Tausend Lei (etwa 1.200 Euro, Anm. d. Red.)", sagte Veronica Drăgălin, Leiterin der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft. Nach Angaben der Behörden war das Geld sowohl für die Bezahlung der Demonstranten als auch für deren Transport nach Chişinău bestimmt. Gegen die "ȘOR"-Partei wurde zuvor bereits wegen illegaler Finanzierung der Partei und des Wahlkampfs für die Kommunalwahlen im November 2021 ermittelt.
Doch auch bei Bürgern, die nicht an bezahlten Protesten teilnehmen, sinkt die Popularität der Regierungspartei. Laut einer Umfrage, die der Think Tank IDIS Viitorul Ende November veröffentlicht hat, würden nur 23 Prozent Maia Sandus PAS-Partei wählen und nur 36 Prozent der Befragten vertrauen der Präsidentin.
EU: Finanzhilfe für die Bewältigung der Krise
Die moldauische Regierung bemüht sich unterdessen um Hilfe von der EU. Am 10. November kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Chişinău an, dass die EU der Republik Moldau ein zusätzliches Hilfspaket im Wert von 250 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. Das Geld soll helfen, die hohen Energiekosten für die Bevölkerung auszugleichen. Weitere Hilfen in Höhe von insgesamt rund 160 Millionen Euro versprachen Deutschland, Frankreich und Rumänien bei einer internationalen Konferenz in Paris. Die Transfers sollen auch die Kosten für die Aufnahme Tausender ukrainischer Flüchtlinge decken.
"Wir werden Moldau nicht nur in diesem schwierigen Winter beistehen, sondern auch auf dem Weg in die Europäische Union", sagte Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu. Moldau hatte im März, nur wenige Tage nach der Ukraine, die Aufnahme in die EU beantragt. Dies würde jedoch jahrelange Reformen erfordern, um die Korruption im Land einzudämmen und die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Zunächst muss das Land aber die Herausforderungen bestehen, vor denen es wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs steht.
(usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 05. Dezember 2022 | 10:52 Uhr