Klimawandel Sowjetischer Atommüll: eine tickende Zeitbombe in der Arktis

(Veröffentlicht Januar 2020)

19. Mai 2021, 11:42 Uhr

Russland will die Öl- und Gasvorkommen im Arktischen Meer anzapfen. Doch auf dem Meeresgrund liegen Tausende Tonnen Atommüll aus Sowjetzeiten. Das macht die Förderung zu einem hohen Risiko. Umweltschützer schlagen Alarm.

Wenn das Eis schmilzt

Was anderen große Sorge bereitet, spielt Russland wirtschaftlich in die Hände: Der Klimawandel bringt das arktische Eis rasant zum Schmelzen und russische Ölfirmen werfen bereits begehrliche Blicke in Richtung Norden. Denn in der Arktis schlummern noch immer große Reserven bislang unangetasteter fossiler Rohstoffe.

Russland Artkis Ölplattform
Die Prirazlomnaya Plattform fördert Öl in der Petschorasee. Im Küstenbereich und unter dem Meeresboden gibt es beträchtliche Erdöl-Vorkommen. Bildrechte: imago/Russian Look

Ende Dezember 2019 unterschrieb die russische Regierung den neuen Arktisplan, durch den die militärische und wirtschaftliche Erschließung der Region vorangetrieben werden soll. Das kostet viel Geld. Denn die Förderung von Öl ist nicht nur wegen der klimatischen Bedingungen ein kostenintensives und schwieriges Unterfangen. Auf dem Meeresboden liegen auch Tausende Tonnen versenkten Atommülls. Die Ortung und Entsorgung des radioaktiven Abfalls ist aufwendig und kostet Unsummen. Einige der besonders gefährlichen Objekte sollten eigentlich bis 2020 gehoben werden. Doch die Bergungen verzögern sich und das Risiko steigt, denn das Salzwasser nagt an den Schutzhüllen. Radioaktives Material droht auszutreten.

Putin taucht mit einem Forschungs-U-Boot
Putin auf Tauchgang: Der russische Präsident auf dem Weg zu einem im Zweiten Weltkrieg gesunkenem U-Boot. Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Das sowjetische Erbe: 17.000 Container und 19 Frachter mit radioaktivem Müll

Im Gespräch mit dem MDR sagte Oskar Njaa von der norwegischen Umweltorganisation Bellona, dass die Sowjetunion zwischen 1960 und 1993 insgesamt 17.000 Container und 19 Frachter mit radioaktivem Müll, 735 radioaktiv-kontaminierte Schwermaschinenteile, 14 Atomreaktoren sowie ein komplettes Atom-U-Boot im Arktischen Meer versenkte. Hinzu kommen zwei weitere U-Boote, die 1989 und 2003 in Folge von Unfällen sanken. Der Großteil der atomaren Abfälle befindet sich heute in der Karasee und entlang der Küste des ehemaligen Atomtestgeländes Nowaja Semlja, im russischen Gebiet der Arktis. Bellona unterstützt seit 2010 russische Meeresexpeditionen. Vor allem die U-Boote, deren Standorte man kennt, stehen unter ständiger Beobachtung, da von ihnen die größte Gefahr ausgeht.

Oskar Njaa von der norwegischen Naturschutzorganisation Bellona
Oskar Njaa von der norwegischen Naturschutzorganisation Bellona Bildrechte: Bellona

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Nach Angaben der Umweltorganisation Bellona, müssen die zwei Atom-U-Boote K-27 und K-159 schnellstmöglich gehoben und richtig entsorgt werden. Bei Ersterem besteht seit Jahren das Risiko, dass es zu einer Kettenreaktion im Reaktor und letztendlich zu einer Explosion kommen könnte. Das U-Boot befindet sich vor der Küste der Nowaja Semlja, in nur 50 Metern Tiefe und hat noch rund 90 kg hochangereichertes Uran an Bord. Bei dem anderen U-Boot besteht die Gefahr, dass ein Leck im Rumpf entstehen könnte. Im Moment sind die Wracks noch relativ stabil.

Würden aber große Mengen radioaktives Material in das Arktische Meer gelangen, hätte das nicht nur schwere Folgen für das gesamte Ökosystem, sondern auch für den konventionellen Fischfang. Die Schäden wären so gut wie irreparabel. Im schlimmsten Fall könnten, durch Strömungen und wandernde Fischschwärme, auch andere Meeresgebiete in Mitleidenschaft gezogen werden, sowie radioaktive Stoffe in den Nahrungskreislauf gelangen. In einem internen Bericht des russischen Umweltministeriums von 2011 wird mehrmals betont, dass die beiden U-Boote bis spätestens 2014 gehoben werden müssen, da die akute Gefahr einer Umweltkatastrophe besteht. Doch diese, sowie die anderen Reaktoren und Container, liegen immer noch auf dem Meeresgrund und werden zunehmend instabiler.

Kein Geld und keine Technik

Die russische Militärfirma Malachit legte bereits 2004 Pläne zur Bergung der U-Boote vor. Doch der Staatskonzern erhielt von der Regierung keinen Auftrag zur Umsetzung. Allein eine Bergung hätte rund 62 Millionen Euro gekostet – eine Summe, die der russische Staatshaushalt nicht hergibt. Vor allem weil man seit einigen Jahren hohe Summen in den Militärsektor investiert.

Doch auch die technischen Möglichkeiten sind noch begrenzt. Es besteht das Risiko, dass bei der Hebung radioaktives Material austreten oder Wasser in die Reaktoren eindringen könnte. Nach Informationen der norwegischen Umweltorganisation Bellona arbeitet das staatliche russische Institut für Schiffbau Krylow seit einigen Jahren an einem Schiff, welches sichere Bergungen möglich macht. Man sei zwar optimistisch, dass in den nächsten Jahren eine Bergung stattfindet, eine genauere Prognose kann man jedoch nicht aufstellen.

Wann die U-Boote vom Grund des Arktischen Meeres gehoben werden, ist unklar. Die letzte ernsthafte Diskussion zur Atommüllproblematik wurde in Russland 2017 geführt, als das Kurchatow Institut den Vorschlag machte, die Firmen, die im Arktischen Meer nach Öl bohren wollen, sollen sich finanziell an den Bergungen beteiligen. Der Vorschlag konnte sich aber erwartungsgemäß nicht durchsetzen. Somit gibt es auch 2020 noch keine konkreten Pläne und die Gefahr einer Umweltkatastrophe wächst weiter.

Russlands Pläne für die Arktis

Russlands Interesse an der Arktis geht jedoch weit über das eigene Hoheitsgebiet hinaus, in dem der radioaktive Schiffsschrott liegt. Es geht um den sogenannten Lomonossow-Rücken, der bis zum Nordpol reicht. Laut Seerechtkonvention der Vereinten Nationen kann ein Staat das von ihm beherrschte Meeresgebiet ausweiten, wenn ein darüber hinaus ragendes unterseeisches Gebirge als Teil seiner Landmasse betrachtet werden kann. Schon 2001 beantragte Moskau bei der UN eine solche Ausweiteung von rund 1,2 Millionen km². Der Lomonossow-Rücken sei eine Fortsetzung des sibirischen Festlandes, so die Argumentation. Die UN lehnte diesen Anspruch ab. Glaubt man den Angaben der russischen Regierung, befinden sich unter dieser Fläche rund 4,9 Milliarden Tonnen Öl und Gas. 2015 reichte Russland erneut einen Antrag ein, der noch geprüft werden muss. Laut Dr. Christoph Humrich von der Universität Groningen, kann dies auch noch eine Weile dauern. Denn auch Dänemark und Kanada beanspruchen den Lomonossow-Rücken für sich.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. Januar 2020 | 21:45 Uhr

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