Leuchtende Kerzen in einer Kirche
Die meisten Bulgaren sind orthodox – die russische Kirche versucht, die Religion als Deckmantel für Agententätigkeit zu missbrauchen. Drei russisch-orthodoxe Geistliche wurden nun des Landes verwiesen. Bildrechte: IMAGO/NurPhoto

Kremlpropaganda in der Kirche Russische Agenten im Priestergewand – Bulgarien weist Geistliche aus

17. Oktober 2023, 17:59 Uhr

Bulgarien hat den obersten Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche in Sofia und zwei weitere Geistliche mit belarusischen Pässen des Landes verwiesen. Die bulgarische Spionageabwehr wirft Abt Wassian und den beiden anderen Priestern vor, eine Gefahr für die nationale Sicherheit darzustellen. Wassian war eine Woche zuvor bereits aus Nordmazedonien wegen Spionage ausgewiesen worden.

Vessela Vladkova
Bildrechte: Vessela Vladkova

Der bulgarische Inlandsgeheimdienst DANS ließ verlauten, die drei ausgewiesenen Geistlichen hätten an der "gezielten Beeinflussung der gesellschaftlichen und politischen Prozesse in Bulgarien zugunsten russischer geopolitischer Interessen" gearbeitet.

Kosaken an der "russischen Kirche" in Sofia

Nikolaikirche in Sofiam Bulgarien
Die "russische" Nikolaikirche in Sofia – offenbar ein Agentennest Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Die Priester dienten in der Sofioter Nikolaikirche, die im Volksmund einfach "die russische Kirche" genannt wird – offenbar zurecht, wie jetzt bekannt wurde. Das Gotteshaus im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt gehört dem russischen Staat, denn die Gemeinde Sofia schenkte das Grundstück Ende des 19. Jahrhunderts dem Zarenreich als Zeichen der Dankbarkeit für die Befreiung Bulgariens von der osmanischen Herrschaft. In der Schenkungsurkunde von 1882 heißt es, das Grundstück diene dem Bau einer russischen Kirche. 1907 wurde das Gotteshaus dann eingeweiht.

Der bulgarische Inlandsgeheimdienst macht keine näheren Angaben zu den Aktivitäten der ausgewiesenen Geistlichen. Ein Licht darauf werfen aber Recherchen des Fernsehjournalisten Milen Zwetkow. Bereits 2018 berichtete er, dass dort unter dem Deckmantel religiöser Tätigkeiten eine paramilitärische Kosaken-Gruppe gegründet wurde. Stolz verkündete damals die Nikolaikirche auf ihrer Internetseite, dass die Mitglieder dieser Gruppe einen Treueeid auf Russland und die orthodoxe Kirche schwören. Im Statut liest man noch, dass die Mitglieder "neue Freunde Russlands" anwerben sollen.

Ein männlich gekleideter Kosakensoldat mit einem Schoßhund
Kosake in historischer Uniform bei einer Schlachtrekonstruktion in Russland – auch an der Nikolaikirche in Sophia soll eine prorussische Kosakentruppe gegründet worden sein. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Auch wenn man die Kosaken landläufig vor allem mit bunter Folklore, etwa beeindruckenden Chorgesängen und Tänzen, verbindet, sind sie in Wahrheit alles andere als harmlos. In neuerer Zeit wurde die Gemeinschaft der Kosaken, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, vom Kreml vereinnahmt und stellt heute eine wichtige Stütze des Regimes dar. Kosaken marschieren neuerdings bei der Siegesparade am 9. Mai mit, indoktrinieren die russische Jugend im Geiste des Nationalismus und greifen Kremlkritiker wie Pussy Riot oder Alexej Nawalny an. Außerhalb von Russland hat die Kosaken-Gemeinschaft nicht nur in Bulgarien, sondern auch in Deutschland Sympathisanten, die regelmäßig nach Russland reisen, Schießtrainings absolvieren und sich auf einen "Tag X" vorbereiten.

Kreml-Propaganda im Auftrag des Patriarchen

Der Vorgänger des ausgewiesenen Abtes Wassian, Abt Philip, propagierte zudem die Idee eines "einheitlichen slawisch-orthodoxen Staates". "Wir sind eins", sagte er 2018 auf der Jahresversammlung der russophilen Bewegung vor einem gemischten russisch-bulgarischen Publikum, in dem auch der ehemalige bulgarische Ministerpräsident Sergej Stanischew von der sozialistischen Partei saß. Solche Konferenzen finden bis heute in Bulgarien statt. "Diese Veranstaltungen sind verfassungswidrig, denn in Bulgarien sind Staat und Kirche streng getrennt, von der Gründung paramilitärischer Gruppen, wie die Kosaken-Organisation, ganz zu schweigen", empört sich der Theologe Prof. Kalin Janakiew.

Die Sofioter Nikolaikirche wird durch die Synode der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau finanziert. Dieser steht der Patriarch von Moskau und der ganzen Rus, Kyrill, vor. Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche nennt die Invasion in der Ukraine einen "heiligen Krieg" und bezeichnet die Herrschaft von Kremlchef Putin als ein "göttliches Wunder". Als junger Priester war Kyrill als KGB-Agent tätig. Der ausgewiesene Abt Wassian gehört der Abteilung für internationale Beziehungen der russischen orthodoxen Kirche an, dem informellen Außenministerium von Patriarch Kyrill.

Für den Politik- und Sicherheitsexperten Iskren Iwanow von der Universität Sofia ist es daher nicht weiter verwunderlich, dass die russischen Geistlichen in Bulgarien im Dienste des Kreml stehen. "Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist Russland heute nur noch eine Softpower und übt ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft über Kultur und Religion aus", so der Politikwissenschaftler. Die ehemaligen sozialistischen Länder in Osteuropa, und insbesondere die slawischen Länder mit überwiegend orthodoxer Bevölkerung, seien eine logische Zielscheibe. "Die Kultur, das Slawentum und das orthodoxe Christentum sind nur Instrumente", sagt Iwanow.

Russische Einflüsse in Bulgarien

Orthodoxe Kirche aus der Luft
Bulgariens Hauptstadt Sophia mit der orthodoxen Alexander-Newski-Kathedrale Bildrechte: IMAGO/Pond5 Images

Auch jenseits der Religion versucht Russland, die bulgarische Gesellschaft zu beeinflussen. In großem Stil geschieht das über klassische Massenmedien und in den sozialen Netzwerken. Die Bemühungen sind relativ erfolgreich: Der jüngsten Untersuchung "GLOBSEC Trends 2023" zufolge, sieht jeder vierte in Bulgarien nicht die EU und die NATO, sondern Russland als einen strategischen Partner an. Gefragt nach dem Schuldigen für den Ukraine-Krieg, betrachtet nur etwa die Hälfte der Interviewten Russland als den Aggressor.

Die russlandfreundliche Haltung vieler Bulgaren hat auch historische Wurzeln. Der russisch-türkische Krieg von 1878 brachte Bulgarien nach jahrhundertelanger osmanischer Herrschaft die Freiheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Bulgarien in die Einflusssphäre der Sowjetunion und wurde einer der treuesten "Satelliten" Moskaus im Warschauer Pakt. Die Wende 1989 brachte dem Land die ersehnte politische Freiheit, wirtschaftlich blieb Bulgarien aber weiter von Moskau abhängig. Bis zum Ukraine-Krieg bezog das Land Erdgas und Erdöl fast ausschließlich aus Russland.

Klosterkirche von Sveta Bogoroditsa 1 min
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Bulgarien ist ein Balkanstaat, mit 6,9 Millionen Einwohnern, zu dessen kontrastreichen Landschaften die Küste am Schwarzen Meer, ein bergiges Landesinnere und Flüsse wie die Donau gehören. Die Hauptstadt ist Sofia.

Do 26.01.2023 16:17Uhr 00:40 min

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Das allein reicht als Erklärung aber nicht aus. Fact-Checking-Experten führen dieses Ergebnis auch auf die Tätigkeit von nahezu 400 Online-Medien zurück, die in Bulgarien die Kreml-Propaganda verbreiten. Größtenteils erfolgt das automatisiert, d.h. hinter den Internetseiten stehen keine Redaktionen, sondern Web-Roboter, die mit russischen Propagandakanälen direkt verlinkt sind. "In einem Land mit schwacher Medienlandschaft und allgemein niedriger Medienkompetenz der Bevölkerung hat jede Form der Propaganda, so auch die des Kreml, ein leichtes Spiel", heißt es in einer Analyse der Stiftung für humanitäre und soziale Forschung.

Das offizielle Russland reagiert auf den kirchlichen Agentenskandal unterdessen in seiner gewohnten Manier: Die russische Botschafterin in Sofia, Eleonora Mitrofanowa, behauptete nach der Ausweisung Wassians, die bulgarische Regierung versuche, die Kirchen der beiden Länder zu spalten. Und das Außenministerium in Moskau ließ verlautbaren, die Ausweisung sei eine "blasphemische Beleidigung" – man sei aber fest davon überzeugt, dass der Plan, die jahrhundertealte russisch-bulgarische Freundschaft zu untergraben, zum Scheitern verurteilt sei.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten - Der Osteuropa-Podcast | 21. Oktober 2023 | 07:17 Uhr

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