Duftendes Erbe in Gefahr Bulgarien: Warum einer der wichtigsten Rohstoffe für Parfums vor dem Aus steht
Hauptinhalt
07. Juni 2023, 08:16 Uhr
Das beste Rosenöl der Welt kommt aus Bulgarien. Doch für dessen traditionsreiche Produktion sieht es nicht sehr rosig aus. In den letzten Jahren haben viele Bauern ihre Rosenfelder aufgegeben. Erst setzte ihnen die Pandemie zu, dann die hohen Gaspreise, und obendrein wird es immer schwerer, genügend Helfer für die kurze Ernte zu bekommen, die am ersten Juni-Wochenende begonnen hat.
Zwei Drittel des weltweit erhältlichen Rosenöls stammen aus dem bulgarischen Rosental am Fuße des Balkangebirges etwa 200 Kilometer östlich der Hauptstadt Sofia gelegen. Das Bergmassiv schützt das Tal vor kalten Nordwinden und aus der Ägäis strömt warme Luft herbei – so entsteht ein Mikroklima, das für den Anbau der ölspendenden Damaszener Rose optimal ist. Das Ergebnis ist ein Rosenöl, das als bestes der Welt gilt und eine der Hauptzutaten im berühmten französischen Parfüm "Chanel N°5" ist.
Rosenpflücken ist schwerste Handarbeit
Allerdings wollen immer weniger Bulgaren die Rosenblätter pflücken, denn das ist schwerste Handarbeit, mühselig und schlecht bezahlt. Für nur einen Liter Rosenöl werden bis zu vier Tonnen Blüten gebraucht, die nur in den ganz frühen Morgenstunden gepflückt werden können, um die nötige Qualität der Blüten zu bewahren. Was nicht gepflückt wird, fällt nach ein paar Tagen auf die Erde und verrottet.
Wie kam der Rosenanbau nach Bulgarien?
Der Rosenanbau in Bulgarien begann 1710 mit Pflanzungen der Damaszener Rose, die ursprünglich aus Persien stammt. Über Syrien und die Türkei wurde sie nach Bulgarien gebracht, als es noch zum Osmanischen Reich gehörte. Es dauerte nicht lange, da entwickelte sich das bulgarische Rosental zum wichtigsten Anbaugebiet zur Gewinnung von Rosenöl.
Die Rosen geben Zehntausenden Bulgaren Arbeit – doch man braucht die vielen Arbeiter nur für eine kurze Zeit. Von Jahr zu Jahr werden die Erntehelfer weniger, denn immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Stadt oder suchen sich eine besser bezahlte Arbeit in Westeuropa. Hinzu kommt, dass auch die bulgarische Gesellschaft altert.
Teures Gas setzt Rosenbauern zu
In Streltscha, einem der Dörfer im Rosental, standen früher hinter jedem Haus alte Destillationsöfen, in denen man das wertvolle Rosenöl gewinnt. Inzwischen haben aber vier von fünf Rosenbauern ihre Felder aufgegeben. Metodi Stefanow ist einer der wenigen, die noch ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. "Wir haben ein demografisches Problem. Die Generation, die diese wertvollen Rosen gezüchtet und verarbeitet hat, stirbt einfach aus", sagt der Rosenbauer resigniert. Länder wie die Türkei und Aserbaidschan, wo man nach wie vor ohne Probleme Tausende Rosenpflücker für die kurze Erntezeit auftreiben kann, gefährden die Marktposition Bulgariens. Doch das ist nicht das einzige Problem der Branche.
Die schockartig gestiegenen Gaspreise im vergangenen Sommer waren für die Rosenölhersteller eine Katastrophe, denn die meisten von ihnen brauchen Gas für die Destillation. Viele haben schon in den Jahren davor Verluste gemacht und ihre Felder aufgegeben, als die Corona-Pandemie zu einer Flaute in der Kosmetikbranche führte.
Der "Rolls Royce" unter den Rosenölen
Ein weiteres Problem ist die weltweite Überproduktion. Aus rund 12.000 Tonnen Blütenblättern wurden im vergangenen Jahr knapp drei Tonnen Rosenöl in Bulgarien destilliert. Das entspricht fast dem gesamten Jahresverbrauch in der ganzen Welt – dabei gibt es neben Bulgarien noch weitere Länder, die den wertvollen Rohstoff produzieren.
Zwar ist das in Bulgarien destillierte Rosenöl nach wie vor das wertvollste und teuerste auf dem Markt – ein Liter kostet mehr als 15.000 Euro! Doch gerade das wird den Bauern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zum Verhängnis.
"Das bulgarische Rosenöl ist immer weniger konkurrenzfähig, denn woanders wird Rosenöl billiger hergestellt. Wir produzieren zwar den 'Rolls Royce' unter den Rosenölen, es ist unbestritten das beste auf der Welt, aber die Konkurrenz bietet einen besseren Preis", erläutert der 35-jährige Stefanow. Er fordert staatliche Hilfen, um diese in Bulgarien so traditionsreiche Branche zu erhalten.
EU-Verordnung macht Rosenbauern Angst
Und als ob diese Sorgen nicht genug wären, ziehen dunkle Wolken aus Brüssel am Horizont auf. Die Verordnung zur Bewertung und Zulassung von Chemikalien (REACH) soll überarbeitet werden – das sorgt in der Branche für Unruhe. Die Hersteller befürchten, dass ihr Produkt künftig als chemisches Erzeugnis und als giftig deklariert werden muss.
Auch wenn Details dazu noch nicht bekannt sind, entwickelten sich diese Befürchtungen zu einer Verschwörungstheorie, die von euroskeptischen Politikern verbreitet wird: Die EU-Kommission wolle in Bulgarien produziertes Rosenöl verbieten. Die Regierung in Sofia hat als Reaktion darauf Protest erhoben und versucht gleichzeitig, die Gemüter zu beruhigen. "Die neue Kennzeichnung soll sich ausschließlich auf synthetisch hergestellte ätherische Öle beziehen. Das bulgarische Rosenöl wird durch altbewährte natürliche Destillation produziert", sagt der stellvertretende Landwirtschaftsminister Todor Dschikow.
100-prozentig naturreines ätherisches Öl
Auch Dr. Ganka Baewa versucht, den Rosenbauern die Angst zu nehmen. Sie leitet das Rosen-Forschungsinstitut in Kazanlak, der "Hauptstadt" des Rosentals. "Es gibt keinerlei Bedenken, dass das Rosenöl in irgendeiner Art und Weise gefährlich für den Menschen sein könnte, denn es ist ein hundertprozentig naturreines ätherisches Öl, das synthetisch gar nicht hergestellt werden kann", erklärt die Wissenschaftlerin. "Das Rosenöl wird durch Wasserdampfdestillation gewonnen. Der einzige Zusatzstoff in diesem Prozess ist Wasser. Also kann überhaupt nicht die Rede sein von einer Kennzeichnung als Chemikalie", betont Baewa.
Erntefeste im Rosental
Doch auch wenn die Aussichten trüb sind – der Ernteauftakt wurde am ersten Juni-Wochenende im ganzen Rosental ausgelassen gefeiert. Denn das Rosenöl ist nicht nur ein wertvoller Rohstoff für die Kosmetikindustrie – es ist schlicht und ergreifend Teil der nationalen Identität der Bulgaren. Und so gehören die bunten Volksfeste auch in schwierigen Zeiten zur Rosenernte dazu.
Frauen und Mädchen in Trachten pflücken singend die Rosenblüten, Dudelsäcke spielen auf und die Touristen schauen fasziniert zu, wie alte Destillationsöfen aus der rosa Blütenpracht duftendes Rosenöl zaubern. Das farbenprächtige Fest dauert bis in den späten Abend des ersten Erntetags hinein und findet mit der Wahl der neuen Rosenkönigin seinen Abschluss.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 06. Juni 2023 | 11:09 Uhr