Abiball Bulgarien: Mit der Luxuslimousine zum Abschlussball
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27. Mai 2023, 17:16 Uhr
Seit Mittwoch feiern junge Bulgarinnen und Bulgaren ausgelassen und mit viel Alkohol ihren Schulabschluss. Das Fest hat Tradition, ist aber inzwischen zu einem Ereignis geworden, bei dem vor allem der Prunk zählt, für den Eltern nicht selten ein Jahresgehalt ausgeben.
Dieser Tage sind sie nicht zu überhören: Seit dem 24. Mai, dem Tag der kyrillischen Schrift, fahren junge Bulgarinnen und Bulgaren in Luxuslimousinen und Sportkarossen durch die Stadt, hupen und zählen laut bis zwölf – so viele Jahre haben sie in der Schule verbracht. Sie tragen teure Klamotten, die Mädchen sind bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und die Jungs trinken bis zum Umfallen. Sie feiern ihren Schulabschluss. Der Abi-Ball ist in Bulgarien längst zum ersten großen Höhepunkt im Leben vieler junger Menschen avanciert.
Die Tradition geht auf eine Szene zurück, die der bulgarische Romanklassiker Iwan Wasow vor mehr als 130 Jahren nostalgisch-romantisch beschrieben hat: Am 24. Mai, gegen Ende des Schuljahres, versammeln sich Schüler, Lehrer und Eltern ein letztes Mal im Klassenzimmer, um die Mönchsbrüder Kyrill und Method zu ehren, die im 9. Jahrhundert die kyrillische Schrift geschaffen haben. Von dieser Idylle ist heute nichts geblieben. Heute feiert man nicht das Gelernte in der Schule, man feiert sich selbst. Je protziger, desto besser. Je ausgefallener das Abendkleid und die Frisur, desto mehr Likes auf Facebook und Instagram. Je lauter und größer die Luxuskarosse, desto umschwärmter der kutschierte Abiturient.
Luxus für eine Nacht
Neben Familie und Eigenheim steht die Bildung ganz oben auf der Werteskala der Bulgaren. Wenn es um die schulische Ausbildung und das Studium der Kinder geht, wird nicht gespart. Daher ist die Abschlussfeier in Bulgarien ein Ereignis, das in seinem Prunk und seiner Verschwendung viel mehr an eine Hochzeit erinnert. Kein Wunder – auch in Bulgarien wird immer weniger geheiratet. So sind die Eltern sogar bereit, sich zu verschulden, um diesen einen Partyabend ihrer Sprösslinge mit allem Drum und Dran zu finanzieren. Viele von ihnen sehen es als ihre Pflicht an, den Ball des Kindes zu organisieren. Koste es, was es wolle.
Und es kostet viel: Die Eltern eines Mädchens haben auf jeden Fall den Kürzeren gezogen – für ein Abendkleid, Pumps, Handtasche, Schmuck, Make-up, Maniküre, Pediküre und Frisur ist man schnell bei 1.500 Euro. Dazu muss man den wochenlangen Gang ins Sonnenstudio rechnen. Auch die Fitness-Studios machen in den Wochen vor den Abi-Bällen einen überdurchschnittlich guten Umsatz. Limousine, Mittagessen für Familie und Freunde, das festliche Dinner mit der Klasse und die nächtliche Clubparty kosten noch mal extra.
Luxus für eine Nacht, der in den Augen der Abiturienten gerechtfertigt ist. "Schließlich ist die Abi-Feier nur einmal im Leben", wie die 19-jährige Martina Grigorowa sagt. Sie wird in einer angemieteten Luxuskarosse vor das 5-Sterne-Hyatt-Hotel im Stadtzentrum von Sofia vorgefahren. Kostenpunkt: 300 Euro für 3 Stunden. Ein Geschenk der Eltern, wie Martinas ganzer Abend. "Vielleicht ist das zu viel Geld, aber meine Eltern wollten mich glücklich machen, und das haben sie. Es kann sein, dass Leute Kredite aufnehmen, aber was kostet schon das Glück des eigenen Kindes", philosophiert die Schulabgängerin mit einem breiten Lächeln im Gesicht, und stöckelt in ihrem Designerkleid für 500 Euro davon.
Feiern, als ob es kein Morgen gebe
Deutlich weniger hat Elena Popowa für ihr Outfit bezahlt. Auch sie wollte auf ihrer Abschlussfeier "die Schönste im ganzen Land" sein, aber ohne Geld aus dem Fenster zu werfen, das ihre Eltern ohnehin nicht haben. "Die Haare sind einfach hochgesteckt, und unter dem Make-up sollte man mich noch erkennen können", sagt Elena und blickt auf ihre stark geschminkten Mitschülerinnen. Die Absolventin des englischsprachigen Gymnasiums in Sofia spart lieber für ihr Studium in den Niederlanden, dessen Kosten ganz sicher das Familienbudget sprengen werden. Ihre geschiedenen Eltern gehören zu jenen Bulgaren, die trotz Arbeit arm sind, eine Gruppe, die wegen der über elf Prozent liegenden Inflation immer größer wird. Das monatliche Durchschnittsgehalt liegt bei etwa 600 Euro. Der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen in Bulgarien war im vergangenen Jahr mit 32,2 Prozent so hoch, wie sonst in keinem EU-Land.
"Das Leben in Bulgarien ist nicht einfach, diese jungen Menschen sollten lieber an ihre Zukunft denken, statt Geld für eine Nacht auszugeben, als ob es kein Morgen gebe", warnt der Psychoanalytiker Iwan Wladimirow, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen BNT das Verhalten von Abiturienten analysierte. Aber wenn es um den Abi-Ball geht, wird die düstere Realität schnell vergessen und plötzlich spielt Geld keine Rolle, beobachtet auch die Gymnasiallehrerin Swetla Dobrewa. Die Tradition sei an sich sehr schön und sehr alt und es werde sie immer geben, aber die Abiturienten sollten "einen Gang runterschalten", denn "auch ohne Prunk" werden sie einen unvergesslichen Abend verbringen, wie es sich jeder Schulabgänger wünscht.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 27. Mai 2023 | 07:15 Uhr