Nyirmartonfalva Baumwipfelpfad
Und wo sind hier die Bäume? Der "Baumwipfel-Pfad" von Nyírmártonfalva hat es ungarnweit zu Berühmtheit gebracht. Bildrechte: Atlatszo.hu

Ungarn Warum ganz Ungarn über einen Baumwipfel-Pfad lacht

13. Mai 2023, 16:08 Uhr

Im Westen Ungarns sollten Besucher demnächst von einem Holzsteg aus Baumkronen entdecken können. Doch daraus wird in den kommenden Jahrzehnten wohl nichts. Die Projektentwickler haben zu sehr um die Ecke gedacht.

Das kleine Örtchen Nyírmártonfalva, knapp 30 Kilometer von Debrecen entfernt, hat eine neue Sehenswürdigkeit, die inzwischen landesweit bekannt ist: Der Baumwipfel-Pfad ohne Bäume. Wie das ungarische Investigativportal Átlátszó berichtet, erhielt die Gemeinde umgerechnet rund 160.000 Euro EU-Fördergelder für das Projekt, zu dem neben dem "Baumwipfel-Pfad" selbst noch ein Spiel- und Picknickplatz gehört. Eigentlich sollte der Steg in ein paar Metern Höhe durch ein kleines Waldstück führen. Doch das wurde noch während der Bauzeit des Holzsteges im vergangenen Jahr abgeholzt.

Der Kahlschlag des Wäldchens sei nötig gewesen, um den Bau des Baumwipfel-Pfades zu finanzieren, sagte der Bürgermeister von Nyírmártonfalva dem ungarischen Fernsehsender ATV. "Als wir die Mittel beantragt haben, war hier auch noch ein Wald", so Mihály Filemon, der dem Fidesz von Regierungschef Viktor Orbán angehört, und: "Es war nirgends vorgeschrieben, wie hoch der Wald sein muss." Er schob die Schuld für die Situation auf Brüssel. Dort habe man zu lange gebraucht, um die Anträge, die bereits "Ende 2017, Anfang 2018" eingereicht worden seien, zu bearbeiten. In den seither vergangenen vier Jahren habe aber Geldnot die Gemeinde dazu bewogen, das Wäldchen zu fällen und das Holz zu verkaufen, um sich diese Investition leisten zu können. 

Witzige und ernste Reaktionen

Nun steht ein langes Holzgestell auf einem Feld und bietet maximal Aussicht auf ein paar Baumstümpfe. Kein Wunder, dass die ganze Geschichte für reichlich Spott und Häme im Netz sorgt. Das sei keine Planungspanne, sondern Kunst, genauer: Land-Art, witzelte Átlátszó, der Bürgermeister ein missverstandenes Genie. Die Satirepartei Partei des zweischwänzigen Hundes rief ein hölzernes Baugerüst zum ersten Budapester Baumwipfel-Pfad aus, schließlich gäbe es auch dort von Baumwipfeln keine Spur. Andere behalfen sich mit Szenen aus dem Film Jurassic Park, um ihr Erstaunen über die Sache zum Ausdruck zu bringen.

Manche sehen darin allerdings nicht nur eine peinliche Fehlplanung einer kleinen Gemeinde, sondern ein Symbol für den Umgang mit EU-Fördergeldern in Ungarn insgesamt. Schließlich ist der schon seit Jahren ein Streitpunkt zwischen der EU und der ungarischen Regierung. So hat Brüssel Zahlungen an Ungarn unter anderem deshalb eingefroren, weil Budapest nicht entschlossen genug gegen Korruption vorgeht. Der parteilose Parlamentsabgeordnete Ákos Hadházy, der sich gegen Korruption stark macht, sagte Átlátszó: "Ich habe in den vergangenen Jahren versucht, Orte zu zeigen, an denen der schlimme organisierte Diebstahl von EU-Geldern sichtbar wird. Ich werde wohl kaum einen schöneren, symbolischeren Ort finden." Hadházy sieht dies als ein besonders prägnantes Beispiel dafür, wie sinnlose Projekte um EU-Fördertöpfe herumgestrickt werden, um Fidesz-Politikern zu dienen.

Nyirmartonfalva Baumwipfelpfad
Rund 160.000 Euro EU-Fördermittel flossen für den Bau des "Baumwipfel-Pfades". Bildrechte: Atlatszo.hu

Andere Oppositionspolitiker, wie die EU-Abgeordnete Anna Donáth, teilen diese Einschätzung - und haben gemeinsam mit Hadházy die Sache der Anti-Korruptions-Behörde der EU (OLAF) gemeldet. Bürgermeister Mihály Filemon hat derweil die Investigativ-Platform Átlátszó verklagt, weil er der Ansicht ist, es gehe die Journalisten nichts an, wie er EU-Fördermittel verwende.

Neue Bäume gepflanzt

Derweil hat sich auch in Nyírmártonfalva einiges getan: Die Straße, die zu dem umstrittenen Bauwerk führt, wurde, wie mehrere ungarische Medien berichten, zwischenzeitlich gesperrt und mit dem Hinweis versehen: "Privatgrundstück! Unbefugten ist das Betreten verboten!" Eigentümer des Geländes ist übrigens der Bürgermeister selbst. Der hat nun entlang des Holzsteges schnellwachsende Bäumchen pflanzen lassen. In einigen Jahrzehnten kann man dann vom Baumwipfel-Pfad in Nyírmártonfalva aus vielleicht tatsächlich Baumwipfel sehen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 13. Dezember 2022 | 06:00 Uhr

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