Russland Taxi-Chaos in Moskau: Wie der russische Krieg gegen die Ukraine die Mobilität vieler Russen einschränkt
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17. Februar 2024, 16:48 Uhr
Während in der Ukraine aufgrund des russischen Angriffskrieges Menschen sterben, verursacht der Krieg ungeahnte Nebenwirkungen auf Moskaus Straßen. Weil es die russische Flugabwehr nicht verlässlich schafft, ukrainische Drohnen abzuschießen, wurde das GPS-Signal abgestellt. Seither irren Taxifahrer und Lieferdienste ohne funktionierende Navigationsgeräte durch die russische Hauptstadt.
Wenn ich als Journalistin in Moskau unterwegs bin, nutze auch ich regelmäßig ein Taxi. "Bestellungen ins Zentrum lehnen wir in der Regel ab, aber Sie werde ich trotzdem fahren", informierte mich neulich ein Taxifahrer in einem Tonfall, als würde er mir damit einen großen Gefallen tun. Ein anderer Taxifahrer sagte mir, sobald ich einstieg, dass ich ihm den Weg zeigen müsse, sonst könne er mich nicht zum Ziel bringen. Ein weiterer verlangte, dass ich die Bestellung storniere, weil er mein Haus nicht finde.
Unangenehme Erfahrungen wie diese gehören in Moskau inzwischen zum Alltag. Hintergrund ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, konkret: ukrainische Drohnenangriffe auf Ziele in Russland. Als im Mai 2023 Drohnen über dem Kreml abgeschossen wurden, machte Moskau Kiew umgehend dafür verantwortlich. Seitdem hat es mehrere weitere Drohnenattacken in der russischen Hauptstadt gegeben: Unbemannte Luftfahrzeuge schlugen meist in Wolkenkratzer und Wohnhäuser ein. Um Drohnenangriffe zu verhindern, lässt die russische Regierung im Zentrum Moskaus das GPS-Signal stören. Die Signalstörungen machten sich sogar in den Nachbarländern Estland und Finnland bemerkbar: Finnische Flugzeuge mussten laut dem Nachrichtenportal Bloomberg sogar auf alternative Navigationssysteme zurückgreifen.
Abhängig vom Navi
Seitdem gibt es zwar weniger Angriffe, aber mehr Probleme auf Moskauer Straßen. Das gestörte GPS-Signal hat klar vor Augen geführt, wie abhängig Autofahrer von ihren Navigationsgeräten sind. Lieferdienste wissen nicht mehr, wo sie hinmüssen, Paketboten verfahren sich. Auch bei den Moskauer Taxifahrern ist das Problem gravierend. Denn anders als etwa in London, wo sich angehende Taxifahrer rund 25.000 Straßen und 10.000 Sehenswürdigkeiten einprägen müssen, um eine Lizenz zu erhalten, gibt es in Moskau keine vergleichbaren Anforderungen, um Taxifahrer zu werden. Die Allermeisten verlassen sich daher schlicht auf ihr Navi.
Dazu kommt, dass viele Taxifahrer die Stadt noch nicht lange kennen: Oft sitzen Zugewanderte aus den ehemaligen Sowjetrepubliken wie Tadschikistan oder Usbekistan hinterm Steuer. Im Jahr 2022 waren 27 Prozent der Taxifahrer in Moskau nach Angaben der Stadtverwaltung Ausländer. Auch bei Liefer- und Paketdiensten sind viele Arbeitsmigranten beschäftigt. Das liegt zum einen daran, dass keine speziellen Qualifikationen und nur wenig Sprachkenntnisse vonnöten sind, zum anderen ist die Konkurrenz von Einheimischen nicht groß. Offenbar halten viele Russen solche Jobs für unter ihrer Würde, obwohl man mit rund 100.000 Rubel (rund 1.000 Euro) im Monat nahezu ein Moskauer Durchschnittsgehalt verdient.
Verirrte Fahrer, "versunkene" Autos
Wegen des herrschenden Chaos verzichtet Polina bereits seit Monaten auf Taxis und fährt lieber mit der U-Bahn, dabei könnte sie sich das als Projektmanagerin in einer Werbeagentur durchaus leisten – wie jeder, der zumindest ein Durchschnittsgehalt bekommt. Polina lebt im Zentrum Moskaus und kennt Folgen der GPS-Störungen aus erster Hand: "Wenn ich ein Taxi bestelle, bin ich nicht immer sicher, dass es mich findet." Einmal sei ein Lieferbote mit seinem Auto eine Stunde um ihr Viertel gekreist, weil er auf seiner App ihr Haus nicht finden konnte. Außerdem habe er kaum Russisch gesprochen, was ihre Erklärungsversuche erschwerte. "Die gestörten GPS-Signale haben meinen Alltag stark verändert", räumt die 30-Jährige ein.
Auch Carsharing sei für sie keine Option mehr. "Meistens komme ich zu dem Ort, an dem laut der Carsharing-App ein Auto auf mich wartet, und finde gar nichts." Sie habe auch absurde Situationen erlebt: "Einmal wollte ich ein Carsharing-Auto neben meinem Haus parken und die Miete beenden. Der App zufolge befand sich das Auto aber zu diesem Zeitpunkt in einem See in einem Moskauer Vorort. Ich musste den Carsharing-Dienst anrufen und dem Personal versichern, dass der Wagen nicht im Wasser versunken ist, sondern sicher neben meinem Haus steht."
Die Taxifahrer von heute seien durch Navigationssysteme verwöhnt und versuchten nicht einmal, sich den Stadtplan einzuprägen, beklagt auch Maxim Jedryschow, Leiter des Vereins "Automobilist", gegenüber dem Portal MSK1. Oft würden die Taxifahrer nicht nur die Hausnummern nicht kennen – was noch verständlich wäre – sondern nicht einmal wissen, in welchem Bezirk sich die eine oder andere Straße befinde. Grund sei das lasche Aufnahmeverfahren bei Taxifahrern in Moskau: "Heute kann jeder, der einen Führerschein besitzt und seit mehr als drei Jahren Auto fährt, Taxifahrer werden. Niemand prüft, wie gut der Fahrer die Stadt kennt", schimpft Jedryschow.
Taxiunternehmen machen Verluste, Fahrten werden teurer
Die Technik-Abhängigkeit der Moskauer Taxifahrer hat inzwischen auch die Politik erreicht. Der Vize-Sprecher der Staatsduma, Wladislaw Dawankow, schlug den Behörden vor, einen speziellen Kurs für Taxifahrer zu entwickeln, damit sich diese auch ohne Geräte in der Stadt orientieren können. Und er zögert nicht, den Ausländern die Schuld zuzuschieben: Migranten, die Taxis fahren, könnten sich nicht einmal in der Altstadt orientieren, bemängelte der Politiker. Seit September 2023 gelten in Russland daher strengere Anforderungen: Nun müssen angehende Taxifahrer unter anderem ihre Kenntnisse der Stadtinfrastruktur nachweisen. Dazu gehören beispielsweise kommunale Behörden, Sehenswürdigkeiten, Gesundheitszentren und Bildungseinrichtungen.
Die Navigationsprobleme ließen auch die Einnahmen der Taxifahrer drastisch sinken. Bei Anatoli S. haben sich diese fast halbiert, weil Bestellungen oft storniert würden und die Passagiere negative Bewertungen geben, sagte der Taxifahrer gegenüber dem Portal "Podmoskowje segodnja".
Gleichzeitig beobachtet Stanislaw Jegorzew, dem das Taxiunternehmen "Stax" gehört, dass immer mehr Taxifahrer die Hauptstadt verlassen und in Moskauer Vororte oder andere Regionen ziehen würden, wo es keine GPS-Störungen gibt. "Bei uns sind nur die Fahrer geblieben, die die Stadt perfekt kennen", sagte Jegorzew, gegenüber der Wochenzeitung "Nowije Iswestija". Dies habe die Gewinne seiner Firma negativ beeinflusst.
Gleichzeitig sind wegen des Krieges die Taxipreise deutlich angestiegen. Kostete eine Stadtfahrt von zehn Kilometern früher 450 Rubel, zahlt man heute mindestens 650. Bei schlechtem Wetter können es 1.000 Rubel (rund 10 Euro) werden. Gründe dafür sind einerseits Navi-Probleme, aber auch die sanktionsbedingte Verteuerung von Autoteilen und höhere Wartungskosten. Das führt dazu, dass sich viele Menschen in Moskau, für die es ein alltäglicher kleiner Luxus war, Taxi zu fahren, heute darauf verzichten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 17. Februar 2024 | 07:17 Uhr