Putins Krieg Promis verlassen Russland
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28. März 2022, 08:48 Uhr
Neben Journalisten, Programmiererinnen, Ärzten und Wissenschaftlerinnen verlässt nun auch ein Teil der Prominenz Russland. Wegen Putins Krieg gegen die Ukraine. Von der Bevölkerung werden sie als "Vaterlandsverräter" beschimpft. Ein paar Beispiele.
Der Komiker und die Diva
Am 24. Februar, dem Tag, an dem Putins Russland die Ukraine angriff, postete Maxim Galkin (45), Russlands berühmtester Komiker und Fernsehmoderator ein einfaches schwarzes Quadrat in seinen Instagram-Feed: "Seit dem frühen Morgen bin in Kontakt mit Familie und Freunden aus der Ukraine! Ich kann nicht in Worte fassen, was ich fühle. Wie ist das alles möglich? Es gibt keine Entschuldigung für einen Krieg! Nein zum Krieg!"
Jetzt gibt es Gerüchte, dass er mit seiner Frau, der Mega-Diwa des russischen Pops, Alla Pugatschewa, und seinen Kindern nach Israel geflohen ist. Russische Boulevardzeitungen schreiben, dass der Künstler in Frankreich gesehen wurde. Galkins Konzerte werden im ganzen Land abgesagt. Fans geben ihre Karten zurück, weil sie diesen "Vaterlandsverräter" nicht mehr sehen wollen. Und obwohl Alla Pugatschewa angekündigt hat, dass sie zurückkehren wolle, wird in den russischen sozialen Netzwerken bereits vorgeschlagen, das Schloss in einem Dorf bei Moskau, in dem das prominente Paar lebt, zugunsten eines Waisenhauses zu konfiszieren. Als Antwort auf diese Drohungen schrieb der Komiker auf seinem Telegramm-Kanal: "Es ist nicht der Reichtum, den ich fürchte zu verlieren, sondern mein Gewissen."
Der Late-Night-Host
Russisches Fernsehen ohne Iwan Urgant (43) ist genauso unvorstellbar wie deutsches Fernsehen ohne Günter Jauch und Thomas Gottschalk zugleich. Seit 10 Jahren hat der smarte Showman seine eigene tägliche Late-Night-Show "Wetschernij Urgant", zu Deutsch "Der allabendliche Urgant".
Am ersten Tag der russischen "Spezialoperation" in der Ukraine schrieb er auf Instagram: "Angst und Schmerz! Nein zum Krieg". Gleich am nächsten Tag wurde seine Abendschau abgesetzt. Dann tauchte der Fernsehmoderator unter. Man will ihn mit seiner Frau und Kindern in Israel gesehen haben. Am 13. März meldete er sich via Instagram zurück. "Keine Panik", schrieb Urgant. Er sei im Urlaub und werde zurückkehren. Doch die Gerüchte, dass der "Erste Kanal" ihn gekündigt hatte, reißen nicht ab.
Das "It-Girl"
Xenia Sobtschak (40) ist die umstrittenste und kontroverseste prominente Persönlichkeit Russlands. Die Tochter von Anatoli Sobtschak, dem früheren Bürgermeister von St. Petersburg und politischen Ziehvater von Wladimir Putin, begann ihre Karriere als "It-Girl". 2018 kandidierte sie bei den russischen Präsidentschaftswahlen. Heute ist sie eine der gefragtesten Journalistinnen des Landes mit eigenem YouTube Kanal "Vorsicht, Sobtschak". Zunächst tauchten Gerüchte auf, dass Sobtschak in die Türkei gereist sei, dann bestätigte sie dies auf ihrem Telegramm-Kanal. "Mein Kind hat Schulferien und wir fahren in einen lang geplanten Urlaub. Ich folge also meinem eigenen Rat, nicht in Panik zu geraten. Ich bin Russin, ich bin russische Staatsbürgerin, ich wandere nirgendwohin aus, weder besitze ich eine andere Staatsangehörigkeit noch Yachten".
Einige Tage später tauchten Fotos von Sobtschak mit ihrem Sohn auf, die angeblich auf einem Flughafen in Israel aufgenommen wurden. Fest steht, dass Xenia weiterhin Interviews für ihren YouTube Kanal dreht, aber offenbar nicht in einem Studio in Moskau. Die sonst immer mit Hilfe von mehreren Visagisten zurecht gemachte Fashionista, sieht jetzt, in einem einfachen Hoody vor einem Laptop sitzend, völlig erschöpft aus.
Der Vlogger
Auch der wohl bekannteste russische Journalist und Video-Blogger Juri Dud (34), dessen YouTube-Kanal "wDud" fast 10 Millionen Abonnenten und mehr fast zwei Milliarden Aufrufe hat, soll Russland verlassen haben. Dud interviewt bekannte Musiker, Journalisten, Geschäftsleute, Rapper und Politiker. Sein Markenzeichen: eine furchtlose und kritische Art, seine Gesprächspartner zu befragen. So hat sich Dud in seinem Telegram-Kanal an Personen aus dem Umfeld von Wladimir Putin gewandt und sie aufgefordert, den russischen Präsidenten zu beeinflussen.
"Ich weiß nicht, ob es noch Leute gibt, die Einfluss auf Putin haben, aber nehmen wir an, es gibt sie. Ich weiß nicht, wie sie jetzt einschlafen und aufwachen. Aber allen – von Rotenberg bis Timtschenko, von Tschemesow bis Gref, von Abramowitsch bis Mordaschow, von Kudrin bis Ernst – möchte ich eines ins Gedächtnis rufen: Menschenwürde hat nichts mit Krimbrücken oder Champions-League-Siegen zu tun. Sondern dass man seinem Chef gegenüber seinen Standpunkt zum Ausdruck bringt und ihm erklärt, was für eine Katastrophe gerade passiert." Dud hat seine Meinung in acht Punkten festgehalten. "Der letzte und wichtigste Punkt: Dieser Krieg muss sofort beendet werden", schrieb er. Nun setzt der Journalist die Arbeit auf seinem Kanal fort, doch seine neuen Interviewpartner sind selbst Emigranten, wie der auch in Deutschland bekannte Schriftsteller Boris Akunin, der seit 2014 in London lebt. Obwohl sich Dud nicht über seinen jetzigen Aufenthalt geäußert hatte, nimmt man an, dass er nicht mehr in Russland ist. Würde er zurückkehren, könnten ihm bis zu 15 Jahre Haft drohen. Denn wer nach Ansicht Russlands "falsche" Informationen über die russischen Streitkräfte verbreitet, kann im Gefängnis landen.
Der Filmkritiker
Auch der in Russland bekannte Filmkritiker und Chefredakteur der Zeitschrift "Iskusstwo kino", zu Deutsch "Filmkust", Anton Dolin soll Russland verlassen haben. "Lassen wir nicht zu, dass die Angst unsere Seele auffrisst" – so hieß das Video auf seinem YouTube-Kanal Radio Dolin, das er zusammen mit fünfzehn Schauspielerinnen, Regisseuren und Kameraleuten aufgenommen hat. "Krieg kann nicht unblutig sein, Krieg ist immer eine Katastrophe. Es ist die Aufgabe der Kultur, sich der Gewalt und dem Blutvergießen zu widersetzen. Es ist höchste Zeit, sich an die alten sowjetischen Slogans zu erinnern, die immer noch aktuell sind: "Frieden für die Welt, nein zum Krieg!". Heute, da zu viele Bürger unseres Landes verängstigt sind und Angst haben, ihre eigenen Schlüsse aus den Geschehnissen zu ziehen, ist es die Pflicht der Künstler, sich klar gegen Lügen und Gewalt auszusprechen". Die Liste ließe sich fortsetzen. Einige russische Promis gehen nach Litauen, andere nach Spanien, Frankreich oder Portugal, wieder andere nach Israel oder in die Türkei. Einige begründen in sozialen Netzwerken ihre Entscheidung mit Drohungen, die sie bekommen haben, und dass sie Angst um ihr Leben haben. Andere äußern sich zu ihrer Abreise gar nicht oder kappen sogar ihre Verbindungen zur Außenwelt.
Spaltung der russischen Promiwelt
So wie die russische Gesellschaft zutiefst gespalten ist, so ist auch die Welt des Glitzers und Glamours gespalten. So äußerte sich etwa die Schauspielerin Maria Schukschina, die für ihre ultrakonservativen Ansichten bekannt ist, harsch über die Künstler, die Russland verlassen haben. Sie verglich sie mit Reptilien, die sich in alle Weltrichtungen kriechen, weil sie mit den derzeitigen Lebensbedingungen in Russland nicht mehr zurechtkommen. Ein Duma-Abgeordneter schlug vor, Künstlern, die das Land nun verlassen hätten, die Rückreise nach Russland zu verbieten. "It-Girl" und Journalistin Sobtschak reagierte prompt: "Mir scheint, dass Reisen ins Ausland noch nicht verboten sind, oder habe ich etwas verpasst? Oder ist eine Woche Urlaub gleichbedeutend mit Verrat am Vaterland?", schrieb sie auf Instagram. Am 16. März sagte Wladimir Putin in einer Rede, dass die „natürliche Selbstreinigung der Gesellschaft“ Russland nur stärken würde.
Goodbye, Putin!
Die Schauspielerin Tschulpan Chamatowa (46), die der deutsche Zuschauer aus dem Film „Good Bye, Lenin!“ kennt, hat sich inzwischen in Riga, Lettland niedergelassen.
In einem sehr emotionalen YouTube Interview sagte die Gründerin der Stiftung "Schenkе das Leben", die krebskranken Kindern hilft: "Ich weiß genau, dass ich keine Verräterin bin. Ich liebe meine Heimat. Ich habe aber Angst zurückzukehren. Denn ich kann mich nicht belügen, ich kann die ganze Welt nicht belügen und das Schwarze weiß nennen". Man habe ihr zu verstehen gegeben, dass ihre Rückkehr unerwünscht sei. Während viele Russen inzwischen diejenigen verfluchen, die noch vor kurzem ihre Idole waren, gibt es auch andere Stimmen. So schrieb ein Fan unter dem letzten Interview von Juri Dud: "Jura, wenn das wahr ist und du gegangen bist, hast du das Richtige getan. Wir brauchen Dich frei. Bitte setz deine Arbeit fort, wo auch immer Du sein solltest."