Zukunft des Handels Sterben die Shopping-Malls in Polen aus?
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14. Juli 2024, 05:00 Uhr
Die großen Einkaufscenter sterben aus! Solche alarmierenden Schlagzeilen sind seit der Corona-Pandemie regelmäßig in den polnischen Medien zu lesen. Meist folgt eine mehr oder minder lange Liste bekannter Shopping-Malls, die in den letzten Jahren schließen mussten, weil sie unrentabel geworden waren. Doch geht die Ära der Shopping-Malls wirklich zu Ende? Werden sie den Kampf gegen den Onlinehandel genauso verlieren wie die Warenhäuser in Deutschland? Nicht zwingend, meinen Experten.
Bekannte Einkaufscenter schließen
Einst standen die riesigen Shopping-Malls für den polnischen Erfolg. Sie zeigten augenfällig, dass das Land nach vier Jahrzehnten Planwirtschaft zum Westen aufschließt – optisch, was die Standards im Einzelhandel betrifft, aber auch in Sachen Kaufkraft, denn fürs Einkaufen in diesen Konsumtempeln braucht man ein relativ prall gefülltes Portemonnaie.
Doch nun rollt eine Schließungswelle übers Land, könnte man jedenfalls glauben, wenn man Presseartikel zu dem Thema liest. Ein prominentes Beispiel sind Arkady Wrocławskie – zu Deutsch Breslau-Arkaden. Die Lage am Rande der Altstadt und mit guter ÖPNV-Anbindung schien perfekt. Bei seiner Eröffnung beherbergte das Center 130 Geschäfte, 1.100 Parkplätze und als besondere Attraktion eine Skulptur von Salvador Dali und ein Aquarium mit einem 200 Tonnen schweren Haifisch. Doch nach 17 Jahren war Ende April 2024 Schluss – die Breslau-Arkaden sollen einer Neubebauung weichen. Ähnliche Beispiele wurden aus Warschau, Krakau, Posen und Gdingen gemeldet. Was war passiert?
Pandemie, Onlinehandel und Inflation
Die Schließungen sind auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Während der pandemiebedingten Lockdowns blieben die Einkaufszentren leer, und auch nach den Lockerungen blieben viele Kunden aus Angst vor Ansteckung fern. Dies hat einen Trend verstärkt, der schon vor der Pandemie sichtbar war: Immer mehr Menschen kaufen online ein. Das belegt unter anderem der jährliche E-Commerce-Report des Marktforschungsunternehmens Gemius: Kauften im letzten Vor-Pandemie-Jahr 2019 "lediglich" 62 Prozent der polnischen Internetuser online ein, waren es 2023 bereits 79 Prozent.
Auch die von der PiS-Regierung schrittweise eingeführte Sonntagsschließung der großen Geschäfte hat die Einnahmen mancher Einkaufsgalerien, wie man sie in Polen nennt, geschmälert, denn viele Polen betrachteten den Bummel durch eine Mall als eine Art Sonntagsausflug für die ganze Familie, oft im Anschluss an den Gottesdienst.
Hinzu kommt eine enorme Marktsättigung mit Einkaufszentren. In Warschau, Posen, Krakau und dem oberschlesischen Ballungsraum übersteigt sie die europäischen Durchschnittswerte. Als nach der Pandemie der Ukraine-Krieg die Inflation und die Energiekosten in die Höhe schnellen ließ, wurde der Betrieb hier und da unrentabel, denn die Kunden hatten weniger Realeinkommen, das sie ausgeben konnten, und die Shopping-Malls gleichzeitig deutlich höhere Betriebskosten.
Um auf dem Markt bestehen zu können, brauchen Einkaufszentren der Konsumforscherin Małgorzata Twardzik zufolge künftig eine gute Strategie, wie sie sich von der Konkurrenz abheben, ihr Angebot vervollkommnen und die Angebotsstruktur an die aktuellen Trends anpassen können. "Wenn sie keine Entwicklungsstrategie haben, treten sie in eine sogenannte Niedergangsphase ein", sagte Twardzik im Interview mit der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza".
Kein Shopping-Mall-Sterben, aber Konsolidierung
Dennoch wollen Brancheninsider und Wirtschaftsexperten die These vom Ende der Shopping Malls nicht unterschreiben und sprechen eher von einer Umstrukturierung, Konsolidierung und Marktbereinigung. "Als 'ausgestorben' gelten Einkaufsgalerien, die eine Leerstandsquote [nicht vermietete Ladenflächen – Anm. d. Red.] von mehr als 70 Prozent aufweisen. In Polen sind das nur Einzelfälle", sagte Twardzik der "Gazeta Wyborcza". Ganz anders sähe das in den USA, China und Südeuropa aus.
Ein Blick in die Statistik bestätigt das: In Polen gibt es rund 600 kleinere und größere Einkaufszentren – gemessen daran sind die von der Presse genannten Schließungen also Einzelfälle, auch wenn sie spektakulär sind, weil es sich um einstige Vorzeigeobjekte in guter Lage und in den größten Städten des Landes handelt.
Innovationen als Schlüssel zum Erfolg
Besonders gute Karten haben in Zukunft Experten zufolge Einkaufszentren, die sich laufend neu erfinden, d.h. aktuelle Trends beobachten und neue Mieter aufnehmen. Auch die Gastrobereich, im Fachjargon "Food-Courts" genannt, die früher fast ausschließlich Fastfood anboten wandeln sich und werden durch "Food-Halls" ersetzt, die auch edlere Restaurants, gute Fleischer und Delikatessengeschäfte an einem Ort vereinen, ergänzt um ein Unterhaltungsangebot.
"Es gibt auch immer mehr Läden, die Produkte von kleinen, lokalen Erzeugern sowie Öko-Produkte anbieten. In den letzten Jahren haben sich in den Galerien außerdem Arzt- und Zahnarztpraxen, Sprachschulen, Kunstgalerien, aber auch Kletterwände, Eislaufbahnen und Coworking-Spaces angesiedelt", sagt Konsumforscherin Twardzik. Auf die zunehmende Beliebtheit des Online-Handels reagieren die Malls, indem sie Click-and-Collect-Punkte einrichten – dort können Kunden ihre im Internet bestellten Waren abholen, wobei sie oft "bei Gelegenheit" weitere Einkäufe in stationären Läden erledigen.
Jakub Skwarło, der beim Investmentunternehmen Unibail-Rodamco-Westfield das operative Geschäft mit Premium-Einkaufszentren in Polen, Tschechien und Deutschland leitet, bestätigt diese Trends aus Sicht eines großen Mall-Betreibers. So habe sein Unternehmen auf die größere Sensibilität der jüngeren Kunden in Sachen Umweltschutz mit einer Strategie zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks reagiert, sagte er im Interview mit dem Wirtschaftsportal "Business Insider Polska". Auch auf den Trend zur Individualisierung und lokaler Verwurzelung will man bei Unibail-Rodamco-Westfield eine Antwort haben: "Wir unterstützen die lokalen Gemeinschaften und arbeiten mit den Behörden der Städte, in denen wir tätig sind, zusammen."
Außerdem ist der Manager überzeugt, dass der Onlinehandel den stationären Handel nicht verdrängen wird. Selbst in Großbritannien, wo E-Shops bereits einen besonders hohen Marktanteil hätten, seien Einkaufscenter sehr erfolgreich. "Sicherlich werden die Grenzen zwischen der Online- und der Offline-Welt in Zukunft aber immer mehr verschwimmen. So wird es beispielsweise zum Standard werden, dass man in einem Geschäft etwas in den Einkaufswagen legt, den Laden verlässt und bezahlt, ohne zur Kasse zu gehen", so Skwarło gegenüber "Business Insider Polska".
Erfolgreiches Beispiel: Manufaktura
Wie man agil bleibt und mit den Veränderungen am Markt Schritt hält, zeigt das Einkaufszentrum Manufaktura in Lodsch – eines der größten und erfolgreichsten in Polen. Es ist 2006 auf dem Gelände der ehemals größten Textilfabrik der Stadt eröffnet worden. Lodsch war einst ein Zentrum der Textilindustrie, das Manchester des Ostens. Die Verbindung von denkmalgeschützter Industriearchitektur mit modernen Einkaufsmöglichkeiten verleiht der Manufaktura einen einzigartigen Charme, der sie von anderen Einkaufszentren abhebt. "Denkmalgeschützte Gebäude altern nicht bzw. sie altern edel. Mit jedem Jahr werden sie schöner. Wenn man etwas Neues baut, eine "Blechbüchse", dann ist es nach 10-15 Jahren tatsächlich abgenutzt, während diese Gebäude, wenn man sie pflegt, nichts einbüßen, im Gegenteil, sie gewinnen sogar", sagte Manufaktura-Direktor Sławomir Murawski der "Gazeta Wyborcza".
Das Einkaufscenter ist sogar zu einer Touristenattraktion geworden, dem Eiffelturm von Lodsch, wie manche scherzhaft sagen. Doch es verlässt sich nicht nur auf seinen postindustriellen Charme. "Wir machen regelmäßig Umfragen, welche Geschäfte oder Dienstleistungen in der Manufaktura fehlen. Wir versuchen, die begehrtesten Ketten anzulocken", erzählt Murawski. Die zuständige Abteilung plane stets für zwei Jahre im Voraus.
Auch auf den zunehmenden Onlinehandel hat die Manufaktura reagiert und ein großes Lager eingerichtet, in dem die Mieter ihre Click-and-Collect-Ware lagern können. Auf das steigende Klimabewusstsein der Kunden hat die Mall mit dem Bau einer eigenen Solarfarm reagiert. 50 Prozent der Energie, die auf den Gemeinschaftsflächen verbraucht wird, sollen vor Ort erzeugt werden, so das ausgegebene Ziel. Außerdem versucht man, den Stromverbrauch zu reduzieren.
Außerdem lockt die Manufaktura regelmäßig mit Events und Attraktionen jenseits vom Einzelhandel. So wird hier am letzten Juli-Wochenende eine der drei Bühnen eines beliebten Musikfestivals stehen, auf der Stars des polnischen Showgeschäfts wie Lady Pank und Mery Spolsky auftreten sollen. Weitere Publikumsmagnete waren in der Vergangenheit Filmvorführungen im Freien, Lasershows, ein Sandstrand im Sommer und eine Eisbahn im Winter.
Die Bemühungen kommen offenbar gut an. Die Besucherzahlen steigen, und Manufaktura-Chef Murawski betont, dass die Einwohner von Lodsch eine emotionale Bindung an diesen Ort entwickelt hätten.
Polen-Reportage in der ARD-Mediathek
Unsere Reporter haben die Manufaktura und die Stadt Lodsch im Rahmen einer größeren Reise durch Polen besucht. Sie durchquerten das Land von West nach Ost auf der A2, der "Autobahn der Freiheit", und trafen spannende Menschen, deren Geschichten Polens unglaubliche Entwicklung seit dem EU-Beitritt zeigen. Alle Stationen der Reise können Sie in der ARD-Mediathek sehen. Der Film "Cześć Polska - Hallo Polen" ist eine Co-Produktion der Sender RBB und MDR.
Dieses Thema im Programm: ARD Videopublisher | Cześć Polska - Hallo Polen | Unterwegs auf der Autobahn der Freiheit | 03. Juli 2024 | 20:15 Uhr