Dekofiguren modernisiert Warum der deutsche Gartenzwerg aus Polen kommt
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06. Juli 2024, 10:58 Uhr
Gartenzwerge gelten vielen als spießig und geschmacklos, doch eines steht fest: Sie gehören zu den meistverbreiteten Klischees, die man mit den Deutschen in Verbindung bringt – erst recht in Polen, wo viele dieser Figuren hergestellt wurden und immer noch werden. Ihren größten Boom erlebten sie dort in den 1990er Jahren. Heute sind sie bei weitem nicht mehr so gefragt, doch eine polnische Fabrik hat die Gartenzwergtradition dank einer modernen Produktpalette ins 21. Jahrhundert katapultiert.
Gartenzwerge waren schon lange in deutschen Gärten anzutreffen, in den 1990er Jahren erlebten sie aber einen besonderen Boom. Was weniger bekannt ist: Ein Großteil dieser Figuren kam aus Polen. Die westpolnische Kreisstadt Nowa Sól, rund 20 Kilometer von Zielona Góra entfernt, hat sich – ein wenig notgedrungen – zu einem Zentrum der Gartenzwergherstellung entwickelt.
Gartenzwerg-Hochburg aus der Not heraus
Im Sozialismus waren die Fadenfabrik Oder und die Metallurgie-Werke Dozamet die größten Arbeitgeber von Nowa Sól. Ihre Schließung nach 1989 riss die Stadt in einen wirtschaftlichen Abgrund. Fast jeder zweite Einwohner verlor seine Arbeit. Nowa Sól wurde zu einem Hotspot für Gangs und Banden, Kleinkriminelle aus der Region unternahmen Raubzüge bis nach Berlin – besonders die dortigen Juwelierläden hatten es ihnen angetan.
Daran kann sich Adam Zakrzewski sehr gut erinnern, denn er wollte damals Polizist werden. Sein Vater Bogdan hatte aber eine bessere Idee – mit der er die ganze Stadt vor dem Ruin rettete. Schon Jahre vor der Wende hatte der Senior eine Manufaktur gegründet, in der er anfangs Gipsnippes herstellte. Solche privaten Kleinbetriebe wurden in Polen auch im Sozialismus in einem begrenzten Umfang geduldet. Eigentlich hatte Bogdan Zakrzewski als Technologe bei den später "abgewickelten" Mettalurgiewerken das nicht nötig: "Er verdiente recht gut, aber er stellte seine Familie über alles und wollte, dass sie ein bisschen besser lebt als die durchschnittlichen Menschen in Polen", beschreibt Zakrzewski Junior die Motivation seines Vaters.
Von Jesusfiguren zu Gartenzwergen
Nach dem Nippes kamen größere Jesus- und Jungfrau-Maria-Figuren für Friedhöfe und Kirchen dran – anfangs aus Beton, doch nach zahllosen Versuchen gelang es dem Tüftler Zakrzewski, ein Komposit aus Polyesterharzen zu erfinden, das seine Figuren deutlich leichter, ihn selbst aber zu einem Schwergewicht der Branche machte. Kurz vor der Wende begann Zakrzewski schließlich, mit Gartenzwergen zu experimentieren – genau zum richtigen Zeitpunkt, denn "mit dem Fall der Berliner Mauer brach eine wahre Lawine los", wie sich sein Sohn erinnert.
Es war nämlich nicht nur eine Zeit, in der die Kriminalität exorbitant zunahm, sondern auch der Unternehmergeist der Polen. Viele krempelten die Ärmel hoch, um die Marktwirtschaft aufzubauen – sie gründeten Tante-Emma-Läden, Imbissbuden, Second-Hand-Geschäfte mit westlicher Kleidung, Kassettenverleihe… Und Zakrzewskis Vater verhalf der Stadt Nowa Sól zu einem neuen Industriezweig.
Neuer Industriezweig für Nowa Sól
Im Mai 1993 verriet Zakrzewski die geheime Rezeptur seines Komposits zwei Freunden, die sie eigentlich geheim halten sollten. Doch bis Jahresende gab es schon gut 200 Gartenzwergfabriken in der Stadt. 28 von ihnen bekamen die Technologie, die Zakrzewski nie patentiert hatte, offiziell von ihm, die anderen gaben sie unter der Hand weiter. Aus jedem Winkel in der Stadt kroch der charakteristische Geruch des Komposits. Die Produktion war zu Beginn oft partisanenmäßig: in Kellern, Garagen und Scheunen, teils ohne grundlegende Einrichtungen und Werkzeuge und mit viel Handarbeit. Doch die polnischen Produzenten stießen in eine Marktlücke: Kein Basar an der Grenze zu Deutschland konnte damals ohne diesen polnischen Exportschlager auskommen.
Mit der Zeit änderte sich aber der Geschmack der Kunden, die Nachfrage nach klassischen Gartenzwergen ließ nach. Doch die Firma Bezet, nach den Initialen von Bogdan Zakrzewski benannt, blieb nicht stehen. Sein Sohn Adam übernahm sie 1996 und passte das Sortiment nach Ende des Gartenzwerg-Booms an die neuen Marktbedürfnisse an.
Moderne Deko trotzt China-Konkurrenz
Statt süßer Zwerge werden heute Super-Marios und allerlei andere Kitsch-Maskottchen hergestellt, etwa Elvis Presley, King Kong, Tim und Struppi, Betty Bou und Stormtrooper. Das Design: modern und zeitgemäß statt urig-romantisierend. Die Figuren sind nicht nur für den Garten gedacht, sondern auch als Innenraum-Dekoration. Viele werden außerdem maßgeschneidert nach Kundenwunsch hergestellt. Und sie gehen längst nicht nur nach Deutschland, sondern auch nach Frankreich, Serbien oder Italien.
Mittlerweile verbindet auch die dritte Generation Zakrzewski ihre Zukunft mit dem Familienunternehmen: Adams Söhne Arek und Adrian. "Ich habe auf dem Bau angefangen zu arbeiten, dann bin ich für ein paar Monate nach Deutschland gegangen. Aber alleine im Ausland zu sein, das ist nicht so toll. Deshalb bin ich zurückgekommen. Hier zu arbeiten ist schon cool", sagt Arek.
Adrian schätzt vor allem die familiäre Atmosphäre: "Mir gefällt, dass wir ein Familienunternehmen sind. Mein Chef ist mein Vater und nicht irgendein fremder Kerl, bei dem ich nicht weiß, woran ich bin." Arek ergänzt: "Wir können auch mal die Initiative ergreifen und werden dabei ernst genommen. Und wenn ein Kunde zu uns sagt, dass die Qualität genau so ist, wie er sie haben wollte, zaubert das einem schon ein Lächeln ins Gesicht."
Klassische Gartenzwerge haben ausgedient
Die Produktionshallen von Bezet sind gefüllt mit einer bunten Vielfalt an modernen Figuren. In einem Regal steht aber noch einer der wenigen verbliebenen Gartenzwerge, ein Relikt der Vergangenheit. "Wir produzieren sie nicht mehr", sagt Adam Zakrzewski und zeigt auf die neuen Kreationen, die bereit für den Versand sind.
Von den einst gut 200 Zwergen-Produzenten in Nowa Sól sind nur noch etwa dreißig übriggeblieben. Die Konkurrenz aus China, wo günstiger produziert wird, ist stark. Doch Zakrzewski bleibt optimistisch: "Die Lieferwege zu den Kunden sind kurz. Auf spezielle Wünsche können wir unkompliziert und schnell reagieren", betont er und resümiert: "Wir haben den Boom der 1990er Jahre in ein nachhaltiges Wachstum überführt."
In der Tat: Die Firma Bezet hat es geschafft, sich an den veränderten Geschmack anzupassen und ihre Marktposition zu verteidigen. Mit einer Mischung aus Tradition, Familiengeist und Innovationskraft blickt man hier optimistisch in die Zukunft.
Die Geschichte des Gartenzwergs (Infobox zum Aufklappen)
Gartenzwerge gelten heute vielen als geschmacklos und kitschig, doch das war nicht immer so – in früheren Jahrhunderten schmückten sie die Gärten der Aristokratie und der reichen Bourgeoisie und galten als Synonym erlesenen Geschmacks. Im Salzburger Zwergelgarten stehen beispielsweise Marmorgnome, die über 320 Jahre alt sind. Sie gehen auf Kupferstich-Karikaturen des französischen Grafikers Jacques Callot vom Anfang des 17. Jahrhunderts zurück.
Schon Ende des 18. Jahrhunderts sind Gartenzwerge so verbreitet, dass sie Eingang in die Literatur finden: Goethe schreibt in seinem Epos "Hermann und Dorothea" über einen "in der ganzen Gegend" berühmten Garten mit "farbigen Zwergen". Ihre größte Blütezeit erleben die Figuren aber der Regensburger Kulturwissenschaftlerin Esther Gajek zufolge ungefähr von der Reichsgründung 1871 bis zum Anfang der 1920er Jahre. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnt im thüringischen Gräfenroda sogar die Serienproduktion von Gartenzwergen, die von dort bis nach Großbritannien exportiert werden.
Auch heute sind die Figuren nicht nur in den deutschsprachigen Ländern beliebt. Medienberichten zufolge gab es auf den britischen Inseln nach der Coronapandemie, als das Gärtnern als Freizeitgestaltung alle Rekorde brach, nicht ausreichend Gartenzwerg-Nachschub. Interessant auch: In Basel in der Schweiz wurde 1984 die Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge gegründet – echte Gartenzwerge müssen nach ihrer Definition eine Zipfelmütze tragen und aus natürlichen Materialien wie Lehm, Ton oder Holz hergestellt sein – doch da wären die Komposit-Zwerge aus Nowa Sól bereits durchgefallen!
Polen-Reportage in der ARD-Mediathek
Unsere Reporter haben die Gartenzwerg-Stadt Nowa Sól im Rahmen einer größeren Reise durch Polen besucht. Sie reisten quer durchs Land von West nach Ost auf der A2, der "Autobahn der Freiheit", und traffen spannende Menschen, deren Geschichten Polens unglaubliche Entwicklung seit dem EU-Beitritt zeigen. Alle Stationen der Reise können Sie in der ARD-Mediathek sehen. Der Film "Cześć Polska - Hallo Polen" ist eine Co-Produktion der Sender RBB und MDR.
Dieses Thema im Programm: ARD Videopublisher | Cześć Polska - Hallo Polen | Unterwegs auf der Autobahn der Freiheit | 03. Juli 2024 | 20:15 Uhr