Serbisch-orthodoxe Kirche Der Rock 'n' Roll-Patriarch
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10. Juni 2021, 18:26 Uhr
Ein serbischer Patriarch, der Bob Dylan und Jethro Tull mag, der als Mönch mit Rockmusikern und Schauspielern über Kunst diskutierte, Drogensüchtigen und Alkoholikern das Tor seines Klosters als Zuflucht öffnete? Bis vor kurzem war das unvorstellbar. Mit der Wahl von Porfirije Perić, vormals Metropolit von Zagreb und Ljubljana, ist das nun Realität geworden.
"Wir haben einen Rock ‘n’ Roll-Patriarchen", hatte sich ein Freund von mir in einem Belgrader Café lauthals gefreut, als uns im Februar die Nachricht erreichte, dass sich gegen zwei erzkonservativen Kandidaten der viel jüngere, modernere Porfirije durchgesetzt hatte. Mir gefiel auch der Gedanke, dass der neue Patriarch keinen Hehl daraus machte die Lieder von "Partibrejkers" zu mögen, meiner Lieblingsrockband aus dem postjugoslawischen Raum. Im völkisch gesinnten, von Volksmusik und politischem Dogma geprägten Serbien, in dem der kritische und aufständische Punkrock in den Untergrund gedrängt wurde, war das allein schon aus atheistischer Sicht ein Durchbruch.
Große Erwartungen an den neuen Patriarchen der serbisch-orthodoxen Kirche
Die Erwartungen an Porfirije sind gewaltig – und widersprüchlich: Die einen erwarten, dass der neue Patriarch in die Fußstapfen seines Vorgängers Irinej I tritt, der den weltlichen serbischen Machthabern aus der überpotenten Serbischen Fortschrittspartei (SNS) sehr nahe stand und sie mit kirchlichen Orden und Lob überschüttete. Patriarch Irinej erlag im November 2020 den Folgen einer Covid-19-Infektion.
Die anderen – zu denen auch ich mich zähle – erhoffen sich von Porfirije, dass er die Kirche zumindest von der Politik fernhält oder sich sogar dagegen auflehnt, dass die kritischen Teile der Gesellschaft fortwährend stigmatisiert werden.
Seit der Inthronisation von Porfirije sind nun noch nicht ganz vier Monate vergangen. Der Patriarch verhält sich zurückhaltend und vorsichtig, hat kaum etwas gesagt oder getan – und doch scheint die serbisch-orthodoxe Kirche unter einem anderen Stern zu stehen. Denn Serbien hatte nie zuvor so einen Patriarchen.
Porfirije ist einflussreich
Der Patriarch ist das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, der eine große Mehrheit der Serben angehört: Sie hat Schätzungen zufolge – genaue Zahlen gibt es nicht – über zehn Millionen Anhänger, die Hälfte davon im Ausland. Deshalb erstreckt sich das Einflussgebiet der serbisch-orthodoxen Kirche über das gesamte Gebiet des ehemaligen Jugoslawien – und darüber hinaus. Das Wort des Patriarchen hat also Gewicht.
Porfirije als Patriarch der Versöhnung
Hinter all der geistlichen Würde und dem großen, wilden, grauen Bart versteckt sich bei Porfirije ein schelmisches Lächeln. Die Falten an seinen Augen verraten einen Mann, der gern und oft lacht. Er erweckt den Eindruck eines modernen Menschen. "Er versteht perfekt, wie die heutige Welt funktioniert", sagt die Journalistin und Theologin Jelena Jorgačević. Er sei ein "Patriarch der Versöhnung", erklärt sie, und zwar sowohl innerhalb der serbisch-orthodoxen Kirche, als auch nach außen.
Nach dem "nationalen Erwachen" der jugoslawischen Völker und Völkerschaften und dem kriegerischen Zerfall des sozialistischen Jugoslawien wuchs der Einfluss der Kirchen innerhalb der jeweiligen Volksgruppen gewaltig: Jeder guter Kroate hatte ein Katholik zu sein, ein guter Serbe musste orthodox getauft sein. Während des Krieges dann spielten die katholische und die serbisch-orthodoxe Kirche keine versöhnende Rolle.
Bereits als Metropolit von Zagreb und Ljubljana tat Porfirije daher engagiert für die Versöhnung der katholischen Kroaten und der orthodoxen Serben ein. "Ich bin Serbe, aber vor allem bin ich Christ, und das ist ein universaler Wert und deshalb werde ich von Jesus Christ zeugen und von ihm predigen. Ich liebe mein Volk, aber ich liebe und werde ein jedes anderes Volk lieben, einen jeden Menschen, und eine jede Ikone Gottes", pflegte Porfirije während seiner siebenjährigen Amtszeit als Metropolit in Kroatien zu sagen.
Deshalb lernten die Bewohner von Zagreb Porfirije bereits schätzen, als er noch "ihr" Metropolit war. Und als Mitte Mai ein links-grünes Bündnis die Kommunalwahlen in Zagreb gewann, gratulierte er inzwischen als Patriarch hocherfreut zum Wahlsieg. Dazu lieh er sich die Verse von Džoni Štulić, des Frontmannes einer der bekanntesten jugoslawischen Rock- und Popbands Azra: "Wenn Zagreb aus dem Schlaf erwacht". Patriarch Porfirije äußerte die Hoffnung, dass vor uns allen einer neuer Morgen steht, der alles verändern wird. Wenn der Patriarch progressiven Kräften gratuliert und auf Veränderung hofft, wird man nicht nur in Zagreb, sondern auch in der Regierung in Belgrad hellhörig.
Das Patriarchenamt wird verlost
Übrigens: Um die Wahl des Patriarchen der politischen Einflussnahme zu entziehen, wird er durch die "apostolische Verlosung" bestimmt, bei der am Ende tatsächlich das Los – oder eben der Heilige Geist – entscheidet, welcher der bischöflichen Kandidaten Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche wird.
Die drei Kandidaten für das Amt des Patriarchen werden zuvor von den stimmberechtigten Bischöfen – derzeit sind es 39 – aus ihrer Mitte gewählt. Ihre Namen werden dann in Umschlägen in einen leeren Evangelien-Buchdeckel gelegt, aus der ein Mönch den Namen des Gewinners zieht. Diesmal: Porfirije Perić.
Patriarch Porfirije setzt auf symbolische Gesten
Von Beginn seiner Amtszeit an setzt Patriarch Porfirije auf symbolträchtige Gesten: Man "erwischte" ihn mit der Kamera, wie er allein zu Fuß durch Belgrad ging; zu Ostern speiste er mit Obdachlosen und besuchte im Krankenhaus kranke Kinder; im Umgang mit Menschen ist er spontan, spricht nicht von oben herab, wie man es selbst von normalen orthodoxen Priestern gewohnt ist. Kein Prunk, keine Erhabenheit. Dabei ist er wohl der am höchsten gebildete serbische Patriarch der Neuzeit. Als Nachfolger des berühmten serbischen Psychiaters Vladeta Jerotić unterrichtete er an der Theologischen Fakultät in Belgrad das Fach "Psychologie des Hirten".
Ändern sich in Serbien die Zeiten?
"The Times They Are A‐Changin", sang Bob Dylan, dessen Lieder der serbische Patriarch gern hört. Und in Serbien fragt man sich: Ist die konservative orthodoxe Kirche gerade im Wandel? Der serbische Patriarch ist in der Heiligen Synode nur "der Erste unter den Gleichen". Doch die alte Garde von autoritären Bischöfen verabschiedet sich allmählich ins Jenseits, für die Verhältnisse der kirchlichen Würdenträger werden sie von jüngeren Gottesmännern ersetzt. Porfirije ist einer von ihnen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 08. Juni 2021 | 17:00 Uhr