Slowakei
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Slowakei Braunbären als biologische Waffe: Fakenews in der Slowakei

26. Oktober 2023, 13:29 Uhr

In der Slowakei wird gerade eine neue Regierung zusammengestellt. Der künftige Ministerpräsident Robert Fico hat die Wahl nicht zuletzt dank Falschnachrichten und Verschwörungstheorien gewonnen, die von alternativen Nachrichtenportalen verbreitetet werden. Wegen solcher Fakenews weigert sich Präsidentin Zuzana Čaputová nun, den designierten Umweltminister Rudolf Huliak zu ernennen - er leugnet den Klimawandel und hält Bären für eine biologische Waffe der EU im Kampf gegen die Slowakei.

Der tschechische Journalist Robert Schuster
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"Braunbären sind eine biologische Waffe der EU, um die Slowakei zu zerstören" - diese und weitere ähnliche Aussagen machten im 5,4 Millionen Einwohner zählenden Land im abgelaufenen Wahlkampf die Runde. Da sie jeglicher faktischen Grundlage entbehren, kann man solche Behauptungen als Fakenews bezeichnen. Ihren Weg zum Publikum finden sie nicht nur über diverse Social-Media-Kanäle, sondern auch über sogenannte alternative Medienseiten, die sich in der Slowakei großer Beliebtheit erfreuen.

Bei den slowakischen Parlamentswahlen blieb das nicht ohne Konsequenzen: Die Aussage über die Braunbären stammte von Rudolf Huliak, dem Bürgermeister von Očová, einer kleinen Ortschaft in der Mittelslowakei, mehr als 200 Kilometer östlich von der Hauptstadt Bratislava entfernt.

Huliak kandidierte für die national-populistische Slowakische Nationalpartei (SNS), galt wegen seines letzten Platzes auf der Wahlliste zunächst jedoch eher als chancenlos. Doch dank seines guten Ergebnisses mit mehr als 58.000 Stimmen konnte er innerhalb der Wahlliste aufrücken und den Sprung ins Parlament schaffen. In der künftigen Regierung des Wahlsiegers Robert Fico von der formell sozialdemokratischen, de facto aber populistischen Smer-Partei gilt er auch als heißer Anwärter für das Amt des Umweltministers.

Ein großer Braunbär.
Braunbär in der Hohen Tatra: Einer Verschwörungstheorie zufolge werden die Tiere von der EU gezielt als biologische Waffe gegen die Landbevölkerung der Slowakei eingesetzt. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Huliak leugnet den Klimawandel und spricht sich dezidiert gegen strengere Auflagen in Nationalparks aus. Gelegentlich hetzt er auch gegen sexuelle Minderheiten. Vor einem Jahr erklärte Huliak allen Ernstes, sollte er jemals die Führung des Staats übernehmen, würde er als Erstes nach Moskau fahren, um sich dort für die Waffenlieferungen und andere Hilfe seines Landes an die Ukraine zu entschuldigen.

Ficos "Auferstehung" mithilfe alternativer Medien

Auch der designierte Premierminister Fico hat sich in jüngster Vergangenheit im umfangreichen Arsenal der slowakischen Fakenews bedient. Während der Covid-Pandemie hat er sie aktiv verbreitet und versucht, sich an die Spitze der Corona-Maßnahmen-Gegner zu setzen, was ihm größtenteils auch gelang.

Wahlplakat von Robert Fico
Wahlplakat von Robert Fico Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Slowakische Politikexperten sind sich einig, dass Ficos "politische Auferstehung" nach seinem erzwungenen Rücktritt vor drei Jahren auch auf den starken Einfluss von sogenannten alternativen Medien zurückzuführen ist. Diesem Thema und der Beobachtung der heimischen Szene von Verschwörungsideologen widmet sich seit Langem die unabhängige slowakische Denkfabrik infosecurity.sk. Ihre Leiterin Michaela Růžičková erklärt dem MDR die Strategie von Fico und anderen gleichgesinnten Politikern: "Fico und seine Parteikollegen haben langfristig die Objektivität und Relevanz der traditionellen Medien, der sogenannten Mainstream-Medien, in Zweifel gezogen. An deren Stelle wurden verschiedene Typen von alternativen Medien bevorzugt. Damit verschafften sie sich bei den Konsumenten dieser Medien stärkeres Gehör, gerade bei denjenigen, die fast nur diese Art von Medien verfolgen."

Wie Růžičková weiter anmerkt, trage auch der Nimbus von Zensuropfern zu deren Popularität bei: "Meiner Meinung nach könnte auch eine wichtige Rolle gespielt haben, dass diese Sorte von Medien als jene betrachtet wurden, die einer angeblichen Zensur ausgesetzt sind, die vonseiten des Staates angeblich ausgegrenzt und unter Druck gesetzt werden. Es ist gerade diese Opferrolle, die das Interesse der Bevölkerung an dieser Art von Medien verstärken konnte."

Mangelende Medienkompetenz junger Slowaken

Slowakei Politiker
Der ehemalige slowakische Parlamentspräsident Andrej Danko sucht die Nähe zu Russland. Hier ist er 2019 mit dem Vorsitzenden der russischen Staatsduma Wjatscheslaw Wolodin zu sehen. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Michaela Růžičková meint zudem, dass dieses Phänomen in den vergangenen Jahren zu einer sehr ernst zu nehmenden Größe geworden ist. Ihrer Meinung nach ist das auch deshalb so, weil die Schulen dieses Thema in ihren Lehrplänen noch gar nicht erfasst haben. Junge, internetaffine Menschen, die mit klassischen Medien, wie Zeitungen oder dem Fernsehen, nichts anzufangen wissen, sind dem Einfluss dieser alternativen Medien, die immer raffinierter vorgehen, besonders stark ausgesetzt.

Warum Slowaken an Verschwörungstheorien glauben

Dafür, dass Verschwörungstheorien ausgerechnet in der Slowakei derart regen Zulauf haben, kämen verschiedene Erklärungen infrage, sagt der slowakische Politikwissenschaftler Grigorij Mesežnikov vom Institut für öffentliche Fragen (IVO) im Gespräch mit dem MDR: "Da spielen kollektive historische Erfahrungen eine Rolle. Man neigt zur Vorstellung, dass die Slowakei ein kleines Land sei und ohnehin über alles Wichtige jenseits ihrer Grenzen entschieden wird."

Fico hat bereits drei Amtszeiten als Regierungschef hinter sich - eine Studie des IVO-Instituts zeigte bereits damals, dass viele Anhänger seiner Smer-Partei davon überzeugt waren, dass in Wahrheit jemand anderes die Strippen zieht.

"Am Einfluss der Verschwörungstheorien haben die russischen Desinformationskampagnen ihren Anteil, aber auch die Tatsache, dass die wichtigsten Politiker des Landes sich aktiv an der Verbreitung dieser Theorien beteiligen", erklärt Mesežnikov. "Dadurch verleihen sie den alternativen Medien Legitimität, und zwar auch den radikalsten unter ihnen, indem sie ihnen Interviews gewähren. Sie behaupten, diese Medien seien genauso wichtig wie die klassischen."

Spitzenpolitiker mit großer Nähe zu Russland

Anfällig für die von Russland in Umlauf gebrachten Fakenews ist die Slowakei auch deshalb, weil offene Russland-Sympathisanten sich in der Vergangenheit in führenden Positionen befanden, etwa Andrej Danko als Parlamentspräsident oder auch der jetzige Vizechef von Smer, Ľuboš Blaha.

Die beiden Politiker sind auch für ihre antiwestlichen Haltungen bekannt. Danko, der Vorsitzender der Slowakischen Nationalpartei ist, war in seiner Zeit als Parlamentspräsident in den Jahren 2016 bis 2020 häufig zu Gast in Moskau. Er nahm regelmäßig an den Feierlichkeiten zum Sieg über Nazi-Deutschland am 9. Mai teil. Ihm gelang auch das "Kunststück", am gleichen Tag vor den Abgeordneten der russischen Staatsduma zu sprechen, an dem der damalige prowestliche slowakische Präsident Andrej Kiska im Europaparlament in Straßburg eine Rede hielt.

Slowakei Politiker
Smer-Chef Robert Fico (Mitte) und sein Vize Ľuboš Blaha (rechts) am 1. Oktober 2023 in Bratislava Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Ľuboš Blaha, immerhin einer der Vizechefs von Ficos Smer-Partei, vertritt wiederum offen den Standpunkt kremlnaher russischer Ideologen, wonach vom Westen, sprich den USA, alles Schlechte, inklusive Krieg und Pandemie komme, während aus dem Osten, sprich aus Russland, Frieden komme. Entsprechend dieser Logik bezeichnet er den Krieg in der Ukraine als ein Werk der Amerikaner.

Mischt der russische Geheimdienst mit?

Geht also ein wesentlicher Teil der in der Slowakei verbreiteten Verschwörungstheorien auf Russland und seine Desinformationskampagnen zurück? Hier wagt Michaela Růžičková von der Denkfabrik infosecurity.sk keine eindeutige Beurteilung, erinnert aber an einem Vorfall aus einem früheren Wahlkampf: "Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes Sergej Narischkin warnte öffentlich während der Wahlstille, in der Phase also, wo kein Wahlkampf mehr geführt werden darf, vor einer angeblichen Einmischung der USA in die slowakischen Wahlen." Das slowakische Außenministerium hat daraufhin den russischen Botschafter einbestellt. "In einer Erklärung des slowakischen Außenamtes wurde das als bewusste Verbreitung von Falschnachrichten bezeichnet mit dem Ziel, den regulären Ablauf der Wahlen in der Slowakei in Zweifel zu ziehen und somit in den gesamten Wahlprozess einzugreifen", so Růžičková.

Staatskrise wegen Verschwörungstheorien

Die prowestliche slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová hat nun übrigens angekündigt, den umstrittenen Rudolf Huliak nicht zum neuen Umweltminister zu ernennen. Als Grund für ihre Entscheidung führte sie an, dass jemand, der die bestehende Umweltpolitik des Staates und damit auch die internationalen Verpflichtungen infrage stelle, nicht den ordnungsgemäßen Gang des Ministeriums sicherstellen könne. Čaputová hat die künftige Koalition aufgefordert, ihr einen neuen Kandidaten zu präsentieren. Das Bündnis beharrt allerdings auf dem Vorschlag. In der Slowakei bahnt sich somit gleich unmittelbar nach den Wahlen ein Machtkampf zwischen Regierung und Staatsoberhaupt an.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 01. Oktober 2023 | 17:00 Uhr

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