Tschechien Ein deutscher Pfarrer in Nordböhmen
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24. Januar 2020, 10:55 Uhr
Seit 16 Jahren ist der aus Münster stammende Philipp Irmer Pfarrer in einem kleinen Städtchen in Nordböhmen. Es ist eine gottverlassene Gegend, aber Irmer versucht unentwegt, den Menschen den Glauben näherzubringen.
Das schönste Gebäude des nordböhmischen Wallfahrtsortes Mariánské Radčice, nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, ist die große barocke Kirche mit ihrem imposanten Kreuzgang. Der Pfarrer der Kirchgemeinde ist ein Deutscher: Philipp Irmer. Ein robuster, leutseliger Mann Anfang 50. "Die meisten werden denken: Ein Pfarrer arbeitet am Wochenende, da hat er ein paar Messen. Und das ist es auch gewesen", sagt Irmer. "Aber ich habe hier wesentlich mehr Abwechslung."
Gottverlassene Gegend
Philipp Irmer ist vor 16 Jahren aus Münster nach Mariánské Radčice gekommen. Als Jugendlicher war er einmal in dieser Gegend zu Besuch gewesen und hatte den Entschluss gefasst: Wenn ich Priester werden sollte, dann will ich hier wirken. Als er 35 war, ist Irmer dann tatsächlich nach Nordböhmen gezogen. Dass es nicht leicht für ihn werden würde, war ihm durchaus bewusst: "Tschechien ist eines der säkularisiertesten Länder Europas. Es wird hier so eine Gleichgültigkeit gefördert. Das ist das schwierigste Problem."
Tatsächlich sind nur ganz wenige Tschechen bekennende Christen. Lediglich zehn Prozent der Einwohner in Nordböhmen bezeichnen sich als Katholiken. Und so predigt Irmer sonntags nicht selten nur vor vier oder fünf Gläubigen. Nur Weihnachten sind es etwas mehr. In der Kneipe im Ort sitzen zeitgleich mehr als dreimal so viele Leute beim Bier. Von der Kirche wollen sie nichts wissen. "Das ist wie Politik", sagen sie. Und mit der wollen sie auch nichts zu tun haben. Die Arbeitslosenrate liegt in dieser Region weit über dem tschechischen Durchschnitt. Rechtskonservative Parteien haben den meisten Zulauf.
Vertreibung der Sudetendeutschen
Früher war das in Nordböhmen ganz anders gewesen. Da waren weit mehr als 80 Prozent der Einwohner katholischen Glaubens. Jahrhundertelang gehörte Nordböhmen zum sogenannten Sudetengebiet, in dem eine deutsche Minderheit lebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten Deutschen aus ihrer Heimat vertrieben. Die Grundlage für die kollektive Vertreibung bildeten die sogenannten Beneš-Dekrete, benannt nach dem tschechoslowakischen Exil-Präsidenten Edvard Beneš, der die Dekrete zwischen 1940 und 1945 erlassen hatte. Mit den Deutschen verschwand aber auch eine eigenständige Kultur. Nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung siedelte der tschechoslowakische Staat Slowaken, Ungarn und Tschechen aus Wolhynien, einer Region im Nordwesten der Ukraine, in den nun verlassenen Städten und Dörfern an, die Industrie in der Region benötigte dringend Arbeitskräfte. Bis heute sind viele der neuen Einwohner in Nordböhmen aber nicht wirklich heimisch geworden. Viele historische Gebäude befinden sich in einem erbärmlichen Zustand - den sozialistischen Staat kümmerte das Erbe der deutschen Katholiken damals nicht sonderlich. Und heute fehlt oftmals das Geld für eine Restaurierung der Gebäude.
Geschundene Region
Es ist zudem eine oft nebelverhangene und geschundene Region, in der Pfarrer Irmer seit so vielen Jahren zu Hause ist. Braunkohlentagebaue fressen sich seit Jahrzehnten unentwegt in die Landschaft Nordböhmens. Es ist ein riesiges Niemandsland, das an die Lebensfeindlichkeit des Mondes erinnert. Darin ein paar kleine Inseln - Felder, Dörfer, Städte. Und so wie es im Moment aussieht, wird sich an diesem trostlosen Zustand so schnell auch nichts ändern, denn Tschechien setzt auch in Zukunft auf die Kohle aus dem nordböhmischen Revier.
Das "Philipp"-Bier
Der deutsche Pfarrer lässt indes nichts unversucht, den Glauben unter die Leute zu bringen und die oft baufälligen Kirchen und Klöster in seinem Einzugsgebiet vor dem endgültigen Verfall zu retten. "Wenn du am Grund angekommen bist, dann gibt es zwei Möglichkeiten: entweder du stehst auf oder du bleibst liegen. Und ich will nicht liegen bleiben, sondern ich stehe lieber auf." In seinen Aufgabenbereich fällt auch das Kloster Ossegg, ein paar Kilometer von Mariánské Radčice entfernt. In dem heruntergekommenen Kloster wird Bier gebraut. Am besten verkauft sich eines, das nach Pfarrer Philipp Irmer benannt ist. "Ich bin hierhin gekommen mit Weihwasser, wir haben eine Andacht gefeiert, und dann habe ich später gehört, dass sie das erste Bier, das wir hier zusammen gebraut haben, Philipp genannt haben", erzählt er. Und genau dieses Bier, so schwebt Irmer vor, soll schon bald in ganz Europa verkauft werden, um die Sanierung des Klosters zu finanzieren. Eine weitere Idee des Pfarrers: eine Städtepartnerschaft mit einer Gemeinde in Südafrika. Bereits ein Ritual ist hingegen das Schlachtfest, zu dem Irmer alljährlich die Einwohner von Mariánské Radčice in seine Gemeinderäume einlädt. Mittlerweile zählt auch der Bürgermeister zu den Gästen. Und ausgeschenkt wird natürlich "Philipp"-Bier.
Für die Ewigkeit
Ich habe "die Vision, dass aus Verwundetem auch etwas Neues entstehen kann", sagt Philipp Irmer. Was ihm wichtig ist: Gemeinsinn und Zusammenhalt stiften. Und er ist sich sicher, dass ihm das in seiner nordböhmischen Gemeinde auch gelingen wird. Wahrscheinlich nicht morgen. Aber vielleicht übermorgen. Man müsse auf jeden Fall Geduld haben, sagt Pfarrer Irmer. Mein Chef habe schließlich auch nicht für den Augenblick, sondern für die Ewigkeit gearbeitet.
Über dieses Thema berichtet der MDR im TV in Heute im Osten - Reportage: Zwei Schweinehälften für ein Halleluja 25.01.2020 | 18:00 Uhr