Gieriger Investor oder sture Naturschützer? Stillstand im bulgarischen Skiparadies Witoscha
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04. Februar 2025, 20:03 Uhr
Paris hat die Seine, London die Themse und Sofia das Witoscha-Gebirge, ein Naturschutzgebiet auf gut 2.200 Metern Höhe vor den Toren der Stadt. Und genau der Naturschutz macht es schwer, dort einen modernen, nachhaltigen Skitourismus zu etablieren. Der blühte in den 1950er Jahren, doch die Skiinfrastruktur ist inzwischen eine Ruinenlandschaft. Naturschützer und Liftbetreiber streiten um Wälder, Gebirgsweiden und einen Landschaftsplan, der einer Wiederbelebung des Skisports im Wege steht.
Demo gegen Modernisierungsstau im Skiressort
"Es ist eine Schande, dass wir unsere Kinder nicht aus der dreckigen Luft der Großstadt rausbringen können, obwohl wir am Fuße des Gebirges leben", klagt die 32-jährige Martina Schekerowa, Mutter zweier Kleinkinder, die sie auf eine Protestkundgebung in Sofia mitgenommen hat. Anfang Januar ist es in Bulgarien so kalt und schneereich, wie schon lange nicht. Das freut das Skifahrerherz, gesteht ein junger Mann, der seine Bretter zur Demo mitgenommen hat. Ihm sei nur der schnelle Zugang zum Skigebiet wichtig – ob mit der Gondel oder mit dem Auto.
Dem 50-jährigen Ljubomir Drjanow hingegen liegt der Naturschutz am Herzen. Der passionierte Wanderer ist strikt gegen den Bau neuer Skilifte und Pisten auf dem Berg. "Die Anlagen, die es gibt, reichen vollkommen aus", sagt er und verweist auf ein anderes für ihn wichtiges Thema: "Die Lifte, sobald sie wieder fahren, müssen für die Sofioter erschwinglich sein. So wie früher – gleicher Preis für Bus, Bahn oder Lift."
Die drei sind einem Facebook-Aufruf zum stillen Protest im Stadtzentrum mit Blick auf das Witoscha-Gebirge gefolgt. "So geht es einfach nicht weiter", begründet der ehemalige Skilehrer und Bergführer Jordan Rangelow seine Initiative, in der Hoffnung, dass bald ein Ausweg aus dem Teufelskreis rund um die Zukunft des Hausbergs von Sofia gefunden werden kann. Doch das ist alles andere als einfach.
Witoscha – das Skigebiet der Hauptstädter
Ob an heißen Sommertagen oder in klirrender Winterkälte – das Witoscha-Gebirge war schon immer ein beliebtes Ausflugsziel für die Sofioter. Quer durch Wälder und Gebirgsweiden führen seit Anfang des 20. Jahrhunderts ausgeschilderte Wanderwege. Am Fuße des höchsten Gipfels Tscherni Wrach (Schwarzer Gipfel, 2.295 m) entstand in den 1950er Jahren im damals sozialistischen Bulgarien ein Skigebiet mit 29 Kilometern präparierter Pisten, zwölf Sessel- und Schleppliften sowie zwei Gondeln.
Damals konnte man vom Stadtrand ins Gebirge fahren. Fester Bestandteil im Programm der Sofioter Kindergärten war die einwöchige Skischule im Witoscha-Gebirge – morgens sind die Knirpse mit der Gondel auf die Pisten gefahren, und abends waren sie wieder Zuhause. So habe ich das Skifahren gelernt, und dieses Glück hatte vor 20 Jahren auch meine Tochter, als sich auf den Pisten die kleinen Ski-Hasen tummelten.
Ich mache mich nun wieder auf den Weg ins Gebirge, um zu sehen, wie es heute ist. Da vor einem Jahr auch die letzte Gondel (Baujahr 1982) den Betrieb aus Sicherheitsgründen einstellen musste, muss ich das Auto nehmen. Ich tue es nur ungern – nicht wegen der holprigen, kopfsteingepflasterten und kurvenreichen Bergstraße, sondern weil ich somit zur ohnehin schlechten Luftqualität in Sofia beitrage. Nach 20 Minuten oben angekommen, stelle ich fest, wie still es im Skigebiet geworden ist. Außer mir ist noch ein Rentnerpaar da, etwas später kommen drei Jungs, die wohl die Schule geschwänzt haben, um Snowboard zu fahren. Von Knirpsen aus den Kindergärten – keine Spur. Wie auch? Vom einst so großen Skigebiet ist nur eine knapp zwei Kilometer lange Piste, ein quietschender Dreisessellift mit über 40 Jahren Dienst auf dem Buckel und die verrosteten Skelette der anderen Lifte übriggeblieben.
Privatisierungssünde der bulgarischen Treuhand?
Wie kam es zu der Misere? Im Zuge der Nach-Wende-Privatisierung verkaufte die Sofioter Treuhand Ende 2007 die damals noch staatliche Seilbahn AG an eine private Investitionsgesellschaft. Die Witoscha Ski AG verpflichtete sich zum Weiterbetrieb und zur Modernisierung der maroden Sessel- und Schlepplifte sowie der beiden Gondeln. Doch 18 Jahre später bleibt der Vertrag unerfüllt. Dem heutigen Bürgermeister von Sofia, Wassil Terziew, zufolge wurde der Deal zum Nachteil der Stadtverwaltung abgeschlossen, so dass ihm die Hände gebunden sind und er nicht vor Gericht ziehen kann.
Dabei führte der Parteilose 2023 seinen Wahlkampf mit dem Versprechen, endlich für eine Lösung zu sorgen. Doch seine Bemühungen bleiben vorerst ergebnislos: "Jetzt gilt unser Augenmerk vor allem dem Naturschutz, also der Einschränkung des Autoverkehrs im Gebirge und der Verbesserung der Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel. Zum Thema Lifte habe ich leider keine Neuigkeiten", gab der Bürgermeister resigniert gegenüber Protestierenden bei einer Demo Anfang Januar zu. Er wolle jedoch nicht aufgeben und alle Beteiligten an einen Tisch bringen.
Gegenseitige Vorwürfe und keine Lösung
Laut Privatisierungsvertrag gehören nur die Skipisten und -lifte der Investitionsgesellschaft, nicht aber der Boden darunter, denn das Gebirge ist seit 1934 ein Naturschutzgebiet. "Der aktuelle Landschaftsplan untersagt jegliche Bauarbeiten. Zugleich ist aber laut Baugesetzbuch jedes neue Skilift-Fundament ein Neubau", erläutert Radoslaw Peew von Witoscha Ski, warum die Gesellschaft keine Investitionen tätigt. "Es ist die Quadratur des Kreises", fasst er das Problem zusammen.
Der Autor des Landschaftsplans und ehemalige Direktor des Naturparks Toma Belew sieht das anders: Nicht der Naturschutz stehe der Erneuerung des Skigebiets im Wege, sondern die Gier des Investors. Er wirft dem Betreiber des Skigebiets vor, neue Skilifte mit einer höheren Kapazität bauen zu wollen. "Im Landschaftsplan steht ausdrücklich: Es dürfen keine neuen Skipisten und Lifte gebaut werden. Es können lediglich bestehende Anlagen entweder entfernt oder erneuert werden", liest der Forstwirt aus seinem Plan vor.
Doch Sessellifte aus den 1950er Jahren könnten nicht auf den alten Fundamenten erneuert werden, beteuert Radoslaw Peew von der Investitionsgesellschaft: "Das geht rein technisch nicht." Für neue Fundamente brauche man eine Baugenehmigung und diese werde verweigert, weil Bauarbeiten im Schutzgebiet untersagt seien.
Gibt es eine Rettung fürs Skigebiet Witoscha?
Das Witoscha-Gebirge ist mehr als nur ein Naturpark – es ist die grüne Lunge der Millionenstadt Sofia, und deshalb gehört es geschützt. Davon sind knapp 80 Prozent der Sofioter überzeugt, wie zahlreiche Umfragen aus den vergangenen Jahren zeigen. Aber genauso viele wünschen sich moderne Sessellifte, um ins Gebirge fahren zu können. Jordan Rangelow, der zum stillen Protest in Sofia aufgerufen hat, ist überzeugt, dass der Landschaftsplan für das Naturschutzgebiet Witoscha dahingehend geändert werden muss, dass Bauarbeiten, wie der Austausch veralteter Lifte, möglich werden.
Auch Stadtrat Iwan Sotirow sieht den Ausweg in einem neuen Landschaftsplan. Zwar gibt er zu, dass in den vergangenen 18 Jahren seit dem Verkauf der Anlagen im Skigebiet niemand die vertraglich festgeschriebenen, aber ausgebliebenen Investitionen geprüft hat. "Unabhängig davon brauchen wir ein Gesamtkonzept für die Zukunft des Skigebiets", ist er überzeugt. Bis es soweit ist, findet die Skisaison auch in diesem Winter unter den bekannten Bedingungen statt – mit dem einzigen verbliebenen, quietschenden und verrosteten Sessellift hoch auf der Alm, dessen Talstation man nur mit dem Auto erreichen kann.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 01. Februar 2025 | 07:17 Uhr