Nazi Kiez steht auf einer Hauswand. 3 min
Audio: Ermittlungen gegen Eisenacher Polizist im Zusammenhang mit "Knockout 51" Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Hintergrund Das Netzwerk "Knockout 51" - Ein Prozess und seine Folgen

01. Juli 2024, 10:41 Uhr

Am Montag hat das Thüringer Oberlandesgericht das Urteil im Prozess gegen vier mutmaßliche Mitglieder der Neonazikampfsportgruppe "Knockout 51" gesprochen. Ihnen wurden unter anderem die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Doch die vier angeklagten Neonazis sind mutmaßlich nur ein Teil eines Netzwerks, das Eisenach über Jahre terrorisiert, Menschen angegriffen und Jagd auf politische Gegner gemacht hat.

November 2023: Mehr als 200 Beamte von LKA, BKA und Bereitschaftspolizei durchsuchen die Wohnungen und Treffs von zwölf Mitgliedern der Neonaziszene in Jena, Eisenach und Hessen. Sie sollen – so der Vorwurf - die Aktivitäten der Neonazi-Kampfsportgruppe "Knockout 51" fortgeführt und unterstützt haben. Auch Teile der Jugendgruppe des Netzwerks sind an diesem Morgen Ziel der Ermittler.

Nur wenige Wochen später, Mitte Dezember, folgen weitere Durchsuchungen und Festnahmen. Auf Anfrage von MDR INVESTIGATIV teilt die Bundesanwaltschaft nun mit, dass es derzeit ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen zwei mutmaßliche Mitglieder und einen mutmaßlichen Unterstützer der Gruppe gebe, darunter Kevin N. und Markus W. Beide befänden sich weiter in Untersuchungshaft. Zu weiteren Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit "Knockout 51" könne man keine Auskunft geben. 

Der Neonazi Kevin N. war nach Informationen von MDR INVESTIGATIV bereits in den 2010er-Jahren in gewaltorientierten Gruppen wie dem "Nationalen Aufbau Eisenach" aktiv, die über Jahre Jagd auf nicht-rechte Jugendliche und Andersdenkende in der Wartburgstadt machten.

Schließlich soll der Mitzwanziger eines der Mitglieder der ersten Stunde von "Knockout 51" gewesen sein, nahm bundesweit an rechtsextremen Kampfsportevents teil, wurde unter anderem wegen Körperverletzungen verurteilt. Später zog er nach Erfurt, war hier in der Gruppierung "Kontrakultur Erfurt", einem Ableger der sogenannten "Identitären Bewegung" und bei der Neonazi-Hooligangruppe "Jungsturm" aktiv.

Mehrere Menschen sitzen in einem Gerichtssaal. 4 min
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N.s Rolle als Netzwerker war auch im Prozess gegen die vier mutmaßlichen "Knockout 51"-Mitglieder vor dem Oberlandesgericht in Jena sichtbar geworden. Aus der Verlesung von Abhörprotokollen des BKA ging hervor, dass N. 2021 von einem Treffen mit dem österreichischen "Identitären"-Chef Martin Sellner in Wien berichtet hatte. Experten halten ihn für eine der treibenden Kräfte hinter den Aktivitäten der jungen gewaltorientierten Thüringer Neonaziszene der letzten Jahre.

Kämpfen für den Rocker-Club

Während der mutmaßliche Rädelsführer Leon R. und weitere Mitglieder in Jena vor Gericht standen, vernetzten sich die auf freiem Fuß verbliebenen mutmaßlichen Mitglieder und Unterstützer der Neonazi-Gruppe anscheinend unbeeindruckt von den laufenden Ermittlungsverfahren gegen sie weiter.

So nahmen nach MDR-Recherchen die rechtsextremen Benjamin S. und Nils A. unter anderem an Aktivitäten eines Wuppertaler Rockerclubs namens "Ghost Gang MC" teil, der sich vor Jahren von den "Bandidos" abgespalten hatte und nach Angaben des LKAs Nordrhein-Westfalen Verbindungen in die rechtsextreme Szene hat. Benjamin S., der auch Kampfsporttrainings von „Knockout 51“ geleitet haben soll, trat im vergangenen September für den "Ghost Gang MC" als Kämpfer bei einem Event der Hell´s Angels im baden-württembergischen n Lahr an. Weitere "Knockout 51"-Mitglieder und Unterstützer waren in der Reisegruppe dabei, darunter auch ein Eisenacher Fitnesstrainer aus dem Umfeld der Gruppe.

Nach MDR-Informationen sind mehrere mutmaßliche Mitglieder von "Knockout 51" mittlerweile auch Mitglieder in dem Rockerclub, der Szenekennern zufolge mit der Dortmunder Mischszene zwischen Rockern, Neonazis und organisierter Kriminalität eng verwoben sein soll.

Raus auf der Haft – zurück in die Szene

Im Frühjahr wurden drei der vier Angeklagten nach knapp zwei Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen, darunter auch Eric K., der nach Informationen von MDR INVESTIGATIV ein mutmaßlich führender Kopf der Jugendgruppe von "Knockout 51" gewesen sein soll.

Bereits kurz nach seiner Entlassung hatte K., offenbar wenig beeindruckt von der Zeit im Gefängnis, Bilder von sich mit einschlägig bekannten Neonazis aus Thüringen und Nordrhein-Westfalen in den Sozialen Medien gepostet. Mitgliedern jener Dortmunder Gruppe, die bereits zum Prozessauftakt im vergangenen August eigens nach Jena gereist war, und zu der die Mitglieder von "Knockout 51" in der Vergangenheit gute Kontakte pflegten.

Felix Steiner von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) beobachtet die Netzwerke seit Jahren. Er sagt, besonders zur Szene nach Dortmund bestünden über die Kampfsport-Netzwerke sehr gute Kontakte: "'Knockout' war nicht nur Unterstützerstruktur des 'Kampfs der Nibelungen', sondern die Neonazi-Szene aus Dortmund besuchte bereits zu Beginn als Zeichen der Solidarität den Prozess."

Zudem seien diese Netzwerke äußerst gefährlich, "weil sie Verbindungen bis ins militante und teils terroristische Gruppen aufweisen". Die in den Sozialen Netzwerken geposteten Fotos sollen einem antifaschistischen Online-Portal zufolge bei dem Besuch einer Eisenacher Neonazigruppe, unter anderem mit Eric K., kurz nach dessen Haftentlassung entstanden sein. Mit dabei sollen auch Neonazis aus Burg in Sachsen-Anhalt gewesen sein.

Ein Zufall? Wohl kaum. Dort bauen derzeit ehemalige Dortmunder Kader nach Informationen von MDR INVESTIGATIV Kameradschafts- und Geschäftsstrukturen auf, die bestens mit der Dortmunder und Eisenacher Szene vernetzt seien sollen.

Die Aussage - Aufruhr in der Neonaziszene

Im Zuge der Durchsuchungen gegen Unterstützer und Mitglieder von "Knockout 51" durch Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt wurde Mitte Dezember Patrick Wieschke, einer der wichtigsten Neonazi-Netzwerker in Eisenach, festgenommen.

Die Bundesanwaltschaft wirft auch ihm die "Unterstützung einer kriminellen und terroristischen Vereinigung" vor. Der Landesvorsitzende der Partei "Die Heimat" (ehemals NPD) saß mehrere Monate in Untersuchungshaft, kam erst im Frühjahr wieder auf freien Fuß.

In Haft sagte er umfangreich bei der Polizei aus, die Abschrift soll rund 50 Seiten umfasst haben. Auch im Prozess am Oberlandesgericht gab er Mitte April bereitwillig Auskunft, behauptete aber unter anderem, "Knockout 51" nur als Sportgruppe und Hobbyvereinigung wahrgenommen zu haben.

Seine Aussage hatte Wieschke, der trotz des laufenden Verfahrens gegen ihn erst Ende Mai mit knapp 3.500 Stimmen wieder in den Eisenacher Stadtrat gewählt wurde, in der Neonazi-Szene bundesweit isoliert. Solidaritätskampagnen wurden gestoppt, ein führender Neonazi-Aktivist aus Westdeutschland schrieb vor wenigen Tagen in einem Blog-Beitrag über Wieschke: "Ich empfinde das Verhalten von Patrick Wieschke in dem 'Knockout 51'-Verfahren daher als zutiefst abstoßend, verachtenswert, falsch und - wenn es Mode macht - auch als gefährlich."

Die Mutter des derzeit angeklagten mutmaßlichen Rädelsführers Leon R., die den Szenetreff "Bull´s Eye" in Eisenach in Abwesenheit ihres Sohnes weiterführt und ihn vor der Haft zu Aufmärschen begleitet hatte, teilte den Artikel auf ihrer Facebook-Seite mit dem Kommentar: "Dem ist nichts hinzuzufügen."

Das Flieder Volkshaus

Wieschke galt als treibende Kraft hinter dem sogenannten "Flieder Volkshaus e.V.", jener rechtsextremen Immobilie, in der auch die Mitglieder von "Knockout 51" für den Straßenkampf trainiert hatten und die fast ein Jahrzehnt dem Eisenacher Neonazi-Nachwuchs und militanten bundesweiten Netzwerken eine Anlaufstelle bot. Hammerskins, Blood & Honour, Combat 18 – kaum ein verbotenes Netzwerk, dessen Mitglieder sich nicht konspirativ im "Flieder Volkshaus" trafen. Nicht selten im Rahmen regelmäßiger rechtsextremer Konzerte, die dort in den letzten Jahren nahezu unbehelligt stattfinden konnten.

Die Eisenacher Polizei hatte zwischenzeitlich sogar gegen Journalisten ermittelt, die die Veranstaltungen dokumentiert hatten. Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt.

Das Verfahren war schließlich von der Staatsanwaltschaft Meiningen eingestellt worden. Der Förderverein der Immobilie hatte sich im Dezember letzten Jahres selbst aufgelöst. Auf Anfrage von MDR INVESTIGATIV hatte das Thüringer Innenministerium im Februar geantwortet, die Auflösung könne als "präventive Maßnahme" auf jüngste Verbotsmaßnahmen der Bundesministerin für Inneres und für Heimat gegen rechtsextremistische Vereinigungen verstanden werden.

Im vergangenen Herbst hatte das Bundesinnenministerium den deutschen Ableger der internationalen Neonazi-Organisation "Hammerskins" und die rechtsextreme "Artgemeinschaft" verboten.

Kein Rechtsrock mehr in Eisenach?

Dass sich die Auflösung des Vereins "Flieder Volkshaus e. V." unmittelbar auf die Nutzung der Immobilie für rechtsextremistische Veranstaltungen auswirken werde, sei eher unwahrscheinlich, hatte das Thüringer Innenministerium damals mitgeteilt. Tatsächlich finden aber aktuell keine Neonazi-Konzertabende mehr im "Flieder Volkshaus" statt. Szenekenner gehen davon aus, dass das Wieschkes Aussage und den aktuellen Zerwürfnissen in der Eisenacher Szene geschuldet ist.

Für Felix Steiner von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus ist der aktuelle Prozess erst der Anfang: "Das Ende des Hauptverfahrens ist ein erster Schritt in der Aufarbeitung des Netzwerks rund um die Gruppe 'Knockout 51'. Nun gilt es auch, die weiteren Prozesse gegen Mitglieder und Unterstützer abzuwarten. Was sich bereits zeigt, ist, dass auf einen Teil der angeklagten Neonazis der Prozess keineswegs abschreckend gewirkt hat, sie sind weiter aktiv und bundesweit gut vernetzt."

Die Zukunft der Eisenacher Neonazi-Szene und ihre Gefährlichkeit wird vermutlich auch vom Verlauf der kommenden Prozesse gegen das Netzwerk abhängen, an Selbstbewusstsein verloren hat sie bisher offenbar nicht.

Anmerkung der Redaktion: Vier Mitglieder von "Knockout 51" wurden am 1. Juli 2024 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 01. Juli 2024 | 19:00 Uhr

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