Ein Schauspieler kniet am vorderen Bühnenrand. 4 min
Das Meininger Staatstheater eröffnet die Spielzeit mit der Uraufführung von "Ende einer Verhandlung". Geschrieben in den 1930er-Jahren, ist es ein bisher gänzlich unbekanntes Stück der jüdischen Autorin Anna Gmeyner. Hören Sie mehr zum Stück und der Autorin von Marlene Dexler. Bildrechte: Christina Iberl

Staatstheater Meiningen Lange verschollenes Stück von jüdischer Autorin wird in Meiningen uraufgeführt

27. September 2024, 20:12 Uhr

Anna Gmeyner hat "Ende einer Verhandlung" bereits in den 1930er Jahren geschrieben. Doch erst jetzt kommt das Stück der der 1991 gestorbenen jüdischen Autorin am Staatstheater Meiningen zur Uraufführung. Während der Nazizeit wurden ihre Werke in Deutschland verboten und gerieten nach dem Krieg in Vergessenheit. Das Stück begleitet zwölf Geschworene bei der Wahrheitsfindung zu einem möglichen Mord aus Eifersucht. Dabei werden nicht nur Fragen nach Schuld und Gerechtigkeit diskutiert, sondern auch Geschlechterbilder kritisch hinterfragt.

Das Staatstheater Meiningen nimmt sich jetzt den noch ungespielten Stoff der jüdischen Exilautorin Anna Gmeyner (1902-1991) vor. Es ist ein Gerichtsdrama mit dem Titel: "Ende einer Verhandlung".

Gmeyners Stücke wurden in Nazi-Deutschland verboten. Zwar hatte sie damals als Exilautorin durchaus Erfolg, etwa in der Schweiz oder in den Niederlanden, auf deutschen Bühnen zu sehen sind ihre Texte aber erst seit ein paar Jahren. Gmeyners Stück "Automatenbüffet" wurde 2021 in einer Inszenierung des Burgtheaters sogar zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Es ist ein später Triumph.

Ein Schauspieler auf der Bühne hilft einem anderen auf. Im Hintergrund weitere Schauspieler.
Die Fragen, die in dem Stück aufgeworfen werden, sind auch heute noch aktuell. Es geht um Geschlechter, vermeintliche Wahrheiten und toxische Maskulinität. Bildrechte: Christina Iberl

Seit Jahrzehnten verschollene Texte

Das Manuskript von "Ende einer Verhandlung" kam in einer Plastiktüte, erzählt der Meininger Schauspielchef Frank Behnke. Eine Tüte, die Gmeyners Enkeltochter dem Theaterverlag überreichte. Die Manuskripte der Autorin waren teilweise auf Flohmärkten aufgetaucht. Gmeyner selbst hatte offenbar kein Interesse mehr daran, ihre Texte zu veröffentlichen.

Recherchiert hat das die Meininger Dramaturgin Deborah Ziegler aus alten Gesprächen: "Wenn sie umgezogen ist, hat sie keine Sachen mitgenommen. Sie hat nichts aufgehoben. Und hat am Ende wohl gesagt, ich suche immer noch nach dem Sinn", sagt Ziegler. Es wirke so, als habe Gmeyner mit ihrer Zeit damals in Berlin und dem Theaterschreiben komplett abgeschlossen.

Meininger Schauspielchef möchte den Kanon erweitern

1925 kam die gebürtige Österreicherin von Wien nach Berlin, begann dort als Dramaturgin zu arbeiten und zu schreiben. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebte sie erst in Paris, später in England, wo sie 1991 starb.

Schauspieler stehen und sitzen auf der Bühne, die von einem weißen Strich begrenzt wird.
Ein Mord ist geschehen, auf der Bühne dargestellt durch den weißen Umriss eines menschlichen Körpers. Bildrechte: Christina Iberl

Gmeyners Erben versuchen nun, ihre Texte in die Öffentlichkeit zu tragen. Dem Meininger Schauspielchef Frank Behnke ist es ein Anliegen, den Kanon zu vergrößern und unbekannte Texte auf die Bühne zu bringen: "Bei einer Autorin wie Anna Gmeyner, die Vertreibung und Zensur erlebt hat, liegt mir das besonders am Herzen", sagt er und hebt hervor, "Ich möchte da ein Stück weit auch etwas wiedergutmachen."

Mit einem derart unberührten Text zu arbeiten, war für Behnke, der "Ende einer Verhandlung" in Meiningen inszeniert, etwas Besonderes. Gerne hätte er die Autorin zwischendrin mal angerufen gesteht er: "Es gibt zu dem Text einfach gar nichts: Keine Notiz der Autorin, kein Tagebucheintrag und auch keinen einzigen Sekundärtext".

Zwölf Geschworene als Mikrokosmos der Gesellschaft

"Ende einer Verhandlung" handelt davon, wie zwölf Geschworene auf der Suche nach einem gerechten Urteil sind. Der Sachverhalt: Ein Mann steht unter Verdacht, seine Frau aus Eifersucht von einer Klippe gestürzt zu haben. In der Konstellation der zwölf Geschworenen kann man indes eine Art Mikrokosmos der Gesellschaft erleben.

Schauspieler sitzen an den Wänden eines Bühnenraumes.
Zwölf Geschworene müssen die Wahrheit herausfinden. Bildrechte: Christina Iberl

Für Regisseur Behnke wird der Zuschauer auch Zeuge eines gruppenpsychologischen Experiments. Das Stück zeige exemplarisch, wie schnell Menschen sich zu einer anderen Wahrheit verführen lassen, wie schnell sie manipulierbar sind, sagt er, "Und, wie relativ Wahrheit auch ist – ein Thema, das für uns heute ja auch ganz große Relevanz hat".

Anknüpfungspunkte an heutige Debatten

Es steht die Frage: Hat der Mann seine Frau von der Klippe gestürzt oder war es doch ein Unfall? Auf der Suche nach der Antwort beginnen die Geschworenen den vermeintlichen Ablauf der Tat nachzuspielen. Wobei einer der Geschworenen, Mr. Smith, das Narrativ an sich reißen wird.

Gespielt wird Mr. Smith von dem Schauspieler Jürgen Hartmann – auch bekannt als Gerichtsmediziner im Stuttgarter Tatort. Das Staatstheater hat ihn für die Rolle als Gast ans Haus geholt.

Ein Schauspieler mit Anzug und Hornbrille dreht sich nach einer Frau im roten Kleid um.
Der Schauspieler Jürgen Hartmann ist vielen als Gerichtsmediziner im Stuttgarter Tatort bekannt. In Meiningen spielt er den des Mordes verdächtigen Ehemann Mr. Smith. Bildrechte: Christina Iberl

Ins Wanken gebracht wird die Version von Mr. Smith über den Tathergang als vermeintlicher Unfall ausgerechnet von einer jungen Frau, Miss Cadell. Sie fragt: Kann das stimmen? Oder ist das vielleicht nur die männliche Sichtweise? Für Mia Antonia Dressler, die Miss Cadell spielt, ist das eine Figur: "Die sehr um Unabhängigkeit kämpft in einem System, in dem sich Frauen immer unterwerfen müssen".

Das Meininger Staatstheater gibt mit "Ende einer Verhandlung" einer jüdischen Autorin, die über ein starkes politisches Bewusstsein verfügte, nach Jahrzehnten der Vergessenheit eine Bühne. Mit Gmeyner gelingt es zudem fundamentale Fragen nach Wahrheit, Schuld und Gerechtigkeit aufzuwerfen und gleichzeitig an aktuelle Debatten um toxische Männlichkeit und daraus resultierende Gewalt an Frauen anzuknüpfen.

Quelle: MDR KULTUR (Marlene Drexler), Meininger Staatstheater
Redaktionelle Bearbeitung: op

Die Aufführung

Ende einer Verhandlung
Gerichtsdrama von Anna Gmeyner
Uraufführung

Bühne, Kostüme: Christian Rinke
Regie: Frank Behnke

Besetzung:
Jürgen Hartmann: Mr. Smith
Mia Antonia Dressler: Miss Magdalena Cadell
Matthis Heinrich: Mr. Allister Scott
Ulrike Knobloch: Miss Katherine Mead
Erik Studte: Mr. Edward William Sanders
Nicola Lembach: Mrs. Dorothy Thornton
Rico Strempel: Mr. Adam Dunn
u.a.

Aufführungen:
27.09.2024, 19:30 Uhr | Großes Haus (Premiere)
10.10.2024, 19:30 Uhr | Großes Haus
13.10.2024, 18:00 Uhr | Großes Haus
26.10.2024, 19:30 Uhr | Großes Haus
30.10.2024, 19:30 Uhr | Großes Haus
01.12.2024, 18:00 Uhr | Großes Haus
15.12.2024, 15:00 Uhr | Großes Haus
20.12.2024, 19:30 Uhr | Großes Haus
Weitere Aufführungen im Jahr 2025

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. September 2024 | 07:10 Uhr

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