Der Redakteur | 28.01.2025 Es ist ein "Marathon": So lassen sich verwaiste Innenstädte in Thüringen beleben
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28. Januar 2025, 15:43 Uhr
Auf den großen Investor, die nächste Handelskette, den neuen Laden werden die meisten kleineren Städte vergeblich warten. Seit das Internet und die Supermärkte auf der grünen Wiese unseren Innenstädten den Lebensnerv gezogen haben, ist viel Leerstand eingekehrt. Um diesen zu füllen, braucht es aber gar nicht viel Geld. Sondern vor allem Ideen, Regionalität und Menschen vor Ort, die sich engagieren.
Die Geschäfte allein ziehen keine Menschen mehr an. Mit dem Internet preislich in Konkurrenz zu treten, ist auch keine gute Idee, erklärt Prof. Frank Eckardt.
Er lehrt Stadtsoziologie an der Bauhaus Uni Weimar und empfiehlt, sich anzuschauen, was die Menschen im Internet suchen und finden: Unterhaltung, Spiele, Musik, Austausch und Kommunikation - nicht nur Shopping. Und genau das sind die Ansätze, die Menschen wieder in die Innenstädte zu holen.
Inspiration aus dem Internet: Spiel, Kultur und Austausch
"Wir können vom Internet lernen", erklärt Eckardt und verweist auf die Erlebnisorientierung und Interaktivität digitaler Plattformen. Für Innenstädte bedeute dies:
Mehr Raum für Spiel, Musik, Kunst und Kultur. Das könnte Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen anziehen und die Bindung zur Innenstadt stärken.
Beispiele wären Veranstaltungen wie offene Yoga-Sessions, Straßenkunstprojekte oder Spielflächen für Kinder. Besonders erfolgreich seien solche Angebote, wenn sie niedrigschwellig gestaltet werden, jeder mitmachen oder zuschauen kann.
Er nennt Beispiele wie in Wien, wo dreimal in der Woche mitten auf einem öffentlichen Platz die Yogamatten ausgerollt werden und Hunderte mitmachen.
Eckardt nennt auch das Beispiel Hameln: Die Stadt hatte Tischkicker aufgestellt, die von den umliegenden Geschäften betreut werden. Plötzlich verbringen die Schüler ihre Freistunden hier.
In der Eisdiele gibt es die Bälle und natürlich auch Eis.
Banale Hüpfekästchen im Pflaster, Klettermöglichkeiten für die Kleinen, eine Reckstange für die Größeren, die sich ertüchtigen wollen, Schachfiguren, Sitzgruppen im Schatten zum Austausch, Springbrunnen, Musik.
Da sind viele Dinge dabei, die nicht viel kosten, aber Menschen bewegen, sich überhaupt gern in der Stadt aufzuhalten. Und dann erst kann man die nächsten Schritte angehen, neue Händlerangebote betreffend.
Mehr als nur Einkaufen: Das Zusammenspiel von Menschen und Atmosphäre
"Attraktiv wird eine Innenstadt immer dann, wenn viele Menschen da sind", betont Eckardt. Eine belebte Innenstadt entstehe durch eine Mischung aus Gastronomie, kulturellen Angeboten und einer vielseitigen Nutzung des öffentlichen Raumes. Besonders junge Menschen und Studierende spielen dabei eine zentrale Rolle:
Wenn junge Leute in der Innenstadt sind, entsteht automatisch ein Gefühl von Lebendigkeit. Das zieht wiederum auch ältere Menschen an, weil sie sich als Teil des gesellschaftlichen Lebens fühlen.
Jedoch fehle es in vielen Städten an entsprechenden Angeboten, die über das klassische Shopping hinausgehen. Die Idee, Innenstädte nur auf Einzelhandel auszurichten, sei laut Eckardt veraltet und ineffektiv.
Recycling und lokale Authentizität als Chance
Ein weiterer Ansatz zur Belebung der Innenstädte liegt in der Förderung nachhaltiger und regionaler Angebote. Stadtsoziologe Eckardt unterstreicht, dass junge Menschen zunehmend Wert auf Recycling, Nachhaltigkeit, Reparatur und individuelle handgemachte Produkte legen. Es gibt für Eckardt eine wachsende Nachfrage nach Unikaten, sei es Kleidung, Möbel oder Lebensmittel. Innenstädte könnten zu Zentren für solche nachhaltigen und regionalen Initiativen werden.
Als Beispiel nennt er Schneidereien, die gebrauchte Kleidung maßgeschneidert umarbeiten, oder lokale Agrarinitiativen, die frische Produkte direkt in der Innenstadt verkaufen. Projekte wie diese würden nicht nur junge Kreative anziehen, sondern auch eine Bindung zur Region schaffen.
Geringe Einstiegshürden für Kleinunternehmer
Frank Eckardt betont, dass gerade kleine Unternehmen und Start-ups in der Innenstadt gefördert werden müssten. Hierzu gehörten Mietsubventionen oder Steuererleichterungen für regionale Produzenten. Dies sei besonders wichtig, um Hemmschwellen für neue Ideen zu senken. Für den Soziologen steht fest: "Die Innenstadt muss ein Experimentierraum werden. Nur wenn verschiedene Akteure ihre Ideen ausprobieren können, kann langfristig eine nachhaltige Entwicklung entstehen."
Wiederbeleben der Innenstadt - bis der Arzt kommt
Die Kleinstadt Zwönitz im Erzgebirge mit rund 11.000 Einwohnern hat sich an dem Projekt "Innenstadt (be)leben" beteiligt und mit Fördermitteln einen Treffpunkt geschaffen: ein kleines Café, betrieben von einem Verein. Entstanden ist auch ein kleiner Laden, der mehrere Händler bündelt.
Diese kleine Keimzelle und das sichtbar gewordene Engagement der Bürger haben letztlich auch dazu geführt, dass sich eine Ärztin entschied, nach Zwönitz zu gehen und ihre Praxis in der Innenstadt zu eröffnen.
Das sind die Einzelfälle, die einen als Bürgermeister stolz und glücklich machen.
Aufenthaltsqualität statt Sicherheitsdenken
Ein weiteres Problem vieler Innenstädte ist die Fokussierung auf "sicher und sauber". Dies hat oft dazu geführt, dass Grünflächen entfernt oder öffentliche Räume sterilisiert wurden. Prof. Eckardt plädiert für einen Paradigmenwechsel. "Wir brauchen mehr Schatten, Wasserstellen und Sitzgelegenheiten", sagte Wolfgang Triebert, Bürgermeister von Zwönitz im Erzgebirge. Die Aufenthaltsqualität müsse in den Mittelpunkt rücken, nicht die Angst vor Kriminalität.
Offene und flexible Stadtmöbel, Spielbereiche und grüne Inseln könnten dazu beitragen, Innenstädte lebenswerter zu gestalten. Die Zukunft der Innenstädte liegt in ihrer Vielseitigkeit.
Sie müssen mehr sein als Einkaufsmeilen - sie sollten zu Orten der Begegnung, Kreativität und Authentizität werden. Ob durch Kultur, Spiel oder regionale Produkte: Der Schlüssel liegt darin, Menschen Raum zu geben, sich einzubringen und wohlzufühlen. Eckardt ist optimistisch, weiß aber auch: "Es ist ein Langstreckenlauf."
Mit Geduld, Kreativität und einer proaktiven Haltung können Innenstädte wieder zu lebendigen Herzen unserer Gesellschaft werden.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 22. Januar 2025 | 16:40 Uhr
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