Wirtschaft "Leerstand ist wie Karies": So geht es dem Handel in Thüringer Innenstädten
Hauptinhalt
01. Juni 2024, 10:54 Uhr
Rund 27 Prozent der Ladengeschäfte in Thüringen stehen leer - sechs Prozent mehr als 2018. Corona, Insolvenzen, Onlinehandel: Woran liegt es, dass die Schaufenster leer blieben?
Görtz, Reno und die Confiserie arko: Alle drei Filialisten hatten Geschäfte am Erfurt Anger. Alle drei mussten wegen Insolvenzen schließen und haben Lücken in der Ladenszene hinterlassen. Aktuell stehen sechs Geschäfte in Erfurts Top-Verkaufslage am Anger leer. Drei davon sind laut Citymanagerin Patricia Stepputtis bereits nachvermietet. Nicht nur die Insolvenzen seien an den Leerständen schuld. "Wir haben gerade eine hohe Fluktuation", sagt Stepputtis.
Filialisten ziehen sich zurück
Zum einen würden Händler von "schlechteren" Verkaufslagen in bessere ziehen, deshalb stünden dort Läden leer. Zum anderen prüfen laut der Citymanagerin große Filialisten aufgrund der Wirtschaftslage gerade ganz genau ihre Standorte. Laut einem Bericht des Thüringer Wirtschaftsministeriums würden sich die Filialisten vielerorts aus den Top-Lagen zurückziehen, da dort die Mietpreise verhältnismäßig hoch sind. Außerdem hätten viele inhabergeführte Geschäfte Probleme, Nachfolger zu finden und müssten deshalb schließen.
Kundschaft ist weiter da
Fehlende Kundschaft hingegen ist laut Stepputtis aber kein Grund für Leerstände. "Wir haben mehrere Frequenzmesser in der Innenstadt, die zeigen, dass das Besucherniveau in den vergangenen Jahren im Schnitt gleichgeblieben ist", sagt die Citymanagerin. Was sich verändert habe, sei das Kaufverhalten.
Auf die Touristen sind wir beim Handel wirklich angewiesen.
"Die Menschen machen nicht mehr ausgedehnte Shoppingtouren mit zehn oder mehr Geschäften. Sie kommen meist mit einem bestimmten Ziel und dann ist nach drei bis fünf Läden Schluss und sie kehren bei der Gastronomie ein", erklärt Stepputtis. Anders bei Touristen: Bei ihnen würde das Geld oft lockerer sitzen - gut für den Einzelhandel. "Auf die Touristen sind wir beim Handel wirklich angewiesen", sagt Stepputtis.
Jugendliche shoppen nicht nur online
Laut dem Geschäftsführer des Handelsverbands Thüringen Knut Bernsen liegt es immer auch an der gesamten Attraktivität einer Innenstadt, ob die Menschen kommen - nicht nur am Handel. "Da geht es um Gastroangebote, Erreichbarkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, Parkplätze, Toiletten, kulturelle Angebote", sagt Bernsen.
Der Online-Handel sei nicht der Hauptgrund, warum der Einzelhandel mancherorts zu kämpfen habe. "Wir beobachten mittlerweile eher ein langsameres Wachstum beim Online-Handel und auch, dass gerade Jugendliche und junge Erwachsene auch wieder ein direktes Shoppingerlebnis suchen und nicht ausschließlich bei Internethändlern bestellen", so der Landesgeschäftsführer.
"Leerstand ist wie Karies"
Um als Innenstadt attraktiv zu bleiben, müsse man aber aktiv werden, sagt die Erfurter Citymanagerin: "Leerstand ist wie Karies, also ein Leerstand zieht einen weiteren hinterher. Deswegen ist jede Innenstadt gut beraten, wenn sie versucht, diesen Leerstand so schnell wie möglich wieder nachzuvermieten oder die Nachvermietung zu unterstützen."
Und man darf den Leerstand nicht sehen: Sobald ein Geschäft nachvermietet sei, müsse man das sichtbar machen, sagt Patricia Stepputtis. Beispielsweise mit beklebten Scheiben: "Damit man dem Kunden zeigt: Hier entsteht was Neues, das ist kein Leerstand mehr. Das verändert wirklich die Ausstrahlung eines Geschäftes beziehungsweise einer gesamten Geschäftslage."
Einzelhandel - aber gemeinsam
Die Citymanagerin vermittelt außerdem viel zwischen Händlern und Immobilieneigentümern, um möglichst schnell für Neuansiedlungen zu sorgen. Außerdem ist sie mit ansässigen Händlern in ständigem Austausch, auch für Aktionen wie verkaufsoffene Sonntage oder das sogenannte Heimatshoppen. Gemeinsame Gesprächsrunden schweiße auch die Händler untereinander zusammen und man würde sich gegenseitig weiterempfehlen.
Die Innenstädte verändern sich, aber sie sterben nicht aus.
"Man sollte als Einzelhändler nicht mehr nur einzeln handeln und für sich denken", erklärt Stepputtis. Beispielsweise würden sich in Erfurt die Händler auch gegenseitig Verkaufsflächen zur Verfügung stellen, ähnlich wie bei einem "Shop-in-Shop"-Konzept.
Auf die Frage, ob die Innenstädte aussterben, hat Patricia Stepputtis eine klare Aussage: "Das zu sagen, wäre falsch. Wir Menschen sind gesellschaftliche Wesen, wir wollen soziale Kontakte und die haben wir in der Innenstadt. Die Innenstädte verändern sich, aber sie sterben nicht aus."
MDR (cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 31. Mai 2024 | 18:37 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/98bf233d-195a-4f67-a6a5-1c219b9ff816 was not found on this server.