Leerstand Projekt "Hofhalten": Wie die Altenburger Innenstadt wiederbelebt werden soll

19. August 2023, 14:50 Uhr

Das thüringische Altenburg steht für Kultur, Geschichte und jede Menge Altbauten. Was nur fehlt, sind die Bewohner. In der Innenstadt stehen nach Schätzungen fast 50 Prozent der Gebäudeflächen leer. Besonders schlimm ist es in der Gegend rund um die Johannisstraße. Probleme macht dabei vor allem die mittelalterliche Stadtstruktur. Das städtische Projekt "Hofhalten" will diese Gegend wiederbeleben.

Läuft man in Altenburg die Johannisstraße entlang, fällt das Haus von Anja Morgner und Michael Rothe nicht auf. Es ist ein schlichter Altbau ohne Stuck oder Erker an der Fassade, der gerade renoviert wird. Durchquert man dann den Hausflur zum Innenhof, wird man von der Szenerie aber überwältigt: Dort erstreckt sich nämlich ein riesiger Garten mit bunten Blumen, knorrigen Bäumen und verschlungenen Wegen. Von der viel befahrenen Johannisstraße ist hier nichts mehr zu hören. In diesem Garten erwartet man fast Dornröschen über den Weg zu laufen.

"Wir sind vor zwei Jahren hier eingezogen, haben nach hinten geguckt und uns in den Park verliebt", meint Morgner. Sie und ihr Partner sind gebürtige Altenburger, haben jedoch lange Zeit anderswo gewohnt. Jetzt wollen sie sich hier in der Johannisstraße etwas aufbauen. Den beiden gehören drei Häuser in der Straße, die alle an den Garten angrenzen. Eines der Häuser teilen sie sich mit Mietern, die anderen beiden stehen leer. Letzteres ist in der Johannisstraße die Regel.

Johannisstraße: Früher prächtig, heute menschenleer

Hier stehen nämlich nach Schätzungen fast 70 Prozent der Gebäudeflächen leer. Auf der Nordseite, wo auch Morgner's und Rothe's Grundstücke liegen, sollen es sogar 80 Prozent sein, obwohl entlang der gesamten Straßenseite solche Gärten wie der von Morgner und Rothe existieren. Viele der Häuser in der Straße stammen noch aus der Renaissancezeit und sind vom Abriss bedroht.

Wir sind vor zwei Jahren hier eingezogen, haben nach hinten geguckt und uns in den Park verliebt.

Anja Morgner

Was heute einsam und verlassen scheint, war früher einer der wichtigsten Orte Altenburgs. In der Johannisstraße gingen die Menschen einkaufen. Die Häuser haben häufig Adligen gehört, in denen sie Gäste des Herzogs beherbergt haben. Alles änderte sich dann nach der Wende, wie Gernot Lindemann erklärt: "Bis Ende der 90er-Jahre hat das ganz gut funktioniert und dann leerten sich diese Häuser und die Grundstücke verwilderten."

Lindemann ist von Beruf Altbausanierer und beschäftigt sich im Auftrag der Stadt mit dem Leerstandsproblem in Altenburg. Um die Johannisstraße wieder zu beleben, hat die Stadt in diesem Jahr das Projekt "Hofhalten" ins Leben gerufen. Lindemann steuert dieses Projekt. Wie der Name es bereits andeutet, stehen dabei nicht die Häuser im Mittelpunkt, sondern deren Hinterhöfe.

Das Problem: Die Schönheit ist eingemauert

Die Idee dahinter lässt sich am Beispiel der Situation von Morgner und Rothe gut nachvollziehen. Sie steht stellvertretend für viele Grundstücke in der Johannisstraße: Die beiden haben mehrere nebeneinanderliegende Häuser, hinter denen sich der besagte prächtige Garten befindet. Das Problem ist nur, man kommt nicht von jedem Haus an ihn ran, weder zu Fuß und schon gar nicht mit dem Auto oder Ähnlichem.

Bis Ende der 90er-Jahre hat das ganz gut funktioniert und dann leerten sich diese Häuser und die Grundstücke verwilderten.

Gernot Lindemann

Der Grund für die missliche Lage der beiden sind die besonderen baulichen Gegebenheiten. Der bauliche Kern diese Gegend stammt nämlich aus dem Mittelalter. Über die Jahrhunderte sind dementsprechend immer wieder neue Gebäude dazu gekommen.

So wurden insbesondere die Hinterhöfe der Häuser mit Abstellkammern, Toilettenhäuschen, Mauern oder weiteren Wohnhäusern immer wieder be- und überbaut. "Wenn die einen ihre Hand aus dem Fenster gehalten haben, konnten ihm die im Haus gegenüber die Hand geben. Das wurde so zugebaut, die haben wirklich jeden Quadratmeter für irgendwas genutzt", beschreibt Eigentümer und Bewohner Michael Rothe das Engegefühl.

Als Konsequenz dieser über die Jahrhunderte gewachsenen Architektur gibt es grundsätzlich keine Zufahrten von der Straße aus. Man kann also nicht mit Baggern oder anderem schwerem Gerät baufällige und leerstehende Gebäude in den Innenhöfen abreißen oder sich um die verwilderten Gärten kümmern.

Für Morgner und Rothe ist das ein Problem, weil sie vermieten wollen: "Attraktiv ist der Wohnraum nur mit den Gärten hier hinten dran, weil das ist das Besondere, dass ich dann einem Mieter bieten kann", sagt Rothe. Der fehlende Zugang zum Garten fällt in diesem Kontext besonders schwer ins Gewicht, da es auf der Vorderseite der Häuser aufgrund der viel befahrenen Straße sehr laut werden kann. Überspitzt könnte man deshalb sagen: In der Johannisstraße ist die Schönheit eingemauert. 

Projekt "Hofhalten": Den Leerstand von hinten denken

Für Gernot Lindemann ist dementsprechend klar, was gemacht werden muss: "Um den Leerstand in Altenburg zu beseitigen, ist es sehr wichtig, dass man erstmal Zugang zu den Hof- und Gartenbereichen bekommt."

Und genau hier setzt das Projekt "Hofhalten" an. Das Ziel ist es, dass die Eigentümer mit Hilfe der Stadt und externen Fachleuten Lösungen erarbeiten, wie man die hinteren Bereiche der Häuser in der Johannisstraße in Zukunft wieder nutzen kann.

"Hofhalten" setzt dabei bewusst auf die Eigentümer als die Hauptakteure des Projekts: "Denn nur wenn der Eigentümer in der Lage ist und er auch den Willen hat, etwas zu verändern, kann was passieren", meint Lindemann.

Dafür musste Lindemann als Projektsteuerer erst mal Kontakt zu diesen aufnehmen: "Das ist wahnsinnig schwer und ist eine sehr kleinteilige und langwierige Arbeit", sagt Lindemann dazu. Manche Eigentümer würden nämlich zum Beispiel gar nicht mehr in Altenburg wohnen oder seien zu alt, um noch etwas an dem Haus machen zu können. Außerdem können die Eigentumsverhältnisse verworren sein, weil die Häuser etwa einer Erbengemeinschaft gehören, in der sich nicht alle Mitglieder kennen oder zerstritten seien. Und selbst wenn man die Eigentümer kenne, müsse man diese unter Umständen erst dazu motivieren, etwas an dem Haus machen zu wollen.

Wenn die einen ihre Hand aus dem Fenster gehalten haben, konnten ihm die im Haus gegenüber die Hand geben. Das wurde so zugebaut, die haben wirklich jeden Quadratmeter für irgendwas genutzt

Michael Rothe

Im Falle Rothe und Morgner habe es keine Überzeugungsarbeit gebraucht. Denn die beiden wollen ihre Grundstücke von sich aus verändern. Neben dem Paar sind auch noch vier weitere private Eigentümer mit ihren Grundstücken in der Gegend um die Johannisstraße Teil des Projekts. Dazu kommen ein paar Grundstücke der Stadt. Auch sie sollen neugedacht werden.

Morgner und Rothe haben bereits im vergangenen Jahr unabhängig von dem Projekt mit der Arbeit angefangen. Seitdem reißen sie Schritt für Schritt in ihrer Freizeit baufällige Gebäudereste ab, die hinter einem ihrer Häuser stehen. Sie haben zum Beispiel eine alte Mauer entfernt. Nur deshalb können sie mittlerweile überhaupt in den großen Garten kommen.  Dabei seien bisher 150 Kubikmeter Bauschutt weggekommen.

Das sind zwölf große Müllcontainer. Vieles mussten sie mit Handarbeit machen, ihnen kommt aber zusätzlich ein glücklicher Umstand gelegen. Neben einem ihrer Gebäude ist nämlich eine Häuserlücke. Sie gehört der Stadt und weil diese es erlaubt, konnten sich Morger und Rothe selbst eine provisorische Zufahrt bauen, sodass sie mit einem kleinen Bagger auf das Gelände fahren können.

Hilfe zur Selbsthilfe

Das Abreißen von Gebäuderesten ist aber das eine, das Neugestalten der Hinterhöfe etwas anderes. Und hier stoßen die beiden an ihre Grenzen. Im Innenhof haben sich während Arbeit zum Beispiel Gräben aufgetan. Wie sollen die beiden mit denen umgehen? Auch andere Frage stellen sich: Wie schafft man beispielsweise einen richtigen Zugang zur Straße. Außerdem muss der ganze Bereich vermessen werden. Für die beiden Berufstätigen ist das allein nicht mehr stemmbar, wie Rothe betont: "Dafür brauchen wir einfach Fachleute, weil das können wir nicht."

Das Projekt "Hofhalten" will Rothe und Morgner an diesem Punkt der Arbeiten abholen. Es will sozusagen Hilfe zur Selbsthilfe geben. Um den Hof neuzugestalten, braucht das Paar beispielsweise einen Architekten, der mit ihnen zusammen alles plant.


Dieser soll über das Projekt gesucht und finanziert werden. Morgner und Rothe sollen für ihr Vorhaben eine gedeckelte Fördersumme von bis zu 24.000 Euro von der Stadt erhalten, von der sie ein Viertel, also bis zu 6.000 Euro, selbst tragen müssen. Gernot Lindemann übernimmt bei dem Prozess eine Vermittlerrolle. Er hilft den Eigentümern wie Morgener und Rothe zum Beispiel, Anträge bei der Stadt zu formulieren und zu stellen.

Das Budget des gesamten Projekts beträgt 800.000 Euro. Das Geld dafür kommt sowohl vom Bund als auch von der Stadt Altenburg. Durch das Programm "Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren" des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen erhält die Stadt Altenburg knapp 600.000 Euro. Den Rest zahlt die Kommune selbst. Laufen wird das Projekt bis Sommer 2025.

Das Ziel: Ein Ort zum Wohlfühlen

Morgner und Rothe haben bereits einen Antrag auf Förderung bei der Stadt gestellt. Bei der Prüfung dieses Antrags geht es laut Projektsteuerer Lindemann aber nur noch um formelle Dinge. Für die beiden Eigentümer bedeutet das, die Planung des neuen Innenhofes kann bald losgehen.

Sie stehen jetzt vor vielen Fragen. Soll in den neuen Innenhof beispielsweise eine Zisterne? Wie gestaltet man den Bereich möglichst barrierefrei? Und wo sollen eigentlich die Mülltonnen hin, damit sie nicht von Waschbären geplündert werden? Bei allen Fragen ist aber eines sicher: Hinter ihren Häusern soll ein Ort entstehen, an dem man sich auf Anhieb wohl fühlt.

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MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 19. August 2023 | 14:32 Uhr

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