Netzausbau Neue Stromtrasse durch Südthüringen? Gegenvorschlag aus Erfurt läuft ins Leere
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10. September 2024, 07:43 Uhr
In Bayern muss die Stromversorgung stabilisiert werden. Dafür braucht es eine neue Stromtrasse - diese könnte durch Südthüringen verlaufen. Diesen "Aiwanger-Bogen" bekämpft Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow seit Monaten, zumal auf Thüringer Gebiet die Stromleitungen schon seit Langem auf weit größere Kapazitäten vorbereitet sind. Nur in Bayern fehlen - politisch einst gewollt - ausreichend ausgebaute Stromleitungen. Nun soll Thüringen der Denkmalschutz helfen.
Wird eine neue Stromtrasse durch Südthüringen gebaut? Das befürchtet Thüringens Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) seit Monaten. Er kritisiert dabei nicht nur den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), sondern inzwischen auch die Bundesnetzagentur als zentrale Planungsbehörde für den Netzausbau.
Nahrung erhält die Befürchtung durch den fortgeschriebenen Netzausbauplan, den die Bundesnetzagentur veröffentlicht hat. Darin enthalten ist eine Stromtrasse von Schalkau in Südthüringen zu einem künftigen Umspannwerg Münnerstadt in Franken - ähnlich dem Vorschlag, den im Frühjahr Aiwanger öffentlich gemacht hatte. Die Trasse würde durch den südlichsten Thüringer Zipfel verlaufen, das Heldburger Unterland im Kreis Hildburghausen. Von Schalkau an der Thüringer Grenze zu Bayern soll die Freileitung nicht direkt südlich nach Bayern geführt werden, sondern westlich quer durch das Unterland, vorbei etwa an der Veste Heldburg.
Zwar erklärte die Bundesnetzagentur auf Anfrage von MDR THÜRINGEN, dass es bisher keine "Vorfestlegungen" für eine "mögliche zukünftige Trassenführung" von Thüringen nach Bayern geben würde. Bisher sei noch nicht einmal klar, welche Behörde für die Trasse zuständig ist, weil dies noch der Bundestag entscheiden muss.
Wer legt die genaue Trasse von Starkstromleitungen fest?
Der Bundestag hält mit dem Bundesbedarfsplangesetz verbindlich fest, welche Stromtrassen errichtet oder ausgebaut werden sollen.
Die Bundesnetzagentur legt der Bundesregierung dafür regelmäßig einen Entwurf vor. In diesem Bundesbedarfsplan sind die benötigten Leitungsvorhaben aufgeführt. Bei Neubauprojekten gibt es jeweils Start- und Endpunkte. Der Entwurf enthält aber noch keine konkreten Trassenverläufe.
Die Bundesregierung bringt daraufhin ein Gesetz in den Bundestag ein. Dieser muss das Gesetz dann beschließen. Der Bundesrat als Vertretung der Bundesländer kann Einspruch einlegen. Mit dem Bundesbedarfsplan als Gesetz sollen die Verwaltungsverfahren beschleunigt werden.
Dem Gesetz schließt sich eine Bundesfachplanung an. Für dieses Verfahren ist wieder die Bundesnetzagentur zuständig. Die betroffenen Bundesländer sind daran beteiligt. Im Ergebnis wird hier ein Kilometer breiter Trassenkorridor festgelegt. Wo genau die Trasse dann letzten Endes entlang führt, wird danach im Planfeststellungsverfahren entschieden. Hier werden die Einwände aller betroffenen Akteure angehört.
Quelle: Bundesnetzagentur, Staatskanzlei
Ramelow: Netzagentur lehnt Thüringer Vorschlag ab
Trotzdem bleibt die Befürchtung, dass die Bundesnetzagentur mit ihrem Vorschlag nicht schon erste Pflöcke einschlagen will: Im fortgeschriebenen Netzentwicklungsplan Strom vom März 2024, der alle neuen Trassenprojekte in Deutschland aufführt, wird auf Seite 342 zwar noch kein möglicher Verlauf von der Thüringer Grenze nach Bayern ausgewiesen. Doch kurze Zeit später wird im Anhang des Netzplanes eine Art Verlaufsvorschlag der Bundesnetzagentur öffentlich. Dort weist die Bundesbehörde ein Gebiet aus (in der Grafik die blau markierte Fläche), welches für einen Verlauf der Stromtrasse geprüft werden soll: mittendrin das Heldburger Unterland.
Thüringen reagierte umgehend und schlug ein größeres Untersuchungsgebiet mit Regionen in Bayern vor (rot markierte Fläche in der Grafik), welches ebenso für eine Trassenplanung herangezogen werden sollte. Ramelow kritisiert, den Vorschlag habe die Bundesnetzagentur abgelehnt. Dazu befürchtet er, dass mit einem schon feststehenden neuen Umspannwerk in Münnerstadt bei Bad Kissingen in Bayern weitere Bedingungen geschaffen werden, die der Stromtrasse den Weg durchs Heldburger Unterland ebnen sollen. Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN an die Bundesnetzagentur, ob sie den Thüringer Vorschlag verworfen habe, reagierte diese schmallippig: Aufgrund des noch nicht begonnenen Planungsverfahren könnten zum Verlauf der Stromtrasse "keine weiteren Einschätzungen zu bestimmen Trassenverläufen" abgegeben werden.
Fehlende Transparenz und Beteiligung kritisiert
Ramelow wirft der Bundesbehörde in einem Schreiben nun fehlende Transparenz und Beteiligung vor: Erst spreche sie nicht mit Thüringen, dann veröffentliche sie Trassenpläne ohne Rücksprache mit der Landesregierung. Und das, obwohl Thüringen vom Stromnetzausbau ohnehin schon stark betroffen ist: Durch den Freistaat sollen mit Südlink und Südostlink bereits zwei unterirdische Gleichstromtrassen nach Bayern führen.
Warum noch eine große Stromleitung?
Hintergrund für den Streit ist, dass Bayern es versäumt hat, sich nach dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke rechtzeitig auf eine stabile Versorgung mit Strom vor allem aus Norddeutschland vorzubereiten. Stattdessen rühmte sich der bayerische Wirtschaftsminister Aiwanger noch 2019, eine geplante Stromtrasse verhindert zu haben. Doch nur wenige Jahre später wird klar, dass er falsch lag. Im Frühjahr 2024 sprach er auf einmal davon, wie wichtig es sei, dass eine neue Stromtrasse nach Bayern führt - und machte ausgerechnet den Extra-Korridor durch das Heldburger Land öffentlich. Der "Aiwanger-Bogen" war geboren, auch wenn der Minister alle Verantwortung auf die Bundesnetzagentur abschiebt. Aber, das gab Aiwanger damals freimütig zu: "Das hat den Vorteil, es geht weniger durch bayerisches Gebiet."
So könnte es sein, dass Thüringen Bayerns Versäumnisse mittragen muss. Denn wenn die Stromtrasse durch das Heldburger Land führen sollte, müsste Bayern schon bestehende Stromleitungen nicht ausbauen. Dagegen ist in Thüringen die damals stark umstrittene, sogenannte Strombrücke über den Thüringer Wald zwischen Vieselbach bei Erfurt und Schalkau so gebaut worden, dass die Masten vier statt zwei einzelne Stromleitungen tragen können.
Ramelow spricht von einem "volkswirtschaftlichen Skandal", dass die in Thüringen für eine doppelt so hohe Übertragung fertiggestellte Stromtrasse nur zur Hälfte genutzt werden könnte, weil in Bayern die Kapazitäten fehlten. Bayern mache sich da einen "schlanken Fuß".
Jetzt soll der Denkmalschutz helfen
Ramelow kritisierte Aiwanger vor Monaten scharf und tat den Trassenverlauf als keinen offiziellen Vorschlag ab. Er regte zudem Gespräche mit Bayern an. Dann passierte offiziell nicht mehr viel. Bis auf einmal der Vorschlag der Bundesnetzagentur öffentlich wurde - der auffallend dem von Aiwanger veröffentlichten Vorschlag vom Frühjahr ähnelt. Ramelow ist wütend und vermutet Absprachen zwischen Bayern und Bundesnetzagentur, ohne dass Thüringen einbezogen worden sei: "Gegen den 'Aiwanger-Bogen' würde ich mich an jeden Baum ketten. Das Verhalten von Bayern ist eine Unverschämtheit", schimpfte er laut dem "Freien Wort" wahlkämpfend Mitte Juli in Suhl. Ramelow sagt, solange er noch Regierungschef ist, werde Thüringen "alles tun, um den Druck zu erhöhen. Wir werden gegen die Stromleitung durch Thüringen kämpfen", bekräftigte er bei MDR THÜRINGEN.
Wir werden alles tun, um den Druck zu erhöhen. Wir werden gegen die Stromleitung durch Thüringen kämpfen.
Thüringen führt nun den Denkmalschutz und die Veste Heldburg ins Feld. Durch die neue Stromtrasse "könnte eine wesentliche Beeinträchtigung des Denkmalensembles 'Veste Heldburg' gegeben sein", schreibt Doris Fischer, Direktorin der Thüringer Schlösser und Gärten. Sie schlägt stattdessen vor, den Korridor zwischen den Kulturdenkmälern "Veste Heldburg" und "Veste Coburg" als Schutzgebiet für Windräder und überirdische Hochleistungsstromtrassen auszuweisen - oder die Trasse gleich unterirdisch verlaufen zu lassen.
Doch ob beide Vorschläge der Stiftung realistisch sind, bleibt offen. Ein Schutzgebiet, durch das "jegliche Bauwerke in der Umgebung eines Kulturdenkmals von vornherein ausgeschlossen werden", sei gesetzlich nicht möglich, erklärt die Thüringer Staatskanzlei MDR THÜRINGEN. Und die Stromtrasse unterirdisch verlaufen zu lassen, mache diese - das zeigten die Erfahrungen von Südlink und Südostlink - noch teurer und verzögere die dringend nötige Trasse weiter. Trotzdem sollen die Einwände in weitere Planung der Trasse einfließen.
Und noch ist Zeit, denn die Planungen und der Bau dauern noch Jahre. Nicht vor dem Jahr 2037 soll nach aktuellem Stand die Stromleitung in Betrieb gehen - und dann im Umspannwerk am ehemaligen Kernkraftwerk Grafenrheinfeld bei Schweinfurt enden. Dort, wo - Ironie der Geschichte - erst vor Kurzem ausgerechnet eine Thüringerin die beiden Kühlturme gesprengt hatte.
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 10. September 2024 | 07:00 Uhr
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