Energienetz Bayern gegen Thüringen: Fragen und Antworten zur Streit-Stromtrasse
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17. Februar 2024, 15:31 Uhr
Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich bei seinem Kollegen Markus Söder aus Bayern über den bayerischen Vorstoß für eine neue Stromtrasse beschwert. Der bayerische Vorschlag sei "tabu". Anlass für den Streit ist ein Vorschlag des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger, der eine neue Trasse überwiegend auf Thüringer Gebiet bauen lassen will. Wir beantworten dazu die wichtigsten Fragen.
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Von welcher Stromtrasse ist überhaupt die Rede?
Wirklich Konkretes ist bisher gar nicht bekannt - von einem höchst unpräzise eingegrenzten Streckenverlauf und einem Projektnamen abgesehen. P540 lautet der kryptische Name. Genannt wurde er zuerst durch das bayerische Wirtschaftsministerium in einer Mitteilung vom 8. Februar. Zugleich hatte der Minister an diesem Tag betroffene bayerische Landräte informiert. Die immerhin persönlich.
Betroffen dürften zwar auch Thüringer sein, die aber durften von den bayerischen Verkündigungen erst aus der Zeitung erfahren. Konkret meint das Projekt eine Wechselstromleitung von Schalkau im Kreis Sonneberg nach Münnerstadt in Unterfranken. Bei Schalkau soll die Leitung offenbar anschließen an die sogenannte Thüringer Strombrücke, die von Vieselbach bis dorthin führt und bisher nur zur Hälfte ausgelastet ist.
Wieso wird diese Leitung für notwendig gehalten?
Gegen die ursprünglich vor Jahren geplante Trasse mit dem Namen P44 hatte sich Bayern seinerzeit verwehrt. Den Strom brauche man nicht. Das ist inzwischen anders, trotz zweier Gleichstrom-Erdkabel, die ebenfalls durch Thüringen nach Bayern führen sollen und in den nächsten Jahren gebaut werden - und offenbar nicht ausreichen. Die letzten Atromkraftwerke sind abgeschaltet, der Windkraftausbau geht ebenfalls nicht gerade schnell.
Und die Staatsregierung analysiert: "Der Strombedarf der bayerischen Industrie und für die Wasserstofferzeugung in Bayern wird unterschätzt. In der Konsequenz wird der Übertragungsbedarf von und nach Bayern im aktuellen Netzentwicklungsplan zu gering angesetzt", so formulierte die bayrische Regierung nach Angaben des Bayerischen Rundfunks im November in einem Beschluss. Ein klarer Hinweis an die Bundesnetzagentur, die den Bedarf offenkundig in ihrem Netzentwicklungsplan für die Zeit ab 2037 aufgenommen hat.
Die Leitung soll unter anderem dafür genutzt werden, dass lokale Engpässe in Unterfranken nicht mehr dadurch überbrückt werden, dass Pumpspeicher oder Kraftwerke anspringen. Windstrom aus Nord- und Ostdeutschland soll es richten - oftmals reichen die Kapazitäten allerdings nicht aus, um den Strom zu transportieren. Offenbar auch nicht mit den Gleichstromtrassen Südostlink und Südwestlink. Die sind durch ihre Beschaffenheit so gebaut, dass sie unterwegs nicht angezapft werden können, es sind quasi Autobahnen ohne Abfahrt. Das ist bei der nun in Rede stehenden Wechselstromleitung anders.
Was ist zum Leitungsbau konkret bekannt?
Glaubt man der Bundesnetzagentur, die für die Planung zuständig ist, gar nichts. Dort geht man bei Presse-Anfragen auf Tauchstation. "Die Entscheidung über den bundesweiten Ausbaubedarf im Übertragungsnetz fällt mit der in wenigen Wochen erfolgenden Bestätigung des Netzentwicklungsplans. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu einzelnen Inhalten der Bestätigung vorab nicht äußern können", heißt es da ausweichend.
Direkt nach Aiwangers Ankündigung gegenüber seinen Landräten war auch vom Thüringer Umwelt- und Energieministerium sowie vom Infrastrukturministerium zunächst zu hören: Offiziell wissen wir von nichts, also behandeln wird das, was der bayerische Minister da ankündigt, einfach wie einen Wunsch, der erstmal noch gar nichts bedeutet. Und wenn das Projekt dann doch offiziell wird, werde man die Bedenken vortragen und sich für einen direkten Verlauf von Schalkau nach Grafenrheinfeld einsetzen, schrieb noch am Donnerstag das Infrastrukturministerium, das für Raumplanung zuständig ist.
Verbal war der bayerische Minister da schneller. Die neue Leitung, die offiziell noch niemand kennt, solle länger über Thüringen laufen. "Das hat den Vorteil, es geht weniger durch bayerisches Gebiet." Einige Tage später schob sein Ministerium eine dürre Mitteilung nach. "Die Trassenverläufe werden nicht von den Bundesländern, sondern von den Übertragungsnetzbetreibern und der Bundesnetzagentur geplant", so lässt sich der Minister zitieren, als Reaktion auf die zunehmenden Sorgen aus Thüringen, der große Nachbar aus dem Süden wolle eine große Leitung für die eigene Versorgung auf Kosten anderer bauen lassen. Schuld sein will der Minister dann offenbar nicht, wenn's anderswo Ärger gibt.
Wie verhält sich die Thüringer Landesregierung?
Inzwischen hat das Thema die Chef-Ebene erreicht. Nach eher ratlosen Reaktionen zweier Landesministerien, die erstmal abwarten wollen, was die Bundesnetzagentur wirklich offiziell in ihre Pläne schreibt, kommt dann am Freitag, dem 16. Februar ein geharnischter Brief mit Unterschrift Bodo Ramelows an den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Der Brief liegt dem MDR und anderen Medien vor.
So wie Aiwanger das angekündigt habe, sei das mit Thüringen aber nicht zu machen. Im womöglich betroffenen Heldburger Unterland seien die Menschen ohnehin belastet von einer Klinikschließung, von einer großen Insolvenz. Das sei auch in der Form, wie Aiwanger es angekündigt habe, also schonend für Bayern, eine Ungeheuerlichkeit. Thüringen selbst sei schon jetzt über Gebühr mit Stromautobahnen belastet, von denen es keinerlei wirtschaftliche Vorteile habe. Da gebe es ohnehin "eine Unwucht im System". Man habe sich zugunsten Bayerns nicht quergelegt, als die Gleichstromleitung Südost-Link, die auch durch Ostthüringen führt, größer dimensioniert worden sei als ursprünglich geplant, schreibt Ramelow.
Und auch die Bundesnetzagentur bekommt ihr Fett weg: "Dass Bayern erst in der Konsultation zum zweiten Entwurf und ohne nachbarschaftliche Beteiligung Thüringens den Vorstoß gemacht zu haben scheint, ist das eine. Dass die Bundesnetzagentur dann auch ihrerseits das Vorhaben aufzugreifen scheint, dies mit Bayern bespricht und Thüringen nichts davon erfährt, ist das andere und wird mit Präsident Müller von der Bundesnetzagentur gesondert zu besprechen sein."
Welche Lösung kommt für Thüringen in Frage?
Einzige für Thüringen akzeptable Lösung sei, die Thüringer Strombrücke anzuzapfen, die am Froschgrundsee, gute fünf Kilometer südlich von Schalkau parallel zur ICE-Strecke nach Bayern übergeht. Und zwar ab der bayerischen Landesgrenze. Ohnehin sei die Strombrücke auf bayerisches Bestreben vor einem guten Jahrzehnt groß dimensioniert worden. Dann aber wollte Bayern lieber erdverkabelten Gleichstrom haben und die Masten der Strombrücke wurden nicht ausgelastet - auch zum Verdruss der Thüringer Landesregierung. Die Folge des aufgestauten Frusts des Ministerpräsidenten. Die Umleitung durch das Heldburger Unterland, Ramelow nennt es den "Aiwanger-Bogen", werde es nicht geben. Der Netzbetreiber 50Hertz, der für Ostdeutschland zuständig ist, schreibt auf Anfrage, egal in welcher Form eine zusätzliche Leitung komme, eine bessere Auslastung der Strombrücke sei zu erwarten.
Doch Ramelow streckt die Hand aus. Infrastrukturministerin Susanna Karawanskij (Linke) und Energieminister Bernhard Stengele (Grüne) sollten mit ihrem bayerischen Amtskollegen und dem Chef der Bundesnetzagentur sprechen, zusammen mit den Chefs der Staatskanzleien. Und für gute Nachbarschaft solle man sich auf eine gemeinsame Kabinettssitzung treffen - um weniger übereinander und mehr miteinander zu sprechen. Bayern solle aber nicht versuchen, seine Interessen auf dem Terretorium der Thüringer Nachbarn zu verfolgen.
MDR (flog/ls)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 16. Februar 2024 | 18:00 Uhr
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