Prozess Korruptions-Affäre weitet sich aus: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ehemaligen OLG-Präsidenten
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24. Mai 2024, 08:35 Uhr
Am Landgericht Gera ist es am Donnerstag zu einem Paukenschlag gekommen. Im Laufe eines Korruptionsverfahren wurde bekannt: Seit anderthalb Jahren wird gegen den ehemaligen Präsidenten des Thüringer Oberlandesgerichts (OLG) und ehemaligen Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, Stefan Kaufmann, ermittelt. Was wusste er über das Agieren des ehemaligen hochrangigen OLG-Beamten F., der sich seit Donnerstag in Gera wegen Bestechlichkeit verantworten muss?
Inhalt des Artikels:
- Verfahren gegen ehemaligen OLG Präsidenten
- Wer wusste was in der Thüringer Justiz?
- Staatsanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe
- Schaden für Freistaat Thüringen?
- Verteidiger: Verfahren muss aussetzt werden?
- Zweifel an Objektivität der Thüringer Justiz
- Angeklagter mit emotionaler Aussage
- Gericht lehnt Anträge ab
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Es dauerte fast über eine Stunde, bis Unruhe im Saal 103 der 1. Strafkammer am Landgericht Gera aufkam. Die renommierte Strafverteidigerin Heide Sandkuhl hatte das Wort ergriffen und wandte sich an den Vorsitzenden Richter der Kammer.
Sie werde Namens ihres Mandanten das Aussetzen des Verfahrens beantragen. Das Ganze ließe sich aus dem Umstand eines anderen Ermittlungsverfahrens begründen. Und dann ließ Sandkuhl die Katze aus dem Sack: Denn ihr sei aus den Ermittlungsakten bekannt, dass es seit Januar 2023 ein Ermittlungsverfahren gegen Herrn Stefan Kaufmann gebe.
Verfahren gegen ehemaligen OLG Präsidenten
Bei diesem handelt es sich um niemand Geringeres als den ehemaligen Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs. Kaufmann war das von 2018 bis 2021. Zuvor war er von 2006 bis 2018 der Präsident des Thüringer Oberlandesgerichtes in Jena. Und genau diese Position hat für Kaufmann nun ein juristisches Nachspiel. Denn er soll einen Mitarbeiter zu einer Straftat verleitet haben - so führte es Sandkuhl in ihrem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aus.
Bei den beiden Staatsanwälten Stefan Fritsche und Martin Zschächner war in diesem Moment ein gewisses Unbehagen über das Öffentlichmachen dieses Verfahrens zu spüren. In der Folge aber bestätigte Fritsche das Verfahren gegen Kaufmann vor Gericht.
Wer wusste was in der Thüringer Justiz?
Der "Mitarbeiter", den Anwältin Sandkuhl meinte, ist der ehemalige hochrangige OLG-Beamte F.. Er und zwei Unternehmer stehen seit Donnerstag wegen des Vorwurfs der Korruption, der Untreue und des Verstoßes gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vor dem Landgericht Gera. Ein Verfahren, das in den kommenden Monaten für viel Unruhe in Thüringer Justizkreisen sorgen könnte.
Es geht um die Vergabe von Dienstleistungsverträgen an zwei Unternehmer durch das OLG Jena mit einem Volumen von weit über einer Million Euro. Und es steht die Frage im Raum: Wer alles in den oberen Etagen der Thüringer Justiz wusste von diesen Vergaben und hatte sie mit abgesegnet?
Staatsanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe
Damit beginnen die Lesarten zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Denn laut der Anklage sollen diese Vergaben der Aufträge rechtswidrig gewesen sein. Die Ankläger gehen davon aus, dass diese deshalb zustande kamen, weil der ehemalige OLG-Beamte F. seit Jahren in großen Schuldenproblemen stecke, was dieser bestreitet. Und genau das sollen die beiden Unternehmer ausgenutzt haben. Seiten über Seiten führte Staatsanwalt Zschächner beim Verlesen der Anklage aus, was den drei Angeklagten vorgeworfen wird.
Immer wieder soll der Unternehmer K. dem ehemaligen OLG-Beamten Geld geliehen haben, weil der darum gebeten haben soll. Im Gegenzug, so der Staatsanwalt, habe K. dann von F. die Vergabe von Dienstleistungsverträgen eingefordert. Auch der Unternehmer R. soll davon profitiert haben.
Schaden für Freistaat Thüringen?
Der Angeklagte OLG-Beamte habe dann in der Folge dafür gesorgt, dass die Aufträge genehmigt und die entsprechenden Rechnungen darüber bezahlt wurden. Sprich: F. soll für die Vergabe der Aufträge, die Prüfung der Rechnung und der Anweisung des Geldes verantwortlich gewesen sein.
Das soll zwischen den Jahren 2012 und 2019 passiert sein. Dabei seien teilweise völlig überhöhte Preise aufgerufen worden sein, wodurch dem Freistaat ein erheblicher Schaden von mehreren Hunderttausend Euro entstanden sein soll.
Verteidiger: Verfahren muss aussetzt werden?
Als die Staatsanwaltschaft mit dem Verlesen der Anklage fertig war, hatte Rechtsanwältin Sandkuhl ihren Auftritt. Im Namen ihres Mandanten K. machte sie klar, dass das Verfahren ausgesetzt werden müsse. Der Grund sei einfach: Es müsse erst das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Chef des angeklagten OLG-Beamten F. abgewartet werden. Der Stefan Kaufmann war.
Im Kern geht es der Verteidigung der drei Angeklagten darum, das abgewartet werden müsste, ob sich die Verdachtsmomente gegen Kaufmann bestätigen. Denn er sei der Vorgesetzte von F. gewesen und es stehe die Frage im Raum, ob die Vergabe der Aufträge wirklich rechtswidrig waren und wenn ja, warum das keinem der Vorgesetzten, in dem Fall Kaufmann, aufgefallen sei.
Zweifel an Objektivität der Thüringer Justiz
Nach Ansicht der Verteidigers habe der betroffene Ex-Beamte im Einvernehmen mit der Hausleitung des OLG gehandelt. Sämtliche Vergaben an die Unternehmer seien im OLG über Jahre bekannt gewesen. Selbst eine Innenrevision, die wohl stattgefunden haben soll, habe keinen Verstoß gegen die Vergabeordnung gefunden. Sandkuhl ging in ihrer Erklärung aber noch einen Schritt weiter. Denn sie bezweifelt, dass das Verfahren objektiv genug in Thüringen geführt werden könne.
Denn, so Sandkuhl: Selbst die Staatsanwaltschaft habe in ihren Akten davon gesprochen, dass der Fall "im Herz der Thüringer Justiz angesiedelt" sei. Und damit trifft sie einen wichtigen Kern des Prozesses, der auch durch eine umfangreiche Aussage ihres Mandanten K. bestätigte wurde.
Angeklagter mit emotionaler Aussage
Der erklärte in einer teilweise emotionalen Aussage, dass er immer davon ausgegangen sei, dass die Dienstleistung, die er mit seiner Firma erbracht habe, der Thüringer Justiz geholfen habe. K. hatte über Jahre Studenten der Uni Jena rekrutiert, die in der Thüringer Justiz zahllose Service-Jobs gemacht hatten. Vom Einrichten von Büros über IT-Dienstleistungen. Dabei sei er immer davon ausgegangen, dass alle Verträge, die ja durch das OLG geprüft worden sind, rechtmäßig gewesen seien.
Darlehen seien privat gewesen
Zudem habe er in all den Jahren immer wieder durch das OLG und auch vom damaligen Präsidenten gespiegelt bekommen, wie wichtig die Arbeit der Studenten als Hilfskräfte gewesen sei. Schon allein aus diesem Grund sei ihm nie in den Sinn gekommen, dass da etwas nicht stimmen könne.
Bleiben die Darlehen an den Ex-OLG Beamten. Diese, so K., seien privat gewesen, weil er F., den er in seiner Aussage mit dem Vornamen nannte, seit vielen Jahren gut kenne. Er habe ihm helfen wollen und diese Hilfe nie in einem Zusammenhang mit den Aufträgen gesehen, die er erhalten habe.
Es sei sogar so gewesen, dass nicht er, sondern F. mit der Idee der Studenten auf ihn zugekommen sei. Die Dienstleistung für die Justiz sei gar nicht seine Idee gewesen, weil er selber seit Jahren im Bereich Sportmarketing sein Geld verdiene. "Mir ist bis heute nicht klar, was ich verbrochen haben soll", sagte er.
Gericht lehnt Anträge ab
Das Gericht lehnte den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ab. Das bedeutet: Ab jetzt wird bis Weihnachten verhandelt und das könnte für Teile der Thüringer Justiz brisant werden. Denn die Verteidiger sind offenbar wild entschlossen, den Vorgängen am OLG Jena in dem Verfahren genau auf den Grund zu gehen - eingeschlossen den Vorgesetzten im Thüringer Justizministerium. Stefan Kaufmann ließ eine Anfrage bisher unbeantwortet.
MDR (lke/lou)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 23. Mai 2024 | 16:00 Uhr