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Im Video: Am Landgericht Gera ist ein Korruptionsprozess gestartet. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Korruptionsprozess Vorwurf der Bestechlichkeit und Untreue: Ex-OLG-Beamter muss vor Landgericht

23. Mai 2024, 12:33 Uhr

Nach mehr als vier Jahren Ermittlung beginnt am Donnerstag vor dem Landgericht Gera ein brisantes Verfahren. Angeklagt sind drei Männer wegen des Vorwurfs der Korruption und der Untreue. Im Mittelpunkt des Prozesses steht ein ehemaliger hochrangiger Beamter des Oberlandesgerichts Jena (OLG). Es geht um Schulden, die Vergabe von Aufträgen und um die Frage nach der Verantwortung in der Thüringer Justiz.

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Die Mühlen in den Thüringer Justizamtsstuben mahlen langsam. Besonders, wenn es um komplexe Ermittlungsverfahren geht, wie in diesem Fall. Über vier Jahre haben Staatsanwaltschaft und zwei Thüringer Landgerichte gebraucht, bis es am Donnerstag zu einer öffentlichen Hauptverhandlung gegen drei Männer kommt, deren angebliche Taten teilweise bis ins Jahr 2012 zurückreichen.

Angeklagt sind der ehemalige Referatsleiter am Oberlandesgericht Jena, F., und die beiden Unternehmer K. und R. Gegen einen vierten Beschuldigten war das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage von 50.000 Euro eingestellt worden.

Fälle von Bestechlichkeit und Untreue

Was ab Donnerstag vor dem Landgericht Gera verhandelt wird, seitdem MDR Investigativ den Fall im Herbst 2020 öffentlich gemacht hatte, hat für viel Aufregung in der Thüringer Justiz und auch im Thüringer Landtag gesorgt.

Das Justizministerium musste dem Justizausschuss mehrfach berichten, es gab interne Krisensitzungen und Prüfungen im Oberlandesgericht Jena. Denn die Anklage gegen die drei, besonders gegen den 69-jährigen Ex-Beamten, wiegt schwer.

Er soll sich, so teilte es unlängst das Landgericht Gera im Vorfeld der Prozesseröffnung mit, in 13 Fällen bestechen lassen haben. Dazu wird ihm in sechs Fällen Untreue vorgeworfen. Zudem soll er gegen das Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung verstoßen haben. Den Schaden beziffert das Landgericht mit "mehreren Hunderttausend Euro".

Angeklagter weist Vorwurf der Bestechung zurück

Die beiden mitangeklagten Geschäftsmänner wiederum müssen sich unter anderem wegen des Vorwurfs der Bestechung und der Beihilfe zur Untreue verantworten. Während sie sich über ihre Anwälte nicht äußern wollten und auf eine Anfrage nicht reagierten, antwortete der Ex-Beamte F. auf entsprechende Fragen von MDR Investigativ im Vorfeld des Prozesses.

Zum Korruptionsvorwurf teilte der mit: "Ich war zu keiner Zeit bestechlich und bin auch nicht bestochen worden." Auch den Vorwurf, gegen das Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung verstoßen zu haben, weise er entschieden zurück.

Ex-Beamter soll hohe Schulden gehabt haben

Der Ausgangspunkt des ganzen Falls, so wirft es die Staatsanwaltschaft Gera dem angeklagten Ex-Beamten F. vor, sollen seine Schulden gewesen sein. Bei den Ermittlungen des Landeskriminalamtes gegen ihn hatte sich offenbar herausgestellt, dass der Angeklagte Verbindlichkeiten in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro aus Immobiliengeschäften gehabt haben soll.

In dieser prekären finanziellen Situation soll der Geschäftsmann K., der den Beamten des Oberlandesgerichtes (OLG) über den Fußball in Jena schon lange gekannt haben, zu Hilfe geeilt sein. K. soll dem verschuldeten F. mit Darlehen finanziell unter die Arme gegriffen haben.

Offenbar Verstoß gegen Vergaberegeln

Im Gegenzug dafür, so der Anklagevorwurf, habe der Beamte in seiner Funktion als Referatsleiter für Haushalt, Beschaffung und Personal am Oberlandesgericht Jena, für die Vergabe von Aufträgen an Firmen des Angeklagten K. gesorgt. Aufträge, die angeblich gegen die Regeln der Vergabeordnung verstoßen haben sollen, worauf sich der Untreuevorwurf begründet.

Zum Thema Verschuldung teilte der Angeklagte F. MDR Investigativ mit, dass dies unrichtig sei, da er im Zeitraum von 2012 bis 2019 nachweislich verschiedene Darlehensverträge mit Banken und Umfinanzierungen von Immobilienkrediten mit Banken abgeschlossen habe. "Von zunehmender Verschuldung kann daher keine Rede sein", erklärte der Ex-Beamte. Das dürfte die Staatsanwaltschaft anders sehen.

LKA: Aufträge von insgesamt über einer Million Euro

Unstrittig scheint, dass es zwischen F. und K. seit 2012 eine Geschäftsbeziehung gab. Vier Jahre später soll dann der weitere Angeklagte R. mit seiner Firma ins Spiel gekommen sein.

Er soll ebenfalls Aufträge von F. erhalten haben, für die dann angeblich weitere Darlehen geflossen sein sollen, und die dem angeklagten Ex-Referatsleiter finanziell aushelfen sollten. Bei den Aufträgen an die beiden Geschäftsmänner soll es um verschiedene umfangreiche Dienstleistungen in der Thüringer Justiz gegangen sein.

Unter anderem soll der Angeklagte K. Studenten für Jobs im Oberlandesgericht Jena und in der Thüringer Justiz über seine Dienstleistungsfirma zur Verfügung gestellt haben. Beim Thema Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sollen Aufträge an den Angeklagten R. gegangen sein. Nach Recherchen von MDR Investigativ soll das Landeskriminalamt bei seinen Ermittlungen Aufträge im Gesamtwert von über einer Million Euro festgestellt haben.

Juristische Odyssee durch Thüringen

Doch es hat vier Jahre bis zur Prozesseröffnung gedauert. Nachdem die Staatsanwaltschaft Gera zwei Jahre nach dem Beginn der Ermittlungen Anklage beim Landgericht Gera eingereicht hatte, begann eine juristische Odyssee.

Denn das Landgericht war der Überzeugung, dass es nicht der richtige Adressat für einen Fall wie diesen war und übergab die Anklage an die Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Mühlhausen. Das prüfte endlose Monate seine eigene Zuständigkeit, um selbige nicht zu sehen und die Anklage wieder an das Landgericht Gera zurück zu senden. Dort wurde diese dann zugelassen, aber der Richter forderte weitere Nachermittlungen von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt.

Frage nach Verantwortung Vorgesetzter

Nach Informationen von MDR Investigativ dürfte der Prozess - auch über die drei Angeklagten hinaus - für eine Reihe von hochrangigen oder ehemals hochrangigen Beamtinnen und Beamten aus der Thüringer Justiz brisant werden. Denn in dem gesamten Fall steht eine Frage im Raum: Wenn die Vorwürfe zutreffen sollten, wer hat im Oberlandesgericht Jena die Aufsichtsfunktion gegenüber dem betroffenen Beamten möglicherweise nicht ausgeübt?

Denn klar ist: Der Ex-Beamte hatte allein mit dem Angeklagten K. eine Geschäftsbeziehung von über sechs Jahren. Seit dieser Zeit sind mehrere Aufträge des Oberlandesgerichts Jena über F. an den Unternehmer K. gegangen. Da stellt sich die Frage: Wenn es angeblich ständig Verstöße gegen die Vergabevorschriften gab, warum ist das niemandem im Oberlandesgericht aufgefallen?

Was wusste Ex-OLG Präsident Kaufmann?

Diese Fragen könnten sich unter anderem an den ehemaligen Chef des angeklagten Ex-Beamten F. richten, der kein geringerer als Stefan Kaufmann ist. Der war zu der damaligen Zeit Präsident des Oberlandesgerichts und bis zu seinem Ruhestand der Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs.

Kaufmann hatte auf verschiedene Anfragen von MDR Investigativ vor Prozessstart immer gesagt, dass er sich zu dem Verfahren nicht äußern werde. Ob Kaufmann als Zeuge gehört werden soll, war vor dem Prozess offiziell nicht bekannt, aber naheliegend. Zum Auftakt des Prozesses wurde jedoch bekannt, dass gegen ihn ermittelt werde. Zudem dürften während des Prozesses eine ganze Reihe von Beamtinnen und Beamten aus der Thüringer Justiz im Prozess als Zeugen auftreten.

Angeklagter: Verträge waren zwingend notwendig

Dass die Frage der Verantwortung von Vorgesetzten in dem Prozess eine Rolle spielen dürfte, wird aus einer Antwort des Angeklagten F. an MDR Investigativ deutlich. Bei der Frage nach der Vergabe der Aufträge und dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, dass sie in Abhängigkeit von Schulden gestanden haben sollen, teilte F. mit: "Sämtliche Dienstleistungsverträge waren aufgrund der geschäftlichen und personellen Situation im Geschäftsbereich zwingend erforderlich und im Einvernehmen mit der Leitungsebene besprochen." Bedeutet aus seiner Sicht: Die Chefs wussten Bescheid.

Ministerium verstärkt Korruptionsbekämpfung

Besonders im Thüringer Justizministerium wird man den Prozess genau beobachten, denn gegen den Ex-Beamten F. dürfte dann noch ein entsprechendes Disziplinarverfahren anlaufen. Das könnte, bei einem Schuldspruch, Auswirkungen auf sein Ruhestandsgehalt haben.

Offiziell will sich das Ministerium aus Datenschutzgründen nicht äußern. Dass man aber den Korruptionsvorwurf aus dem Prozess am Landgericht Gera ernst nimmt, zeigt der Umstand, dass im Oberlandesgericht Jena das einstige Referat des Angeklagten F. inzwischen in drei unabhängige Bereiche zerlegt worden ist.

Dadurch sei sichergestellt, dass die unterschiedlichen Verwaltungsaufgaben nicht durch ein und denselben Referatsleiter verantwortet werden, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Zudem sei von der Innenrevision die Korruptionsprävention verstärkt worden.

Laut der neuen Richtlinie muss auf einem korruptionsgefährdeten Dienstposten das Personal nach maximal fünf Jahren ausgetauscht werden. Zudem würden die Vergabevorgänge des Oberlandesgerichts Jena nunmehr nach dem jährlichen Regelprüfplan der Innenrevision des Justizministeriums überprüft.

MDR (lke/mm)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 23. Mai 2024 | 06:00 Uhr

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