Justiz Thüringer AfD-Mitglied bekommt Waffen zurück - Richter kritisieren Verfassungsschutz
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14. August 2023, 18:10 Uhr
Ein AfD-Mitglied aus dem Saale-Orla-Kreis darf nun wieder rechtmäßig seine Waffen besitzen. Die Richter am Verwaltungsgericht Gera ziehen für ihr Urteil auch die Wahl des neuen AfD-Landrats Sesselmann heran.
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- Die Richter kritisieren außerdem die Verfassungsschutz-Einstufung der AfD als "erwiesen rechtsextremistisch".
- Das sagt ein Jenaer Rechtsexperte zu dem Urteil.
- So reagiert das Thüringer Innenministerium auf die Aussagen der Richter.
Ein AfD-Mitglied aus dem Saale-Orla-Kreis bekommt seine Waffenbesitzkarte, den Europäischen Feuerwaffenpass sowie eine Kurz- und eine Langwaffe zurück. So geht es aus einem am Montag veröffentlichten Urteil des Verwaltungsgerichts Gera hervor, das MDR THÜRINGEN vorliegt.
Die Waffenbehörde hatte die Berechtigungen im April wegen "fehlender waffenrechtlicher Zuverlässigkeit" eingezogen. Begründet worden war der Verwaltungsvorgang mit der Einstufung des Thüringer AfD-Landesverbands als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" durch den Landesverfassungsschutz.
Erfolgreicher Widerspruch - im Eilverfahren
Gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte und des Europäischen Feuerwaffenpasses durch die Waffenbehörde legte der Sportschütze nun im Eilverfahren erfolgreich Widerspruch ein. Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht noch aus. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Weimar ist möglich.
In der Urteilsbegründung heißt es, dem AfD-Mitglied und Sportschützen werde von der Waffenbehörde "gerade nicht vorgeworfen, dass er als Einzelperson Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind. Auch im Übrigen sind […] nicht einmal im Ansatz Umstände erkennbar, die den Schluss zulassen, dass vom Antragsteller selbst - jetzt oder in Zukunft - irgendwelche waffenrechtlichen erheblichen Gefahren" ausgingen. Deswegen müsse das AfD-Mitglied die Waffenscheine mit sofortiger Wirkung zurückbekommen.
Hinzukommen muss vielmehr auch eine individuelle Verfassungsfeindlichkeit.
Michael Brenner, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Jena, hält diese Entscheidung für "in der Sache richtig". Auf MDR THÜRINGEN-Anfrage teilte der Jurist mit: "In der Sache stellt das Gericht klar, dass allein die Mitgliedschaft in der AfD nicht ausreicht, um den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis rechtfertigen zu können. Hinzukommen muss vielmehr auch eine individuelle Verfassungsfeindlichkeit."
Klarheit erst durch Bundesverfassungsgericht
Ähnlich hatte im April das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt im Fall eines Magdeburger AfD-Stadtrats argumentiert. In Sachsen-Anhalt allerdings wird die AfD nur als extremistischer Verdachtsfall eingestuft und nicht wie in Thüringen als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung". Gleichwohl meint Staatsrechtler Brenner: "Andere Gerichte werden sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gera sicherlich genau anschauen, wenn sie über vergleichbare Sachverhalte entscheiden müssen. Letzte Klarheit wird aber erst eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bringen können."
Innenministerium berief sich auf Verfassungsschutz
Der Versuch der Waffenbehörden allen AfD-Mitliedern in Thüringen den Waffenbesitz zu untersagen, geht auf einen Erlass von Innenminister Georg Maier (SPD) aus dem vergangenen Sommer zurück. Darin beruft sich Maier auf besagte behördliche Einstufung der Thüringer AfD als verfassungsfeindlich sowie auf eine Änderung des Waffenrechts. Dazu heißt es auf der Homepage des Bundesinnenministeriums: "Personen, die Mitglied in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung sind (auch wenn diese nicht verboten ist), gelten als in der Regel waffenrechtlich unzuverlässig."
Fall Sesselmann: Richter differenzieren Verfassungsschutz-Einstufung
In ihrem Beschluss verweisen die Geraer Richter auch auf den neu gewählten AfD-Landrat des Kreises Sonneberg. Nach Robert Sesselmanns Wahl hatte das Thüringer Landesverwaltungsamt dessen Verfassungstreue von Amts wegen geprüft. Landräte sind Wahlbeamte, die Gewähr dafür leisten müssen, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten.
Die Geraer Richter weisen nun darauf hin, dass dieses Prüfergebnis "zur bejahten Verfassungstreue des neu gewählten Landrats, […], gegen die Annahme" spräche, "es existiere in diesem Landesverband nur eine einzige, alle anderen dominierende politische Grundausrichtung". In diesem Zusammenhang hätten Waffenbehörde und Verfassungsschutz "die internen Willensbildungsprozesse" im Landesverband sowie das "Verhältnis verschiedener Strömungen untereinander gänzlich unbeleuchtet" gelassen.
Kritik am Verfassungsschutz
Das Urteil (Aktenzeichen 1 E 564/23 Ge) der 1. Kammer des Geraer Verwaltungsgerichts umfasst insgesamt 13 Seiten. Drei Richter - darunter der Gerichtspräsident - wägen darin zwischen dem privaten Interesse des Klägers (Waffenbesitz) und dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Waffenentzug) ab.
Dabei beziehen sich die Richter in weiten Teilen auf einen Vermerk des Thüringer Verfassungsschutzes "zur Weitergabe an die unteren Waffenbehörden". Darin wird ausgeführt, weshalb die Thüringer AfD aus Sicht des Geheimdienstes eine "rechtsextremistische Bestrebung" darstellt. Auf Grundlage dieses Dokuments, das MDR THÜRINGEN vorliegt, wurden auch dem Sportschützen im aktuellen Fall durch die Waffenbehörde die Waffenbesitzkarten entzogen.
Mangel an "Grad der Erkenntnisgewissheit"
Den Geraer Richtern allerdings erscheint diese Grundlage offenbar als nicht tragfähig genug. In dem Urteil heißt es: "Weder aus dem Vermerk, noch aus dem Verfassungsschutzbericht 2021 folgt mit der erforderlichen Sicherheit die Verfassungsfeindlichkeit des gesamten Landesverbands der AfD in Thüringen." Mit Blick auf beide Dokumente fehle es an dem "dafür erforderlichen Grad der Erkenntnisgewissheit".
Dem Landratsamt und somit dem Verfassungsschutz sei es in diesem Verwaltungsverfahren nicht gelungen, die "Verfassungsfeindlichkeit des gesamten AfD-Landesverbands mit belastbaren und im Einzelnen nachprüfbaren Tatsachen hinlänglich zu belegen".
Verfassungsrechtler Brenner sieht darin Kritik der Richter an der Arbeit des Verfassungsschutzes: "Mittelbar wird in dem Beschluss das Landesamt für Verfassungsschutz kritisiert, da es nach Auffassung des Gerichts die Verfassungswidrigkeit des AfD-Landesverbandes nicht mit der juristisch gebotenen Tiefe dargelegt hat."
Das reicht […] nicht aus, eine feststehende Verfassungsfeindlichkeit des gesamten Landesverbandes der AfD Thüringen zu belegen.
Tatsächlich lassen die Richter kaum ein gutes Haar an dem Vermerk des Geheimdienstes. Auf Seite 8 des Urteils heißt es dazu: "Das Amt für Verfassungsschutz beschränkt sich auf die Wiedergabe von lediglich drei vereinzelten programmatischen Aussagen aus dem Wahlprogramm 2019 zur Landtagswahl und der Wiedergabe von ganzen sechs einzelnen Aussagen von vier Funktionären aus vier von neun Kreisverbänden. Das reicht angesichts der mangelhaften qualitativen und quantitativen Verdichtung nicht aus, eine feststehende Verfassungsfeindlichkeit des gesamten Landesverbandes der AfD Thüringen zu belegen." Auch die Angaben im Verfassungsschutzbericht 2021 stellten diesen "Befund" nicht in Frage.
Höckes realer Einfluss unklar?
Im Zentrum des Geheimdienst-Vermerks an die Waffenbehörden steht der Chef der Thüringer AfD. Björn Höcke wird darin am häufigsten zitiert, auch wenn er namentlich nicht genannt wird. Einerseits sieht das Gericht in Höcke "gewichtige Indizien für die Gesamtausrichtung der entsprechenden Vereinigung".
Andererseits aber heißt es in dem Urteil: "Das Amt für Verfassungsschutz hat es in seinem Vermerk nicht vermocht, Bedeutung und Einfluss dieses von ihm in den Fokus gerückten 'einen Landesprechers' für den gesamten Landesverband in einer Weise zu verdeutlichen, dass dessen dort wiedergegeben Äußerungen - die Richtigkeit ihrer Interpretationen durch das Amt unterstellt - die verfassungsfeindliche Zielrichtung des gesamten Landesverbands repräsentieren."
Insbesondere fehlten "jedwede (nachprüfbare) tatsächliche Feststellungen zum realen Einfluss des 'einen Landessprechers' und seiner politischen Vorstellungen, so wie sie vom Verfassungsschutz interpretiert werden - im Vergleich zu ggf. mit zu berücksichtigenden weiteren Strömungen im Landesverband".
Innenministerium prüft Konsequenzen
Das Innenministerium in Erfurt teilte auf Anfrage von MDR THÜRINGEN mit, es prüfe gegenwärtig "die Entscheidungsgründe der noch nicht rechtskräftigen Eilentscheidung" des Verwaltungsgerichts. Sprecher Carsten Ludwig sagte: "In diesem Zusammenhang wird auch zu berücksichtigen sein, dass es sich um eine Eilentscheidung handelt, die lediglich auf einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergeht."
Andere Verwaltungsgerichte hätten zu "der Frage der Unzuverlässigkeit eines AfD-Mitglieds im Sinne des WaffG eine andere Rechtsauffassung" vertreten, so der Ministeriumssprecher. Geprüft werde nun, ob "Rechtsmittel eingelegt" werden, "ebenso wie mögliche Auswirkungen auf die anderen von den Thüringer Waffenbehörden eingeleiteten Widerrufsverfahren". Das Thüringer Amt für Verfassungsschutz war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Die Kosten des Verfahrens in Höhe von 5.375 Euro trägt das Landratsamt. Wie das Amt auf Anfrage von MDR THÜRINGEN mitteilte, prüfe es derzeit, ob es Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlege.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 14. August 2023 | 14:00 Uhr