Theresa Niemann und Ina Göthe stehen vor eine Tür mit einem Caritas-Plakat.
Theresa Niemann und Ina Göthe arbeiten im "Haus Hoffnung" täglich mit Menschen, die von Obdachlosgkeit betroffen sind. Bildrechte: MDR/Christian Franke

Interview Haus Hoffnung: So arbeitet der Zufluchtsort für Obdachlose in Weimar

16. Februar 2025, 06:00 Uhr

Das "Haus Hoffnung" in Weimar ist seit mehr als 20 Jahren ein sicherer Hafen für Obdachlose. Hier finden Menschen, die auf der Straße leben, nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch Unterstützung für einen Neuanfang. Doch oft ist der Weg zurück zu einer eigenen Wohnung nicht leicht, denn das Wohnungsangebot ist knapp und die Schicksale der Menschen sind schwierig. Ina Göthe und Theresa Niemann geben einen Einblick in die Arbeit einer Unterkunft für obdachlose Menschen.

Was kommen denn so für Leute zu Ihnen? Welche Gründe erleben Sie, warum Menschen obdachlos geworden sind?

Göthe: Das ist ganz unterschiedlich. Da gibt es den jungen 20-Jährigen, der bei der Mutter rausgeflogen ist, bis zu dem Alkoholiker, der aufgrund seiner Mietschulden und auch einer gewissen Verwahrlosung sein Mietverhältnis verloren hat. Bis zu Rentnern, die auch aufgrund einer Schuldenproblematik den Mietvertrag aufgekündigt bekommen haben. Wir haben alles, was es an Problemlagen eigentlich so gibt.

Neben dem Begriff der Obdachlosigkeit hört man auch immer mal von Wohnungslosigkeit. Welchen Unterschied gibt es da?

Göthe: Also, wohnungslos sind diejenigen, die ihre Wohnung verloren haben, die keinen eigenen Mietvertrag mehr haben, aber zum Beispiel bei Bekannten oder Verwandten unterkommen - oder Couchsurfing machen. Obdachlos sind diejenigen, die wirklich bei niemandem unterkommen können, die auf der Straße leben oder aber zu uns in die Notschlafstelle kommen.

Die meisten, die hierher kommen, haben erstmal eine gewisse Zeit lang eine Odyssee hinter sich.

Ina Göthe Haus Hoffnung

Unser Angebot richtet sich aber auch an die Wohnungslosen, keine Frage. Weil das mit der Wohnungslosigkeit ist ja auch eigentlich ein prekärer Zustand. Auch diese Menschen müssen zusehen, dass sie irgendwo einen Platz finden, dass ihnen jemand wohlgesonnen ist. Für Frauen ist es oftmals auch mit gewissen Gegenleistungen verbunden. Von daher steht das Haus Hoffnung natürlich auch den Wohnungslosen zur Verfügung, aber das nimmt man halt nicht gerne an, weil es natürlich so eine gewisse Hemmschwelle ist zu sagen: Ich bin obdachlos.

Niemann: Viele halten das einfach dann eine Zeit lang aus, irgendwo unterzukommen bei Freunden oder irgendwie bei Partnern. Das sind dann oft auch ganz prekäre Wohnsituationen. Oder es wird sich gestritten - dann sind sie ja auch genauso obdachlos und da muss dann einfach auch schnell gehen.

Das "Haus Hoffnung" in Weimar Hier beschreibt Ina Göthe das "Haus Hoffnung":

Das "Haus Hoffnung" ist eine Obdachloseneinrichtung der Stadt Weimar und wird von ihr betrieben. Wir als Caritas-Mitarbeiter sind hier eingesetzt, die soziale Betreuung abzudecken. Quasi um mit den Klienten zusammenzuarbeiten, sodass deren Obdachlosigkeit wieder behoben werden kann und eigener Wohnraum wieder möglich wird. Das Haus Hoffnung existiert bereits seit über 20 Jahren, also 20 Jahre lang ist die Caritas hier schon drin. An sich existiert es aber schon länger.

Ungefähr haben wir eine Kapazität von 53 Bewohnern. Die bekommen ein festes Zimmer für sich alleine zur Nutzung, wohnen in einer WG. Wir haben jetzt momentan 42 Bewohner. Die maximale Belegung werden wir nie erreichen können, weil wir aufgrund von gewissen Umständen manche Wohnungen auch nur mit einer Person belegen. Zu uns gehört auch die Notschlafstelle, die ist aber wirklich getrennt in der Nordstraße, quasi eine Querstraße weiter von hier.

Wenn die Leute zu Ihnen kommen: Was ist dann konkret Ihre Aufgabe?

Göthe: Primär geht es erstmal darum, wenn jemand hier ankommt, dass er erstmal wieder ja zur Ruhe kommen kann. Dass er sein eigenes Zimmer hat, weil: Die meisten, die hierher kommen, haben erstmal eine gewisse Zeit lang eine Odyssee hinter sich. Entweder waren sie wirklich auf der Straße oder haben über einen langen Zeitraum erstmal irgendwo immer wieder mal geschlafen.

Und wenn sie hier ein Zimmer haben, dann geht es meistens erstmal darum, mit sehr kleinen Schritten an der Zusammenarbeit zu arbeiten. Das heißt, quasi halbwegs regelmäßig zu uns zu kommen, die Post zu holen, Post zu öffnen und auch den gewissen Anforderungen nachzukommen, die unser Sozialstaat verlangt.

Außenansicht eines Wohnblocks, das Obdachlosenheim Haus Hoffnung in Weimar. Davor sind Autos geparkt.
Seit mehr als 20 Jahren bietet das "Haus Hoffnung" in Weimar Menschen ohne Wohnung einen sicheren Rückzugsort. An der Fassade steht ein Zitat des tschechischen Autors und Menschenrechtlers Václav Hável: "Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht." Bildrechte: MDR/Christian Franke

Wir unterstützen dann bei allem, was eigentlich so aufkommt. Dass erstmal überhaupt Sozialleistungen beantragt werden, damit wieder Gelder fließen, damit wieder eine Krankenversicherung existiert. Dann gucken wir, dass das Wohnverhältnis stimmt, also dass man das Zimmer in Ordnung hält, dass man mit den Mitbewohnern klarkommt, dass so ein gewisses soziales Gefüge auch wieder funktioniert. Und wenn wir dann der Meinung sind oder der Klient auch der Meinung ist "Ich will es jetzt wieder versuchen und ich bin in der Lage mir eine Wohnung auch zu halten", dann gehen wir los und suchen mit ihnen eine Wohnung.

Niemann: Man könnte noch erzählen, dass es aber auch zunehmend Leute gibt, bei denen das nicht so möglich ist. Also, die nicht in der Lage sind, auch mal zu uns zu kommen, auch auf Aufforderung, oder einfach diese Mitarbeit nicht möglich ist. Zum Beispiel bei einer wirklich sehr schweren Suchterkrankung oder anderen psychischen Erkrankungen. Dann muss man auch feststellen, dass diese Wohnungssuche lange, lange nicht gelingen wird oder vielleicht auch gar nicht mehr. Also, es gibt auch Leute, die hier einfach leben. Und die dann auch hier bleiben und wahrscheinlich auch nicht mehr hier rausgehen.

Ein Schild mit den Öffnungszeiten der sozialen Betreuung des Hauses Hoffnung in Weimar 2 min
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Ina Göthe arbeit in der Weimarer Obdachlosenunterkunft "Haus Hoffnung". Sie spricht über die Ursachen von Obdachlosigkeit und die Hilfe, die sie den Menschen bieten können.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Sa 08.02.2025 14:06Uhr 01:41 min

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Die größten Herausforderungen sind die psychischen Beeinträchtigungen. Das wird gefühlt immer mehr.

Ina Göthe Haus Hoffnung

Arbeiten Sie dann auch mit anderen Einrichtungen zusammen - vor allem was Suchterkrankungen angeht?

Niemann: Ja, natürlich. Es gibt ja zum Beispiel die "SiT" [Anm. d. Red.: Suchthilfe in Thüringen] in Weimar, wo die Leute dann Termine machen, wo wir das auch nachhalten, dass sie dann auch hingehen - oder das Klinikum. Die psychiatrische Abteilung, da sind unsere Leute regelmäßig zu Gast. Und da sind wir auch in Kontakt mit dem Sozialen Dienst und tauschen uns dann auch aus, so weit das möglich ist.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen in der Arbeit mit obdachlosen Menschen?

Göthe: Die größten Herausforderungen sind die psychischen Beeinträchtigungen, die bei vielen vorliegen. Das wird gefühlt immer mehr. Der "normale Alkoholiker", wie er vielleicht noch vor 20 Jahren zum größten Teil zu uns gekommen ist, der wird immer weniger. Jetzt kommen oft noch andere Suchterkrankungen dazu und dadurch auch gewisse psychische Beeinträchtigungen. Und das macht es schwierig in der Zusammenarbeit; schwierig auch irgendwo, dieses Kleinteilige zu trainieren: die Absprachefähigkeit und auch ein Miteinander im Haus.

Niemann: Wir haben auch Leute, die psychisch krank sind, ohne dass man jetzt irgendwie einen Suchthintergrund feststellen könnte, die absolut keine Krankheitseinsicht haben. Das wird dann natürlich auch immer schlimmer, weil sie sich ja nicht einer Behandlung unterziehen oder das irgendwie überprüfen lassen. Weil sie das gar nicht einsehen, dass sie psychisch krank sind. Und mit denen ist das Arbeiten schon sehr, sehr schwierig.

Ein Obdachloser raucht Fentanyl in Portland im US-Bundesstaat Oregon. 1 min
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Ina Göthe und Theresa Niemann arbeiten in der Weimarer Obdachlosenunterkunft "Haus Hoffnung". Zu den größten Herausforderungen bei der sozialen Arbeit mit ihren Klienten gehören Suchterkrankungen.

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Wie sieht so ein typischer Tagesablauf bei Ihnen aus?

Göthe: So einen typischen Alltag gibt es nicht, weil jeder Tag anders ist. Das kann man auch nicht planen. Das können wir uns gerne vornehmen, aber meistens gelingt das nicht, weil dann irgendwas anderes dazwischenkommt. Im Normalfall müssen wir schauen, dass die Kontaktstube funktioniert, dass alles reibungslos abläuft, dass es da keine Konflikte gibt. Das kommt mitunter vor.

Dann führen wir hier im Büro natürlich die Beratung durch. Parallel gibt es vielleicht dann irgendeinen Ärger im Haus, wo dann mal jemand hinspringen muss. Oder aber es gibt mit irgendwelchen Netzwerkpartnern Gespräche, wo Klienten sich dann hierher setzen und etwas abklären. Dann teilen wir auch einigen Klienten die Gelder zu, wo die Betreuer uns quasi darum bitten oder zumindest zusammen mit den Klienten darum bitten, dass wir die Gelder in gewissen Intervallen zuteilen.

Die Kontaktstube des Hauses Hoffnung in Weimar
Die "Kontaktstube" ist der Dreh- und Angelpunkt im Weimarer "Haus Hoffnung". Bildrechte: MDR/Christian Franke

Dann haben wir natürlich auch ganz viel Dokumentation, weil wir alles irgendwo auch festhalten müssen für Eventualitäten. Ganz viel Bürokratie ist da mitunter dabei. Und natürlich, dass wir die Bewohner auch zu Terminen begleiten, sei es bei der Stadt, beim Gericht, Polizei, was auch immer.

Niemann: Insgesamt kann man sagen, dass es einfach deswegen nicht planbar ist, weil so größere und kleinere Krisen und Eskalationen an der Tagesordnung sind. Da weiß man einfach nicht, wer gerade wirklich auch Akuthilfe braucht oder was einfach aufgrund der verschiedenen Problemlagen der Bewohner und Bewohnerinnen an dem Tag jeweils passiert. Und dann muss man halt alles, was man gerade macht, stehen und liegen lassen natürlich.

Können Sie das konkreter machen? Was wären solche Fälle oder Streitigkeiten?

Niemann: Also, Streitigkeiten sind natürlich auch gang und gäbe. Das häufigste Problem, würde ich sagen, ist, dass Leute, vor allem stark Suchtkranke, in persönliche Krisen geraten und auch in körperliche Notlagen, wo man dann mal den Rettungsdienst rufen muss. Klar, es gibt auch Vorfälle, dass zum Beispiel jemand hier ein Hausverbot gekriegt hat, weil er eben vorher aggressives Verhalten gezeigt hat. Und wenn er trotzdem das Haus betritt, müssen wir dann die Polizei rufen, wenn wir es nicht schaffen, die Leute selber zu entfernen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Obdachlosigkeit generell zugenommen hat?

Göthe: Aus meiner Erfahrung heraus ist es jetzt nicht signifikant mehr geworden. Das sind jetzt aber auch nur die sechs Jahre, die ich hier bin. Und es unterliegt auch immer einer gewissen Schwankung. Es gibt so Zeiträume, da melden sich mehr Leute mit einem Mal und dann gibt es aber auch wieder Zeiträume, in denen relativ wenig Anfragen sind. Aber das kann man auch nicht wirklich ausmachen, was da die Ursache ist - nicht mal jahreszeitmäßig.

Aber das sind ja wirklich nur die Obdachlosen, die sich offiziell bei der Stadt melden. "OfW" sozusagen, also ohne festen Wohnsitz, und die dann bei uns andocken. Aber diese ganzen Wohnungslosen, die wahrscheinlich noch irgendwo eine Meldeadresse in ihrem Ausweis stehen haben, weil sie sich nie umgemeldet haben, und dann aber bei irgendwelchen Bekannten oder so schlafen - die rutschen ja weg in dieser Statistik. Die sind ja nicht geführt als obdachlos oder wohnungslos.

Das Problem ist einfach, dass wir aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes weniger Klienten wieder in eine eigene Wohnung kriegen.

Ina Göthe Haus Hoffnung

Niemann: Da wird es eine relativ hohe Dunkelziffer geben und das können wir auch nicht überblicken.

Göthe: Das Problem ist einfach, dass wir derzeit aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes natürlich auch weniger Klienten wieder in eine eigene Wohnung kriegen. Und das könnte auch auf lange Sicht Probleme bereiten, weil vielleicht irgendwann auch eine Miete nicht mehr zu zahlen geht. Die quasi jetzt noch in dem Mietverhältnis sind und dann irgendwann mit ihrem Einkommen, was sie haben, die Miete nicht mehr zahlen können. Aber das ist jetzt nicht wirklich irgendwo eindeutig abzulesen.

Im Regierungsvertrag der Landesregierung heißt es: "Wir verfolgen das Ziel, die Wohnungslosigkeit auch auf Grundlage angestoßener Prozesse bis 2030 zu beenden." Halten Sie das für realistisch? 

Göthe: Nein. Es ist ja auch die Frage: Wie definiert man das und gelten unsere Leute, die jetzt hier wohnen, für das Sozialministerium auch noch als obdachlos? Weil sie haben ja eigentlich ein Obdach. Rein rechtlich sind sie es, aber sie sind ja untergekommen. Wenn man jetzt natürlich den Kommunen die Gelder zur Verfügung stellt, dass sie genug dieser Einrichtungen zur Verfügung stellen können, könnte man vielleicht 2030 behaupten, man hat die offensichtliche Obdachlosigkeit behoben. Aber faktisch ist es ja eigentlich nur eine Unterbringung in geeigneten Räumlichkeiten.

Aber ich glaube, das, was eigentlich bezweckt werden sollte, ist, dass man seine Wohnung nicht verliert und irgendwelche präventiven Lösungen findet, damit wieder Wohnraum gesichert werden kann.

Niemann: Ich habe das Gefühl oder ich denke, da kann ich für uns beide sprechen, dass am Anfang, als dieser Plan rauskam [Anm. d. Red.: Gemeint ist hier die Thüringer Strategie gegen Wohnungslosigkeit], schon viel Aktionismus gezeigt worden ist. Man hat sich in Gremien zusammengesetzt und Arbeitskreise gebildet und einfach schon auch mal geschaut hat: Wie ist denn das in der Realität?

Da waren auch Leute hier und haben mit Bewohnern gesprochen. Aber irgendwie hat man das Gefühl, das verläuft jetzt dann schon wieder so ein bisschen im Sande. Vielleicht ob der Feststellung, dass es eben doch wesentlich komplizierter ist, da frühzeitig anzusetzen. Allein aus Vernetzungs- und Bürokratiegründen, so etwas wie Datenschutz zum Beispiel. Also, dass man da irgendwie weitergeben dürfte, dass jemand in der Notsituation ist und seine Miete nicht bezahlt. Und daran scheitert ja schon ganz vieles. Mein Gefühl ist, dass das so ein bisschen im Sande verläuft gerade und das deswegen auch nicht gelingen wird bis 2030.

Vielen Dank für das Interview!

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