Frauentag Was wurde aus Mary-Ellen Witzmann – der gekündigten Gleichstellungsbeauftragten aus Erfurt?
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08. März 2024, 06:00 Uhr
Erst durch die Äußerungen von Mary-Ellen Witzmann im Oktober 2023 wurden die Vorwürfe zu Machtmissbrauch und sexueller Belästigung am Theater Erfurt publik. Die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte brachte den Stein zur Aufarbeitung ins Rollen, wurde aber von der Stadt sofort fristlos gekündigt. Wie weit kann und muss Courage gehen, wenn es um das Fehlverhalten Dritter geht?
- Der Fall von Mary-Ellen Witzmann in Erfurt habe Signalwirkung, sagt die Sprecherin des Bundesverbandes aller Gleichstellungsbeauftragten.
- Sind die Konsequenzen für den freigestellten Generalintendanten des Theaters Erfurt milder als für die Gleichstellungsbeauftragte?
- Stimmen aus dem Stadtrat Erfurt sagen, Witzmann hätte der Stadt einen "Bärendienst" erwiesen.
Durch den juristischen Streit, derzeit vor dem Arbeitsgericht in Erfurt, dürfe man nichts sagen – lässt die Stadt wissen. Aber auch die Anwälte von Mary-Ellen Witzmann halten sich aus diesem Grund bedeckt. Am 12. April 2024 gibt es einen neuen Verhandlungstag. Manche rechnen mit einer Tendenz für ein Urteil, andere gehen von einem eher längeren Rechtsstreit aus. Derzeit tausche man – via Anwälte – viele Seiten Material aus.
Bundesverband Gleichstellungsbeauftragte: Der Fall in Erfurt hat Signalwirkung
"Es ist erschreckend, wenn ich mir angucke, dass die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, die das Ganze ins Rollen gebracht hat, die härtesten Konsequenzen zu tragen hat", sagt Katrin Brüninghold, Gleichstellungsbeauftragte in Hattingen (NRW). Sie ist Juristin und Sprecherin des Bundesverbandes aller Gleichstellungsbeauftragten, vertritt also mehr als 2.000 Menschen in diesem Beruf.
Der Fall in Erfurt, sagt sie, habe Signalwirkung. "Das hat absolut viel Wirbel verursacht. Erstens medial, aber auch bei den Gleichstellungskolleginnen, weil ganz viele tatsächlich auch mit dem Thema befasst sind." Mit dem Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
Wie offen und vor allem öffentlich darf sich also eine Gleichstellungsbeauftragte äußern? Welchen Handlungsspielraum hat sie durch ein entsprechendes Gesetz? "Die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten sind auch in Thüringen relativ gut geschützt, wenn es um die Vertraulichkeit der ihnen vorliegenden Informationen und die Beratung der Betroffenen geht", so Katrin Brüninghold.
Es ist erschreckend, wenn ich mir angucke, dass die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, die das Ganze ins Rollen gebracht hat, die härtesten Konsequenzen zu tragen hat.
"Das, was aus meiner Sicht problematisch ist, ist die Frage zur Öffentlichkeitsarbeit, und da wiederum ist das Gleichstellungsgesetz nicht ganz eindeutig. Auf der einen Seite wird davon gesprochen, dass sie Öffentlichkeitsarbeit machen dürfen und dass sie weisungsfrei sind." Andererseits sei das nicht ganz eindeutig und müsse juristisch ausgelegt werden. Genau das passiert jetzt am Fall in Erfurt.
Spendensammlung für Mary-Ellen Witzmann
Die Betroffene selbst, Mary-Ellen Witzmann, darf sich auch derzeit nicht öffentlich äußern. Die fristlose Kündigung hatte zur Folge, dass sie drei Monate ohne Einkommen war. Erst ab diesem Monat erhält sie Sozialbezüge. Ob sie jemals wieder in ihrem alten Job in Erfurt arbeiten wird und arbeiten kann, vermag niemand zu sagen.
Der Bundesverband aller Gleichstellungsbeauftragten unterstützt sie derzeit mit einer Spendensammlung für eine verwaltungsrechtliche Klage, die sich nach der arbeitsrechtlichen noch anschließen könnte. Viele Menschen würden das mit etlichen, auch kleinen Beträgen tun, so Katrin Brüninghold, die zudem findet, "dass nach den uns vorliegenden Sachverhalten eine fristlose Kündigung nach dem, was vorgefallen ist, nicht haltbar erscheint, von daher bin ich ganz zuversichtlich, dass auch das arbeitsgerichtliche Verfahren für Frau Witzmann positiv ausgehen wird."
Müssen Gleichstellungsbeauftragte künftig schärfste Konsequenzen befürchten?
Andere sind zurückhaltender mit einem Blick auf den Fall. Fest steht, bundesweit gibt es Interesse, wie das Urteil in Erfurt ausfallen wird und welche Konsequenzen es hat. Unterdessen untersuchen Wirtschaftsprüfer die vertraglichen und buchhalterischen Belange des Theaters in den vergangenen Jahren. Die Stadt Erfurt hat diese Untersuchung nach all den Vorwürfen beauftragt. Denn: Quartalsberichte fehlten, ein beträchtliches Minus stand zum Jahresende zu Buche. Verträge sollen geprüft werden.
Eine Berliner Kanzlei hatte die Vorwürfe der sexuellen Belästigung bereits im Januar untersucht und danach empfohlen, die Theaterleitung von ihrer Tätigkeit zu entbinden, um einen Neuanfang zu gewährleisten. Das ist unterdessen auch geschehen. Der Intendant Guy Montavon ist – bei vollen Bezügen – seitdem beurlaubt und die Verwaltungsleitung ausgetauscht worden.
Nicht nur Katrin Brüninghold ist erstaunt, "dass der Intendant mit einer Freistellung und jetzt einem eventuell anstehenden Aufhebungsvertrag sehr viel weicher fällt als das bei Frau Witzmann der Fall ist. Es ist auch so, dass diese fristlose Kündigung von der Kollegin eine ganz starke Signalwirkung hat: Wenn das arbeitsrechtlich durchgeht, hat das die Konsequenz, dass sich Gleichstellungsbeauftragte noch mehr als bisher überlegen, wenn Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vorliegen, wie weit sie sich noch für die Betroffenen stark machen können oder ob sie die schärfsten Konsequenzen zu befürchten haben."
Solidarität aus Teilen des Erfurter Stadtrats
Stadträtin Tina Morgenroth von der Fraktion Mehrwertstadt fasst das Kopfschütteln vieler so zusammen: "Stattdessen kommen neue Dinge ans Tageslicht, die beim Theater schief laufen und schief liefen und wo es klemmt. Frau Witzmann hat der Stadt einen Bärendienst erwiesen, dass sie diese Dinge ans Tageslicht gebracht hat und im Grunde den Anstoß gegeben hat, sich damit zu beschäftigen. Eine große Dankbarkeit seitens der Stadtspitze ist da leider nicht zu vernehmen."
Der internationale Frauentag ist eine gute Gelegenheit, um auch nochmals zu erinnern an diesen Fall, auch nochmals an den Mut, den Frau Witzmann bewiesen hat, klarzustellen: Hier gibt es Probleme, und ich weiß, das wird mich auch in eine schwierige Situation bringen.
Im Gegenteil. Man erhebt dort schwere Vorwürfe, dass sich die Gleichstellungsbeauftragte aus vielerlei Hinsicht arbeits- und verwaltungsrechtlich schlicht nicht konform verhalten habe. All das klären jetzt Juristen.
"Ich finde", so Stadträtin Tina Morgenroth, "der internationale Frauentag ist eine gute Gelegenheit, um auch nochmals zu erinnern an diesen Fall, auch nochmals an den Mut, den Frau Witzmann bewiesen hat, klarzustellen: Hier gibt es Probleme, und ich weiß, das wird mich auch in eine schwierige Situation bringen, Projektionsfläche zu sein für den Groll der Verwaltung. Und ich mache es trotzdem. Das ist auf jeden Fall etwas, was Respekt verdient und wovor ich auch großen Respekt habe und meine Fraktion. Es wird viel über das Theater geredet, über den Generalintendanten, aber eigentlich müsste man daran erinnern, dass wir diese ganzen Erkenntnisse in erster Linie Frau Witzmann zu verdanken haben, die das Vertrauen genossen hat von so vielen Betroffenen. Das zeigt, dass sie in diesem Prozess eine Schlüsselfigur war und Dinge geschafft hat, die Menschen vor ihr eben nicht erreicht haben."
Quelle: Blanka Weber
Redaktionelle Bearbeitung: jb
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 08. März 2024 | 07:10 Uhr