Fakt ist! aus Erfurt Hält die Brandmauer? Wie geht es nach der Wahl weiter in Thüringen?
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03. September 2024, 03:04 Uhr
Wie geht es in Thüringen nach der Wahl weiter? Wer geht mit wem eine Koalition ein? Welche "roten Linien" ziehen die möglichen Koalitionspartner? Diese und anderen Fragen diskutieren die Gäste am Montag bei Fakt ist! aus Erfurt.
Für Victoria Thelemann war es die erste Landtagswahl. Sie hätte sich irgendwie eine bessere Stimmung dafür gewünscht, sagt sie. "Es war seltsam, den ganzen Tag auf die Ergebnisse zu warten." Als Erstwählerin war sie vor der Wahl schon einmal zu Gast im Studio gewesen.
So wie Victoria Thelemann waren viele Menschen zu Wort gekommen in den Talk- und Polit-Sendungen vor der Landtagswahl in Thüringen. Viele hatten sich bei MDRfragt an den Diskussionen beteiligt. Und jetzt, nach der Wahl, haben die "Fakt ist!"-Moderatoren Andreas Menzel und Lars Sänger noch einmal mit ihnen geredet.
Wie geht es nach den Wahlen weiter in Thüringens Politik?
Wer geht mit wem eine Koalition ein? Welche "roten Linien" ziehen die möglichen Koalitionspartner? Diese und anderen Fragen beschäftigten auch einen Wahlforscher von Infratest dimap, eine Parteienforscherin, einen Hauptstadt-Korrespondenten und den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke).
Der hat übrigens als einziger Spitzenkandidat seinen Wahlkreis als Direktkandidat tatsächlich gewonnen, auch wenn das nichts daran ändert, dass er und seine Partei, die Linke, am Sonntag abgewählt wurden. Eine "Klatsche" nennt es der Noch-Ministerpräsident. Der Wahltag war anstrengend, sagt er, aber innerlich sei er entspannt gewesen.
Trotz des schlechten Wahlergebnisses für seine Partei müsse das Land vernünftig weiterregiert werden, sagte Ramelow. Bis eine neue Landesregierung gewählt sei, werde er seine Minister bitten, "geschäftsführend" im Amt zu bleiben. Schon am Dienstag werde im Kabinett die Haushaltsplanung besprochen.
Thüringen für Berlin meist nicht interessant
ARD-Hauptstadt-Korrespondent Alexander Budweg findet, dass das Wahlergebnis "nicht vom Himmel gefallen" ist. Eine solche politische Zerrissenheit sei ein längerer Prozess, so der Journalist. Aber in Berlin habe man sich immer nur punktuell für Thüringen interessiert. Beispielsweise, als Thomas Kemmerich damals zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.
Die meisten Stimmen hat die Thüringer Linke übrigens an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verloren, sagt Wahl-Forscher Dr. Stefan Merz von Infratest dimap. Und deren Wähler, so Merz, "wünschen sich eine Regierungsbeteiligung". Die meisten Nichtwähler konnte laut Merz die AfD in Thüringen mobilisieren. Überraschend war für den Wahl-Forscher die hohe Wahlbeteiligung.
"Fest der Demokratie"
Auch Bodo Ramelow hatte seit der Wahl immer wieder betont, dass diese hohe Wahlbeteiligung ein "Fest der Demokratie" gewesen sei. "Auch wenn das Wahlergebnis nicht jedem gefällt."
Prof. Theres Matthieß ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Göttingen. Sie sieht Thüringen zwar als Sonderfall, die Wahl aber nicht als Ost-Phänomen. "Das, was wir parteipolitisch und an Wahlergebnissen im Osten erleben, wird früher oder später die ganze Bundesrepublik ereilen. Die Fragmentierung des Parteiensystems setzt sich weiter fort und erschwert dadurch die Koalitionsbildung", so ihre Analyse.
Unvereinbarkeitsbeschluss wird zum Problem
Auch Journalist Alexander Budweg sieht ein Problem, das sich jetzt bundesweit auswirken könnte: den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU. Dabei geht es im Kern darum, dass die CDU nicht mit der AfD und auch nicht mit der Linken koaliert und auch in keiner anderen Form mit ihnen zusammenarbeitet.
Das Problem: CDU, SPD und BSW kommen in Thüringen zusammen nicht auf eine Mehrheit. Die Brandmauer zur AfD steht allerdings, so Budweg. Mit Links sei es aber auch schwierig. Wenn man sich da öffne, drohe ein Vertrauensverlust, ein Glaubwürdigkeitsproblem "mit Blick auf die Westwähler". Man hoffe jetzt, so der Journalist, dass es "irgendeine andere Lösung" gebe.
Schwierige Koalitionsgespräche erwartet
Für Zuschauer Johannes Behrens-Türk liegt die Lösung bei den Parteien. "Wenn sich nicht eine Partei bewegt, werden wir hier keine Regierung kriegen." Aus seiner Sicht müsste es darum gehen, was gut ist für das Land. Das sieht Zuschauer Tom Weingardt ganz genauso, allerdings sieht er die Menschen hierzulande in der Pflicht: "Die Bürger sollen anfangen, die Demokratie zu gestalten. Aber alle meckern immer nur, statt Ideen zu entwickeln."
Umso wichtiger war es ihm, Bodo Ramelow für seinen Dienst am Freistaat Thüringen zu danken. Dass der, gerade in Zeiten der Minderheitsregierung nicht leicht war, bestätigt der Ministerpräsident. In Bezug auf die möglichen Koalitionen ist für Ramelow eins völlig klar: "Ich kann meinem Land keine Minderheitsregierung empfehlen."
AfD gewinnt junge Menschen
Warum die AfD gerade bei jungen Menschen punkten kann, konnte Wahlforscher Merz nicht beantworten. Für Zuschauer Jens Hoffmann hat es auch damit zu tun, dass viele der jungen Menschen eher von ihren Großeltern als von den Eltern erzogen und sozialisiert wurden. Und die haben, so Hoffmann, "in den 1990er-Jahren auch die negativen Seiten der Demokratie" kennengelernt. Die Ängste aus der Wendezeit, sagt er, spüre man oft noch heute.
In den nächsten Wochen werden in Thüringen viele Gespräche geführt. Es wird Analysen geben, Sondierungen und schließlich eine Landesregierung, wie auch immer die aussehen wird. Und auch wenn das manchmal schwierig ist, Erstwählerin Victoria Thelemann will keine Niedergeschlagenheit zulassen: "Wenn wir eine Demokratie wollen, müssen wir dafür kämpfen."
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 02. September 2024 | 20:45 Uhr
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