Eine Gedenkfeier
Zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Ohrdruf gab es neben einer Gedenkveranstaltung auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr und im Schloss Ehrenstein in Ohrdruf auch ein zentrales Gedenken im Jonastal Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Nationalsozialismus 80 Jahre nach der Befreiung: Wie die "Erinnerungslücke KZ Ohrdruf" geschlossen werden soll

07. April 2025, 20:50 Uhr

Das KZ-Außenlager Ohrdruf war das erste Konzentrationslager in Thüringen, das 1945 befreit wurde. Etwa 20.000 Menschen mussten Zwangsarbeit leisten. Bis heute ist das Lager weitestgehend unbekannt. 80 Jahre später gibt es keine zentrale Gedenkstätte vor Ort, an der Nachfahren oder Interessierte mehr über die Geschichte erfahren können.

Das KZ-Außenlager Ohrdruf, auch bekannt als "Sonderlager SIII", war das erste Konzentrationslager, das Anfang April 1945 durch westalliierte Truppen befreit wurde. Etwa 20.000 Menschen waren dort inhaftiert und mussten Zwangsarbeit leisten. Auch 80 Jahre später gibt es keine zentrale Gedenkstätte vor Ort, an der Nachfahren oder Interessierte mehr über die Geschichte erfahren können.

Laut Expertinnen und Experten ist das Lager auch in der regionalen und gesamtdeutschen Erinnerungskultur nur wenigen bekannt. Das soll sich ändern: Auf kommunaler Ebene wollen Akteure aus Politik und Institutionen gemeinsam Wege finden, um die Erinnerung wachzuhalten. Zahlreiche Projekte von Schülerinnen und Schülern sowie neue digitale Angebote - etwa von den Arolsen Archives - ermöglichen zunehmend eine lebendige Erinnerungskultur. Wie ein gemeinsames und zukunftsgewandtes Gedenken gelingen kann.

Zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ-Außenlagers Ohrdruf am 4. April hatten die Arolsen Archives, dem internationalen Zentrum über NS-Opfer, gemeinsam mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vor Ort der NS-Opfer gedacht und zu einem Gedenktag eingeladen.

Die Verbrechen, die dort geschahen, seien in der allgemeinen Erinnerungskultur in Deutschland und Europa kaum präsent, sagt Floriane Azoulay, Leiterin der Arolsen Archives. "Dabei ist dieser Ort sehr bezeichnend für die Brutalität, die Härte und die Unbarmherzigkeit des NS-Regimes. In den letzten Monaten der Nazi-Herrschaft, innerhalb von nur sechs Monaten, wurden dort Tausende Menschen zu Tode versklavt - mit dem klaren Ziel, sie umzubringen. Wir sprechen von etwa 20.000 Menschen, die dorthin gebracht wurden und die Sklavenarbeit verrichten mussten", sagt Azoulay. Gerade deshalb seien neue Wege des Erinnerns und Gedenkens wichtig.

Eine historische Aufnahme des Wachturms und der Baracken des Nordlagers bei Ohrdruf.
Auf der historischen Aufnahme sind der Wachturm und die Baracken des Nordlagers bei Ohrdruf zu sehen. Das Außenlager wurde erst im November 1944 errichtet. Doch innerhalb dieses kurzen Zeitraums wurden etwa 20.000 Menschen aus ganz Europa inhaftiert. Sie kamen vor allem aus Russland, Polen, Frankreich, Tschechien sowie aus Italien, Belgien, Griechenland, Jugoslawien, Deutschland - sowie jüdische Häftlinge aus Ungarn. Bildrecht: United States Holocaust Memorial Museum. Bildrechte: Moore (U.S. Army Signal Corps) (National Archives Washington)

Persönliche Geschichten schaffen einen Zugang für Kinder

Zwei Tage lang beschäftigten sich etwa Schülerinnen und Schüler der Emil-Petri-Schule Arnstadt im Vorfeld des Jahrestages intensiv mit der Geschichte des Außenlagers und den Biografien einzelner Häftlinge. In Zusammenarbeit mit Christoph Mauny von der Mal- und Zeichenschule Weimar entstanden Kunstwerke - darunter Tonfiguren und Bilder in Fotodrucktechnik. Grundlage für die Recherche war das Online-Archiv der Arolsen Archives.

Es war halt wirklich nicht einfach jetzt. Man hört immer nur die Zahlen. Sechs Millionen sind gestorben, dort hunderttausend. Es war was Besonderes, auch selber etwas über eine einzelne Person zu machen, deren Geschichte herauszufinden.

Emil Behr

Auch der 14-jährige Emil Behr war dabei. Er hat sich mit dem Schicksal von Theodor Babilon beschäftigt, einem in Köln geborenen Geschäftsmann, der in Ohrdruf inhaftiert war. Für den Schüler sind die Geschehnisse des Holocaust nur schwer greifbar: "Es war halt wirklich nicht einfach jetzt. Man hört immer nur die Zahlen. Sechs Millionen sind gestorben, dort hunderttausend. Es war was Besonderes, auch selber etwas über eine einzelne Person zu machen, deren Geschichte herauszufinden."

KZ Ohrdruf nicht im Lehrplan verankert

Geschichte sei oft mit Leiden und Schmerzen verbunden, sagt Kunsterzieherin Katre Steinbück von der Emil-Petri-Schule. Das Kunstprojekt und Einzelschicksale habe den Kindern geholfen, einen Zugang zu finden: "Viele Kinder tun sich schwer, sich Aussagen oder trockene Statistiken vorzustellen", so Steinbück.

Die sind auch teilweise ganz empört, dass die davon gar nichts wussten.

Kunsterzieherin Katre Steinbück

Das KZ-Außenlager Ohrdruf spiele im Lehrplan keine Rolle: "Je nachdem wird es halt erwähnt, aber das ist nicht im Lehrplan, das ist kein Thema. Und viele Schüler und auch viele Einwohner Arnstadts wissen auch gar nicht, worum es eigentlich geht." Um das Thema stärker im Unterricht zu verankern, brauche vor allem das Engagement einzelner Lehrkräfte. Bei den Schülern würde das Thema auf Interesse stoßen: "Die sind auch teilweise ganz empört, dass die davon gar nichts wussten."

Neue Formate für eine lebendige Erinnerungskultur

Initiiert wurde das Kunstprojekt von Christoph Mauny. Er hat 2022 das Projekt "Deutsche Erinnerungslücke KZ-Ohrdruf" mit verschiedenen Kooperationspartnern gestartet. "Wenn man allein die Karte mit den 139 Außenlagern in den Schulunterricht bringt, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn man nur über Buchenwald spricht. Denn plötzlich wird sichtbar, wie nah das Verbrechen war - dass der Holocaust und das Leid direkt vor der eigenen Haustür stattfanden", sagt Mauny.

Auch in einer Podiumsdiskussion anlässlich des 80. Jahrestags, in der sich Schülerinnen und Schüler über ihre Erfahrungen mit Erinnerungsprojekten austauschten, wird deutlich: Persönliche Geschichten, regionale Bezüge und ein interaktiver Unterricht helfen, das Geschehene zu begreifen und lebendig zu erinnern.

Dafür braucht es laut Mauny neben Workshop-Formaten auch etwa Begegnungen mit Nachfahren, Expertinnen und Experten oder Kunstschaffenden. Ein digitales Erinnern sei etwa durch das Projekt "Suspekt. Landschaft des Verbrechens" der Arolsen Archives möglich - mit 360-Grad-Filmaufnahmen der historischen Orte rund um Ohrdruf, Fotos, Texten sowie Tonaufnahmen von Nachfahren.

Eine Gedenkfeier
Zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Ohrdruf gab es neben einer Gedenkveranstaltung auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr und im Schloss Ehrenstein in Ohrdruf auch ein zentrales Gedenken im Jonastal Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Keine Gedenkstätte am historischen Ort

Das KZ-Außenlager bestand aus einem Nord- und einem Südlager bei Ohrdruf, einem Zeltlager bei Espenfeld und einem Lager in Crawinkel. Die historischen Orte sind heute nur schwer zugänglich - unter anderem, weil sich Teile auf einem Truppenübungsplatz der Bundeswehr befinden. Ein größeres Denkmal steht an einer engen Landstraße im Jonastal. Viele Einzelakteure - etwa der ehrenamtlich betriebene Jonastalverein mit seinem Dokumentationszentrum in Arnstadt - arbeiten die Geschichte auf und halten die Erinnerung wach.

Gerade in dieser Zeit, wo immer historische Fakten in Frage gestellt oder der Holocaust geleugnet wird, braucht es Orte, wo die Fakten niedrigschwellig dargestellt werden - damit man Paroli bieten kann. [...]

Floriane Azoulay

Eine institutionalisierte Gedenkstätte am historischen Ort, wie etwa in Buchenwald, bei Nordhausen die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora oder in der Nähe von Saalfeld die KZ-Gedenkstätte Laura, gibt es für das KZ-Außenlager Ohrdruf aber nicht. Für die Bildungsarbeit wäre das aber hilfreich, sagt Holger Obbarius, Leiter der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Buchenwald.

Auch Floriane Azoulay von den Arolsen Archives sieht das so: "Gerade in dieser Zeit, wo immer historische Fakten in Frage gestellt oder der Holocaust geleugnet wird, braucht es Orte, wo die Fakten niedrigschwellig dargestellt werden - damit man Paroli bieten kann. Und zweitens sind auch diese Orte wichtig, um von dort aus Aktivitäten zu starten, Initiativen zu entwickeln. Mit den Schulen, mit Vereinen - wie es das jetzt schon gibt, aber in größerem Maße".

Eine Historische aufnahme von Dwight D. Eisenhower, während eines Besuchs des KZ in Ohrdruf
Dwight D. Eisenhower (Mitte), der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, besuchte am 12. April 1945 das Außenlager. Auf den Eisenbahnschienen wurden die Leichname verstorbener Häftlinge verbrannt. Soldaten der US-Armee erreichten das KZ-Außenlager in Ohrdruf am 4. April 1995.. In den Vereinigten Staaten prägen die Aufnahmen bis heute das Bild von den nationalsozialistischen Verbrechen. Bildrecht: National Archives and Records Administration, College Park. Bildrechte: Moore (U.S. Army Signal Corps) (National Archives Washington)

Jonastalverein soll unterstützt werden

Seit vielen Jahren arbeitet der Verein "Geschichts- und Technologiegesellschaft Großraum Jonastal" - kurz Jonastalverein - die Geschichte des Lagers auf. Er betreibt ehrenamtlich ein Dokumentationszentrum im Lokschuppen in Arnstadt und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur historisch-politischen Bildungsarbeit. Das Problem: Auf Dauer ist die Arbeit nicht mehr ehrenamtlich stemmbar, und es fehlt unter anderem an gesicherter Finanzierung. Das soll sich nun ändern: Der Ilm-Kreis hat eine entsprechende Absichtserklärung auf den Weg gebracht.

Das ehrenamtlich betriebene Dokumentationszentrum soll langfristig gesichert und professionelle Strukturen bekommen. Das haben der Ilm-Kreis, der Kreis Gotha, die Städte Ohrdruf und Arnstadt sowie die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora zum 80. Jahrestag besiegelt. Ziel ist es, die Finanzierung zu sichern und hauptberufliche Mitarbeiter einzustellen - dabei wird auf die Unterstützung des Landes gesetzt.

"Was wir möchten mit dem Letter of Intent ist, dass die kommunalen Partner und das Land Thüringen gemeinsam das Dokumentationszentrum erhalten und feste, stabile Strukturen schaffen - sowohl finanziell als auch personell", sagt Ilm-Kreis-Landrätin Petra Enders (parteilos).

In einem ersten Schritt soll der Bedarf für das Zentrum ermittelt werden. Bisher wird der Verein vom Ilm-Kreis mit etwa 30.000 Euro und von der Stadt Arnstadt mit 10.000 Euro jährlich unterstützt.

Mehr Unterstützung und feste Strukturen - das wünscht sich auch Georg Ribienski vom Vereinsvorstand. "Der nächste Schritt müsste eigentlich sein, über ein angemessenes Dokumentationszentrum zu sprechen. Und das sollte, wenn irgendwie möglich, auch am authentischen Ort sein.

Der nächste Schritt müsste eigentlich sein, über ein angemessenes Dokumentationszentrum zu sprechen. Und das sollte, wenn irgendwie möglich, auch am authentischen Ort sein. [...]

Georg Ribienski

Also hier direkt neben der Stollenanlage, im Jonastal - vielleicht sogar mit Begehungsmöglichkeit." Das begrüßt auch Enders: "Unser Ziel muss es sein, in der Zukunft das Dokumentationszentrum zur Gedenkstätte auszubauen. Und daran müssen wir arbeiten. Es gibt schon erste Ideen - die müssen wir besprechen und in die Umsetzung bringen."

Ein Mann bei einer Gedenkfeier
Georg Ribienski engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im Jonastalverein. Neben dem Dokumentationszentrum in Arnstadt baut der Verein unter anderem ein digitales Archiv auf, bietet Führungen an und betreut jedes Jahr Schüler bei ihren Seminarfacharbeiten. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Neue Ausstellung und Wege zur Sichtbarkeit

Damit es nicht nur im Ilm-Kreis mit dem Dokumentationszentrum des Jonastalvereins einen Anlaufpunkt gibt, um etwas zur Geschichte des KZ-Außenlagers zu erfahren, plant die Stadt Ohrdruf im kommenden Jahr eine neue Ausstellung. "Wir werden uns in der entstehenden Ausstellung diesem dunklen Kapitel der Ohrdrufer Geschichte stellen und es nicht ausblenden. Und so hoffe ich, dass es uns im gemeinsamen Wirken gelingt, die Erinnerung an das Geschehene wachzuhalten", so Bürgermeister Stefan Schambach.

Wir werden uns in der entstehenden Ausstellung diesem dunklen Kapitel der Ohrdrufer Geschichte stellen und es nicht ausblenden. Und so hoffe ich, dass es uns im gemeinsamen Wirken gelingt, die Erinnerung an das Geschehene wachzuhalten

Stefan Schambach

Neben interaktiven Formaten in der Bildungsarbeit und dem Wunsch nach einer zentralen Gedenkstätte vor Ort gebe es noch weitere Stellschrauben, um die Erinnerungskultur in der Region zu stärken, erklärt Christoph Mauny, Initiator des Projekts "Erinnerungslücke KZ Ohrdruf": etwa eine bessere Beschilderung mit einem Leitsystem vor Ort sowie eine intensivere Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, um den Zugang zu den historischen Orten auf dem Truppenübungsplatz zu erleichtern.

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MDR (nir)

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