Ein Altenpfleger kontrolliert die Medikamenten Einnahme eines älteren Mannes.
60 Prozent Preisanstieg in fünf Jahren - Thüringer Pflegebedürftige müssen bei ambulanter Pflege mitunter Abstriche bei Leistungen machen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / photothek

"Pflegereform reicht nicht aus" Preisexplosion bei ambulanter Pflege: Vertreter fordern Entlastung durch Politik

11. Juni 2023, 21:38 Uhr

Viele Thüringer, die ambulante Pflege brauchen, überschreiten wegen stark gestiegener Preise ihr Krankenkassen-Budget. Sie müssen deshalb auf Pflege verzichten oder zusätzliche Leistungen vollständig aus eigener Tasche zahlen. Pflegedienstvertreter sagen, das können sich viele in Thüringen nicht leisten. Sie bekommen deshalb weniger Pflege als benötigt, oder nehmen stärker die Angehörigen in die Pflicht. Die Vertreter fordern Entlastung seitens der Politik.

Porträt-Collage Online-Redakteur Lukas Schliepkorte
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

Sozialdienstvertreter schlagen wegen stark gestiegener Kosten in der ambulanten Pflege Alarm. Wie der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (BPA) MDR THÜRINGEN mitteilte, ist in den vergangenen fünf Jahren ambulante Pflege in Thüringen durchschnittlich 60 Prozent teurer geworden. Das sei bundesweiter Spitzenwert. Demnach reicht für viele Pflegebedürftige ihr Budget bei den Krankenkassen nicht mehr für alle notwendigen Leistungen aus.

BPA: Bei ambulanter Pflege droht Versorgungsengpass

Ein Landesverbandssprecher sagte, zum Beispiel könnten deshalb Menschen seltener pro Woche professionelle Hilfe bei der Körperwäsche bekommen. Pflegebedürftige müssten zusätzliche ambulante Pflege vollständig aus eigener Tasche bezahlen. Gerade in Thüringen sei das aber für viele nicht leicht. Anders als vor allem in den alten Bundesländern hätten die allermeisten Thüringer kein größeres Vermögen angespart, das sie für die eigene Pflege aufwenden können.

Das führt laut BPA Thüringen unter anderem dazu, dass anstelle ausgebildeten Pflegefachpersonals oftmals die Angehörigen für die Pflege stärker in die Pflicht genommen werden. Es drohe ein Versorgungsengpass.

Gestiegene Personalkosten treiben Preise

Als Grund für den Preisanstieg seit 2018 führen die Vertreter der Anbieter sozialer Dienste unter anderem stark gestiegene Personalkosten an. Demnach ist in den vergangenen Jahren das Lohnniveau in der Pflege in den ostdeutschen Ländern dem der westdeutschen angenähert worden. In den Jahren davor habe ein Personal-Überangebot zu geringeren Löhnen geführt.

Mittlerweile müssten für die dringend gesuchten Pflegekräfte aber finanzielle Anreize geschaffen werden, damit sie in Thüringen bleiben. Ein weiterer Grund für höhere Löhne sei eine neue Tarifregelung der letzten Bundesregierung. Laut BPA machen die Personalkosten 80 Prozent der ambulanten Pflegekosten aus. Das erkläre folglich den hohen Preisanstieg in Thüringen.

BPA: Politik in der Pflicht - Leistungsätze sollten mit Gehältern steigen

BPA-Landesgeschäftsführerin Margit Benkenstein sieht die Politik in der Pflicht. Auf Bundesebene reiche die Ende Mai beschlossene Pflegereform nicht aus. Die sieht unter anderem vor, das Budget für Pflegebedürftige, den Pflegesachleistungsanspruch, ab 2025 um 4,5 Prozent zu erhöhen.

Plegesachleistungsanspruch? - das Budget für ambulante Pflege

Der Begriff "Pflegesachleistung" hat nichts mit "Sachen" zu tun. Von Pflegesachleistung spricht man, wenn ein Pflegebedürftiger zu Hause durch einen ambulanten Pflegedienst gepflegt wird. Die Pflegekasse rechnet direkt mit dem Pflegedienst ab. Übernommen werden können Pflege, Hilfen im Haushalt und die so genannte häusliche Betreuung.

Pflegebedürftige können solche Sachleistungen der Pflegekasse von ambulanten Pflegediensten in Anspruch nehmen. Seit dem 1. Januar 2022 sind das monatlich

  • bis zu 724 Euro in Pflegegrad 2,
  • bis zu 1.363 Euro in Pflegegrad 3,
  • bis zu 1.693 Euro in Pflegegrad 4,
  • bis zu 2.095 Euro in Pflegegrad 5.


Zusätzlich steht allen Pflegebedürftigen von Pflegegrad 1 bis Pflegegrad 5 ein sogenannter Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro pro Monat zu, wenn sie zu Hause versorgt werden und ist zweckgebunden. Die Pflegegrade richten sich nach einem ermittelten Punktwert und zeigen an, wie viel Selbstständigkeit noch vorhanden ist. Um den Pflegegrad zu ermitteln, werden sechs Lebensbereiche betrachtet, zu denen ein Gutachter des medizinischen Dienstes 64 Kriterien abfragt.

Quelle: Verbraucherzentrale.de

Für 2028 ist eine weitere an die Inflation angelehnte Erhöhung vorgesehen. Laut Benkenstein zahlen dann gemessen am starken Preisanstieg die Pflegekassen trotzdem nur noch zwei Drittel der Pflegeleistungen, die noch vor fünf Jahren übernommen wurden. Ihr zufolge sollte das Budget für Pflegebedürftige deshalb auch gemessen an den Personalkosten der Pflegedienste regelmäßig erhöht werden.   

Benkenstein: Auch das Land könnte Pflegebedürfte entlasten

Die Geschäftsführerin sagte, auch das Land Thüringen könne Pflegebedürfte entlasten. Demnach könnte der Freistaat die Investitionskosten der Pflegedienste übernehmen. Dazu zählen unter anderem die Kosten für Fahrzeuge und Miete der Dienste. Bislang zahlen Thüringer Pflegebedürftige dafür einen Anteil aus eigener Tasche. Das gilt für alle Leistungen, also auch diejenigen, die die Kassen noch übernehmen.

In Thüringen vertritt der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. eigenen Angaben zufolge rund 200 Pflegeanbieter. Jährlich verhandelt der Verein stellvertretend für sie mit den Pflegekassen die Preise für bestimmte Pflegeleistungen.

MDR (ls)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 11. Juni 2023 | 12:00 Uhr

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