Gesundheitswesen Mitteldeutsche Pflegeverbände alarmiert wegen hoher Zahl von Pflegefällen
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28. Mai 2024, 05:00 Uhr
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zufolge hätte die Zahl der Pflegebedürftigen im vergangenem Jahr nur um 50.000 wachsen sollen. Tatsächlich ist sie aber um mehr als das Siebenfache gestiegen. Britta Richter, Referentin für den Fachbereich Pflege beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen, sagte MDR AKTUELL, die Bevölkerung werde älter. Aber auch die Veränderung von Richtlinien zur Einschätzung habe zu mehr Pflegebedürftigen geführt.
- Die geänderten Richtlinien zur Einstufung von Pflegebedürftigkeit machen den demografischen Wandel durch unerwartet viele Pflegefälle in Deutschland sichtbar.
- Das System ist immer weniger tragfähig, was sich zum Beispiel an langen Wartezeiten für Pflegebedürftigen zeigt.
- Reformen wie eine Pflegevollversicherung oder ein attraktiveres Berufsangebot für Pfleger könnten dem entgegenwirken.
Wieso die Zahl der Pflegebedürftigen 2023 siebenmal höher liegt als erwartet, konnte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorerst nicht ganz erklären. Frieder Weigmann, Sprecher der Diakonie Mitteldeutschland, wundert sich, über die Verwunderung Lauterbachs. "Die Fachverbände, die Pflegeverbände, die großen Wohlfahrtsverbände warnen seit Jahren davor, dass es diesen starken Aufwuchs geben wird."
Großzügigere Einstufung von Pflegebedürftigkeit macht Überalterung deutlich
Vor allem durch den demografischen Wandel. Die geburtenstarken Jahrgänge nehmen neben den bereits hochbetagten Menschen nun immer häufiger Pflege in Anspruch.
Dass die Zahlen jetzt so in die Höhe geschnellt sind, dürfte aber auch mit der Pflegereform von 2017 zusammenhängen, erklärt Britta Richter, Referentin für den Fachbereich Pflege beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen: "Die Bevölkerung wird älter. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit und darüber hinaus hat die Veränderung der Begutachtungsrichtlinien dazu geführt, dass mehr Menschen als pflegebedürftig im Sinne der Pflegeversicherung gelten. Oder anders gesagt: im Verhältnis gesehen wäre diese Entwicklung schon vor 2017 offensichtlich gewesen, wenn sie entlang der jetzt bestehenden Gesetzesgrundlage erfasst worden wären."
Das Pflegesystem droht zusammenzubrechen
Wie angespannt die Lage für Pflegebedürftige und Pflegekräfte in Thüringen bereits ist, beschreibt Richter so: "Also bereits heute erhalten Pflegebedürftige auf ihre Anfrage nach einer Versorgung häufig Absagen von ambulanten Pflegediensten, die keine freien Kapazitäten mehr haben. Gleichzeitig werden die Wartelisten der Pflegeheime länger. Es ist schon lange absehbar, dass dies in Zukunft deutlich zunehmen wird. Speziell auch im ländlichen Raum und Mitteldeutschland ist geprägt von ländlichen Raum."
Das System kollabiere zunehmend. Auch Frieder Weigmann von der Diakonie beobachtet das. Denn neben dem Mangel an Pflegekräften leiden Betroffene auch unter den hohen Pflegekosten: "Sie bekommen von der Pflegekasse Geld, um ihre Pflege zu finanzieren, nutzen das aber, um sich Lebensmittel zu kaufen. Wir beobachten also auch schon Ansätze von Verwahrlosung bei einzelnen Betroffenen, weil die sagen, ich habe mit diesem Geld ganz viele verschiedene Dinge vor. Da konkurrieren die Dinge miteinander."
Pflegevollversicherung und ein attraktiverer Beruf als Pfleger könnten helfen
Das könnte eine Pflegevollversicherung, wie sie von Wohlfahrts- und Pflegeverbänden gefordert wird, verhindern, so Weigmann. Auch mehr Kompetenzen für Pflegekräfte könnten die Versorgung verbessern – etwa wenn sie bestimmte Medikamente ohne ärztliche Rücksprache verabreichen dürften.
Das könnte den Pflegeberuf auch attraktiver machen, sagt Michael Junge, Vorsitzender des Pflegerats Sachsen: "Und das würde die Versorgung deutlich verbessern und vor allen Dingen auch vereinfachen. Für die Familien, für die Pflegebedürftigen selber und Pflegende, vor allem auch viel zufriedener ihren Beruf ausüben lassen. Das ist ein wirklich schöner Beruf, der auch wirklich lohnenswertes kam und dass es einfach wichtig ist, Menschen mehr zu gewinnen, die diesen Beruf auch gerne ausüben wollen."
Eine große Pflegereform wird nach Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach in dieser Legislaturperiode allerdings wohl nicht mehr kommen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 28. Mai 2024 | 06:06 Uhr
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