Justizvollzug Jugendstrafanstalt Arnstadt: Wie erwachsene Straftäter den Alltag der Jüngeren verändern

20. Oktober 2023, 05:00 Uhr

In der Jugendstrafanstalt Arnstadt können künftig auch junge Erwachsene inhaftiert werden. Jetzt sind die ersten Häftlinge aus anderen Anstalten hierher verlegt worden, um diese zu entlasten. Während einer Probephase von sechs Monaten soll sich zeigen, ob das Modell funktioniert. Reporterin Grit Hasselmann hat sich den Alltag in der Jugendstrafanstalt angeschaut.

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Um sechs Uhr beginnt der Tag in der Jugendstrafanstalt (JSA) Arnstadt. Nach dem Frühstück verlassen die Jugendlichen ihre Hafträume, gehen zur Arbeit, zur Ausbildung oder zum Unterricht. Wie oft der Schlüssel der Bediensteten sich auf dem Weg dahin in verschiedenen Türen dreht, lässt sich kaum zählen. Zumal das unglaublich schnell geht.

Und genau das ist für den 21-jährigen Paul F. auch das Schlimmste hier: "Dass immer, wenn du in deine Zelle reingehst, die Tür zugeschlossen wird. Wenn sie dann morgens wieder aufgeht, ist das ein total befreiendes Gefühl".

Paul ist seit Februar 2020 hier in Arnstadt. Warum? Das will er nicht sagen. Er arbeitet in der Bibliothek, kümmert sich um die Sporträume und den Sportplatz und hilft beim Essenausfahren. Gerade haben ihn die Häftlinge zu ihrem Sprecher gewählt. "Das fühlt sich schon gut an, wenn einem so ein Vertrauen entgegengebracht wird", sagt er. Die Maurer-Ausbildung, die er darußen begonnen hatte, konnte Paul hier in der JSA abschließen.

Verschiedene Ausbildungen im Gefängnis möglich

Überhaupt wird hier in Arnstadt viel Wert auf Ausbildung gelegt. Eine Malerwerkstatt gibt es, eine für Maurer, dazu die Metallwerkstatt. Und eine Lehrküche, in der auch das Essen für die Anstalt zubereitet wird. Die Insassen können aber auch Schulabschlüsse nachholen oder Deutschkurse besuchen.

Die Anmeldung für all das ist freiwillig. Wenn man aber einmal angefangen hat, ist schwänzen unmöglich. Und das hilft, sagt Deutschlehrerin Anke Plachter: "Meine Schüler hier sind regelmäßig da und dadurch sehe ich auch einen gewissen Fortschritt. Manche sind wirklich sehr ambitioniert".

Ihr privates Umfeld war von der Arbeit in der JSA allerdings nicht so angetan. Bis heute stößt sie oft auf Unverständnis, wenn sie davon erzählt. Sie selbst hat keine Probleme damit, allein in einem Raum mit lauter Straftätern zu sein. "Ich blende das irgendwie aus. Am Anfang habe ich mir da schon Gedanken gemacht. Aber wenn ich mich nicht 100-prozentig gut fühle, komme ich nicht her."

Erwachsene Gefangene müssen eingefügt werden

All das wird sich auch durch den Einzug der erwachsenen Gefangenen nicht ändern. Die ersten von ihnen sind bereits eingetroffen, sie kommen aus den Justizvollzugsanstalten in Suhl-Goldlauter und Hohenleuben. Dabei sei es vor allem darum gegangen, diese Anstalten zu entlasten, sagt die Leiterin der JSA Arnstadt, Mareen Stietz-Engler. "Das sind Gefangene, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden sind. Sie dürfen höchstens 30 Jahre alt sein und die Haftzeit darf maximal vier Jahre betragen."

Sie werden in einem bisher leerstehenden Hafthaus untergebracht. Doch ganz so einfach laufe das nicht, sagt Stietz-Engler: "Die Abläufe müssen überprüft werden, denn es gibt gewisse Regelungen, dass Jugendliche und Erwachsene eben nicht immer zusammen sein dürfen. Insbesondere müssen sie getrennt untergebracht werden. In Ausbildungs- und Freizeitmaßnahmen können sie zusammen sein".

Als besondere Herausforderung sieht sie, dass für die Strafgefangene auch entsprechende Arbeitsplätze vorhanden sein müssen. "Es muss geschaut werden, in welche Bildungsmaßnahmen können sie? Welcher Bedienstete kommt in welches Haus? Wer übernimmt welche neue Aufgabe?", erklärt Stietz-Engler.

Darüber hinaus ist es auch ungewöhnlich, dass eine größere Anzahl von Gefangenen gleichzeitig in die Anstalt kommen. "Das verursacht immer einen gewissen Wirbel. Sie müssen ja auch eingekleidet werden und ihre Hafträume beziehen. Da ist schon ein bisschen was zu tun."

Änderungen auch im Team

All das könne nur mit einem guten Team gelingen, sagt die Anstaltsleiterin. Gerade haben neue Absolventen ihren Dienst in Arnstadt angetreten. Zwei von ihnen sind die Justizvollzugsobersekretäre Max Georgi (32) und Daniel Franke (34). Sie kennen die Anstalt schon aus ihrer Ausbildung, sind aber froh, dass sie jetzt auch hier eingesetzt werden: "Wir haben hier den großen Vorteil, dass es eine sehr, sehr neue Anstalt ist. Das ist ein spannendes Arbeiten", sagt Franke.

Als Vorteil sehen beide, dass sie vom Alter her recht nahe an ihren Gefangenen dran sind. "Man bekommt einfach einen besseren Draht. Man muss ein gewisses Verhältnis zu den Gefangenen aufbauen - nicht zu nah, nicht zu weit weg, damit man auch etwas erreichen kann."

Den ganzen Tag mit Menschen zusammensein

Vom Dienstbeginn bis zum Feierabend haben sie mit den jugendlichen Straftätern zu tun. Schnell kennt man da die Eigenheiten eines jeden, weiß, worauf man achten muss. "Trotzdem müssen wir natürlich alle gleich behandeln", sagt Georgi und ergänzt: "Das Urteil spricht ein Richter, nicht wir." "Eine persönliche Meinung hat im Dienst nichts zu suchen" ergänzt Franke.

Trotzdem müssen sie sich regelmäßig Beleidigungen anhören, in der Wäschekammer werden schon einmal Rasierklingen so versteckt, dass die Beamten sich bei der Kontrolle schneiden. "In der Ausbildung sind wir sehr gut darauf vorbereitet worden, mit so etwas umzugehen. Und wenn der Dienst zu Ende ist, bleibt das alles hier in der Anstalt" sind beide sich einig.

Es fällt auf, dass alle Gefangenen mit "Sie" angesprochen werden, dass immer wieder das Gespräch mit den Beamten gesucht wird. "Wir sind ja verpflichtet, auf eine Resozialisierung zuzuarbeiten. Das fängt mit Umgangsformen an. Wir müssen da auch Vorbild sein" sagt Georgi.

Wir haben nur ein paar Jahre Zeit, die jungen Männer wieder irgendwie in die Spur zu bekommen, sie wieder zurück in dieses Leben zu führen.

Daniel Franke Vollzugsbeamter

Franke ergänzt: "Wir haben nur ein paar Jahre Zeit, die jungen Männer wieder irgendwie in die Spur zu bekommen, sie wieder zurück in dieses Leben zu führen. Das fängt bei manchen beim Bettenmachen an, bei anderen ist es die Suchttherapie. Klar haben wir auch Sozialarbeiter hier. Aber wenn der Gefangene ein Anliegen hat oder sich mir öffnet, schicke ich ihn ja nicht weg."

Persönliche Schicksale und Probleme wahrnehmen

Denn während der Haftzeit kommt es ja auch zu Schicksalsschlägen im Leben der Gefangenen. Einer erzählt vom Tod seiner Tante, der ihn sehr mitgenommen hat. Zur Beerdigung hätte er zwar fahren dürfen, aber nur mit Hand- und Fußfesseln und in Begleitung. "Das wollte ich meiner Familie nicht antun. Ich verabschiede mich dann lieber alleine von ihr, wenn ich wieder draußen bin".

Um den Schmerz zu verarbeiten, zieht sich Cookie meist in seine Zelle zurück, schreibt Tagebuch und Texte, denkt an seinen 13-jährigen Sohn. Vor seiner Verlegung wäre das nicht möglich gewesen, erzählt er: "Ich war vorher in Hohenleuben, in einer Sechs-Mann-Zelle. Da hattest du nie deine Ruhe. Wie soll man sowas da verarbeiten?"

Traumberuf Vollzugsbeamter?

Jörg Bursian (55) ist stellvertretender Anstaltsleiter und stellt immer wieder fest, dass viele Menschen zu wenig wissen über den Justizvollzug.

"Ein Einblick bleibt ja naturgemäß der Mehrheit der Bevölkerung verborgen. Also keiner weiß, was dort eigentlich so richtig passiert. Man will es vielleicht auch nicht so genau wissen. Aber wenn irgendwas passiert, dann muss jeder darüber reden. Und bildet sich ein Urteil, was zum Teil auch sehr sachfremd ist."

Das führt aus seiner Sicht dazu, dass der Beitrag, den die Bediensteten insgesamt für die Gesellschaft leisten, unterschätzt würde. "Straftaten sind in der Regel auch mit schwerwiegenden Folgen für die Opfer verbunden, die unter Umständen ein Leben lang andauern."

Maik Harmuth (56) hat schon viel erlebt während seiner Dienstzeit. "Der Beruf verlangt schon eine gewisse Stabilität", sagt er. Er arbeitet gerne hier in Arnstadt. "Die Jugendlichen sind noch formbar. Die sitzen nicht einfach in Ruhe ihre Strafe ab, die kann man immer wieder motivieren. Der Jugendvollzug ist wie ein kleiner Ameisenhaufen."

Für ihn ist es ganz wichtig, dass man zuverlässig sein muss in diesem Job. "Die Kollegen müssen sich absolut aufeinander verlassen können." Harmuth bildet auch junge Kollegen aus, betreut sie, wenn sie neu anfangen.

Die Ausbildung im Justizvollzug in Thüringen hält er für ausgesprochen gut. "Und es liegt ja auch ein Stück weit an uns Erfahrenen, was wir den Jungen mit auf den Weg geben."

Professionelle Distanz ist essentiell

Ein wichtiger Punkt dabei ist die professionelle Distanz. Für alle, die hier arbeiten. Von der Sozialarbeiterin bis zu den Vollzugsbeamten. "Natürlich hören wir zu, wenn jemand ein Problem hat", sagt Daniel Franke. "Aber wir freunden uns nicht mit den Gefangenen an. Wir machen Hilfsangebote, unterstützen sie, aber eben ganz professionell. Das ist ja auch ein Schutz für uns."

Aber auch für viele Gefangene ist diese Distanz Alltag im Gefängnis. Philipp Hansch (25) sagt: "Man kennt sich, man lebt gezwungenermaßen zusammen. Aber echte Freundschaften gibt es hier nicht."

Hansch ist hier, weil er ohne Führerschein gefahren ist. Er hat an verschiedenen Programmen in der JSA teilgenommen und sagt, dass er sein "cholerisches Wesen" inzwischen deutlich besser im Griff hat.

Das Schlimmste für mich ist, dass meine Frau nicht da ist. Egal ob es mir gut oder schlecht geht, dass ich damit weitestgehend alleine zurechtkommen muss.

Philipp Hansch

"Das Schlimmste für mich ist, dass meine Frau nicht da ist. Egal ob es mir gut oder schlecht geht, dass ich damit weitestgehend alleine zurechtkommen muss. Oder dass sie mich vielleicht mal in den Arm nimmt. Klar telefonieren wir fast jeden Tag, aber das ist einfach nicht das Gleiche."

Für ihn jedenfalls ist eins klar: Auch wenn die Jugendstrafanstalt in Arnstadt moderner ist als viele andere - er will auf keinen Fall jemals wieder hierher zurückkommen.

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MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 17. Oktober 2023 | 16:00 Uhr

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