Hintergrund zum Arbeitsmarkt Lässt sich die Arbeitslosenquote mit älteren Zahlen vergleichen?

Vor Corona hieß es oft, in Deutschland herrscht die geringste Arbeitslosigkeit seit den Neunzigerjahren. Doch ist dieser Vergleich überhaupt zulässig? Denn die Definition von Arbeitslosigkeit hat sich oft geändert.

Als der Chef der Arbeitsagenturen für Sachsen-Anhalt und Thüringen, Kay Senius, Ende 2019 auf die Zahlen blickte, lobte er den stabilen Arbeitsmarkt. Seit 1991 seien noch nie so wenige Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen wie im Jahr 2019. Tatsächlich: Schaut man sich die Arbeitslosenquote im Verlauf der Jahre an, sank die Kurve zuletzt von Jahr zu Jahr.

In Thüringen lag die Quote 2019 bei 5,3 Prozent, in Sachsen bei 5,5 Prozent und in Sachsen-Anhalt bei 7,1 Prozent - alles neue Tiefstände. Zum Vergleich: Anfang der 2000er stieg die Quote in Sachsen-Anhalt auf über 20 Prozent, in Thüringen und Sachsen lag sie nur zwei bis drei Prozentpunkte niedriger. Doch lassen sich die Zahlen von damals und heute ohne weiteres vergleichen?

Änderungen in der Arbeitslosen-Statistik

Wer als arbeitslos gilt, ist eine politische Entscheidung. Durch Gesetzesänderungen änderte sich in den vergangenen 30 Jahren auch die Zählung, wer in die Statistik aufgenommen wird. Einige Beispiele:

  • Im Mai 2003 wurde geregelt, dass Erwerbslose nach Vollendung des 58. Lebensjahres nicht mehr von der Arbeitsagentur vermittelt werden. Sie bezogen weiter Unterstützung, wurden aber nicht mehr als arbeitslos gezählt.
  • Im Jahr 2005 traten die sogenannten Hartz-IV-Reformen der rot-grünen Schröder-Regierung in Kraft. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden zum neuen Arbeitslosengeld zusammengelegt. Im Zuge dessen wurden erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger von da an wieder in die Statistik einbezogen.
  • 2007 wurde wiederum die Regelung für Erwerbslose nach Vollendung des 58. Lebensjahres geändert, denn sie passte schlecht zum Ziel der Großen Koalition, Ältere bis zum 67. Lebensjahr arbeiten zu lassen. Doch die Furcht vor einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen war zu groß. So einigte man sich darauf, die Älteren ab 58 Jahren als Arbeitslose zu streichen, wenn sie innerhalb eines Jahres kein Stellenangebot erhalten.
  • Ab Januar 2009 sind mit einem Gesetz Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung eingeführt worden. Dazu zählen die sogenannten Ein-Euro-Jobs, gemeinnützige Arbeit und Schulungsmaßnahmen des Jobcenters. Wer in solchen Maßnahmen steckt, taucht seitdem in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf.

Die meisten Gesetzesänderungen führten dazu, dass die Arbeitslosenzahlen in der amtlichen Statistik sanken. Einzige Ausnahme sind die Hartz-Reformen von 2005. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) erhöhte dieser Effekt die Arbeitslosenzahl damals deutschlandweit um etwa 380.000. Die folgende Tabelle zeigt den Sprung in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt von Dezember 2004 auf Januar 2005.

Hartz-IV-Effekt auf den Arbeitsmarkt (Arbeitslose und Quote)
Zeitraum Sachsen-Anhalt Thüringen Sachsen
November 2004 252.003 (19,5%) 194.476 (15,8%) 379.217 (17,1%)
Dezember 2004 266.429 (20,6%) 209.841 (17%) 397.735 (18,0%)
Januar 2005 290.976 (22,5%) 234.680 (19,0%) 434.957 (19,7%)
Februar 2005 295.211 (22,9%) 238.971 (19,4%) 446.379 (20,2%)

Stefan Theuer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sagt, ein Langzeitvergleich ist kompliziert. Auf Bundes- und Länderebene lassen sich die angesprochenen Gesetzesänderungen für Analysen im Grunde berücksichtigen. Dabei gilt: Je regionaler man Zahlen vergleichen will, desto schwieriger wird es. Auch durch Gebietsreformen habe sich viel geändert, so Theuer. Zudem weist er darauf hin, dass in Ostdeutschland erst bis Mitte der Neunzigerjahre eine zuverlässige statistische Erhebung entwickelt wurde, um valide Zahlen zu liefern.

Arbeitslosenzahlen sanken seit 2005

Der Blick auf die Gesamtzahlen zeigt, dass die Änderungen in der Statistik nur einen geringen Teil ausmachten. Bis 2005 stieg die Arbeitslosenquote kontinuierlich an. Abgesehen vom Knick 2004/2005 ging sie dann immer weiter zurück, ehe sie vor Corona einen neuen Tiefstand erreichte. Oftmals wird dies mit der Agenda 2010 und dem konjunkturellen Aufschwung begründet. So gab es in Thüringen Anfang 2005 über 230.000 Arbeitslose, in Sachsen-Anhalt waren es über 290.000. Im Januar 2019 wurden in Thüringen noch rund 66.000 Arbeitslose gezählt und in Sachsen-Anhalt etwas über 90.000. Das sind deutliche Unterschiede. Selbst wenn man die Personen, die im Laufe der Jahre aus der Statistik genommen wurden, berücksichtigen würde (Stichwort "Unterbeschäftigte"), ist ein klarer Rückgang der Arbeitslosigkeit erkennbar.

Dennoch sollte man nicht zu sehr auf die Quote schauen, wie auch Arbeitsmarktforscher Stefan Theuer sagt. In der Öffentlichkeit diskutiert werde vor allem diese Zahl. "Nur mit dieser trägt man der komplexen Situation auf dem Arbeitsmarkt aber nicht Rechnung". Weitere wichtige Größen sind die Unterbeschäftigung und die stille Reserve. Und auch über Personen, die zusätzlich zu einer Beschäftigung Leistungen wie Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beziehen, sagt die Statistik nichts aus.

Quelle: MDR THÜRINGEN/sar

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