Antisemitismus in Sachsen Meldestelle verzeichnet 192 antisemitische Vorfälle

24. Juni 2024, 19:33 Uhr

Antisemitismus war 2023 im sächsischen Alltag deutlich präsenter als noch im Vorjahr. Das geht aus dem Jahresbericht der landesweiten Meldestelle RIAS in Sachsen hervor. Demnach wurden im vergangenen Jahr 192 antisemitische Vorfälle dokumentiert – 86 mehr als 2022. Besonders hoch ist die Zahl der Fälle von israelfeindlichem Antisemitismus.

Der terroristische Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war weltweit eine Zäsur gewesen. Das betont Marina Chernivsky, Geschäftsführerin des OFEK e.V., dem Trägerverein der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Sachsen, bei der Vorstellung des Jahresberichts der landesweiten Meldestelle. So seien 110 der insgesamt 192 antisemitischen Vorfälle allein in der Zeit von Oktober bis Dezember registriert worden.

Israelbezogener Antisemitismus wächst

In den meisten Fällen handle es sich dabei um israelbezogenen Antisemitismus. 101 solcher Vorfälle gab es laut RIAS im vergangenen Jahr – 2022 seien es nur 16 gewesen. Meist handle es sich dabei um das Stören von Gedenkveranstaltungen für die Opfer und Geiseln des 7. Oktober, aber auch um Fälle, bei denen das Existenzrecht Israels abgesprochen oder Jüdinnen und Juden für das Handeln Israels verantwortlich gemacht wurden, so Charlotte Brandes, RIAS-Projektreferentin.

Pro- Palästina- Kundgebung vor Karl- Marx- Monument in Chemnitz
Bei Demonstrationen in Chemnitz (Bild), Dresden, Leipzig und Pirna gab es laut Polizei Ende 2023 auch Straftaten mit antisemitischen Hintergrund. Bildrechte: IMAGO / HärtelPRESS

Mit 165 Fällen wurde am häufigsten verletzendes Verhalten wie Beleidigung oder antisemitische Schmierereien an nichtjüdischem Eigentum registriert. Drei Fälle von gezielter Sachbeschädigung und drei Bedrohungen von Einzelpersonen oder Institutionen wurden bekannt. Nicht zuletzt wurden auch elf körperliche Angriffe gezählt. In einem Fall sei ein junger Mann ins Gesicht geschlagen worden, weil auf seiner Handyhülle eine Israel-Fahne zu sehen war. Es handle sich dabei nur um die gemeldeten Fälle und somit die Spitze des Eisberges, betont Marina Chernivsky.

Die meisten Vorfälle ereigneten sich auf offener Straße, hieß es. Tatorte seien jedoch auch Bildungseinrichtungen, der öffentliche Nahverkehr und jüdische Gedenkorte. RIAS dokumentiert nach eigenen Angaben bundesweit antisemitische Vorfälle, unabhängig von strafrechtlicher Relevanz. 2022 wurde die sächsische Meldestelle offiziell eröffnet und arbeitet seitdem an einem bundesweiten Meldenetzwerk mit.

Klima der Angst und Verunsicherung

Bei Jüdinnen und Juden herrsche ein Klima der Sorge und der Angst, aber auch ein Gefühl der Schutzlosigkeit, so Marina Chernivsky, "weil nicht zwingend jemand aus dem sozialen Umfeld eingreift, wenn Juden und Jüdinnen Ablehnung, der Fremdmachung und der Gewalt ausgesetzt sind."

Die Vorsitzende des sächsischen Landesverbands der Jüdischen Gemeinden, Nora Goldenbogen, zeigte sich über die Ergebnisse des Jahresberichtes und den Anstieg antisemitischer Vorfälle nach dem 7. Oktober nicht überrascht. "Da ist Sachsen nicht die Ausnahme, sondern die Regel." In den drei jüdischen Gemeinden wachse das Bedrohungsgefühl.

Dr. Nora Goldenbogen, Präsidentin des Landesverbandes Sachsen der jüdischen Gemeinden.
Die Vorsitzende des Landesverbands Sachsen der Jüdischen Gemeinden, Dr. Nora Goldenbogen, zeigte sich nicht überrascht über den Anstieg antisemitischer Vorfälle nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2024. (Archivbild) Bildrechte: imago images/Sven Ellger

Da ist Sachsen nicht sie Ausnahme, sondern die Regel.

Nora Goldenbogen Vorsitzende des Landesverbands Sachsen der Jüdischen Gemeinden

In den drei jüdischen Gemeinden wachse das Bedrohungsgefühl. Am allerstärksten ist das Bedrohungsgefühl bei jenen, die erst seit kurzem in Deutschland sind.

Goldenbogen: Sorge unter Kindern und Jugendlichen wächst

Auch Kinder und Jugendliche machten sich zunehmend Sorgen, so Nora Goldenbogen. Laut Bericht wurden im vergangenen Jahr 13 Vorfälle in Bildungseinrichtungen dokumentiert - etwa wurde auf einer Leipziger Schultoilette die Parole "Wir müssen die Juden auslöschen" entdeckt.

In diesem Zusammenhang verwies der Landesbeauftragte für jüdisches Leben, Thomas Feist, auf eine neue Handreichung. Gemeinsam mit dem Landesamt für Schule und Bildung habe man im letzten Jahr angefangen einen Leitfaden für den Umgang mit Antisemitismus für Lehrerinnen und Lehrer zu erarbeiten, denn häufig handle es sich um Antisemitismus unter Schülern. Auf einer interaktiven Plattform sollen die Informationen ab dem neuen Schuljahr digital zur Verfügung gestellt werden.

Die aktuellen Zahlen zeigten, wie wichtig die Einrichtung von RIAS Sachsen war. "Die Meldestelle ist für mich ein wichtiger Partner in der Aufdeckung und damit möglichen konsequenten Bekämpfung jeglichen Antisemitismus im Freistaat," so Feist.

MDR (jsc)/epd/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 24. Juni 2024 | 19:15 Uhr

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