Historische Schwarzweiß-Aufnahme: Breakdance-Formation beim Tanzen
Bildrechte: Frank Salewski

Musik und Tanz Ostdeutsche Hip-Hop-Tradition – ein Kulturerbe?

27. September 2024, 16:50 Uhr

Die ostdeutsche Ausprägung der Hip-Hop-Kultur soll zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands erklärt werden. Das wollen zumindest einige der Protagonisten der Szene erreichen. Dafür haben sie in Dessau einen zweitägigen Workshop organisiert. Geplant sind unter anderem Vorträge und eine Diskussionsrunde mit Vertretern unterschiedlicher ostdeutscher Hip-Hop-Generationen. MDR KULTUR hat mit dem Mitinitiator Jörg Schnurre gesprochen.

MDR KULTUR: Was macht denn ostdeutschen Hip-Hop besonders?

Jörg Schnurre: Viele denken, dass es Hip-Hop in Ostdeutschland erst seit dem 10. November 1989 gibt. Und da muss man sagen: Nein, den gab es schon vorher! So ab 1982/83 hat sich eine ganz kleine Szene gebildet, die ist dann '83 oder '84 mit dem Film "Wild Style" nochmal ein bisschen in Bewegung gekommen. Und durch den Film "Beat Street" kurze Zeit später hatte die Szene dann eine richtige Entwicklung genommen.

Das war ja ein Film aus den USA. Ansonsten hatte die Szene hier in Ostdeutschland aber nicht die Möglichkeit, wie zum Beispiel in der alten Bundesrepublik, mit afro-amerikanischen Soldaten in Kontakt zu kommen und diese Kultur direkt zu erleben – auch die Erzählungen zu hören. Sondern es kam immer nur über das Indirekte, also entweder Kinofilme oder was man dann inoffiziell im Fernsehen oder im Radio gehört hat.

Jörg Schnurre, ein Mann mit Brille vor einer Betonwand.
Jörg Schnurre will, dass ostdeutscher Hip-Hop als immaterielles Kulturerbe Deutschlands anerkannt wird. Bildrechte: picture alliance / Andreas Scharein/Jörg Schnurre/dpa | Andreas Scharein

Unterscheidet sich Hip-Hop-Tanz aus dem Osten zum Beispiel vom Heidelberger Hip-Hop, der ja schon Kulturerbe ist?

Der Heidelberger ist ja stärker auf das Musikalische ausgeprägt. Die hatten in der Tat eine sehr starke Wirkung auf die deutsche Hip-Hop-Szene insgesamt, ab den Neunzigern dann auch nach Ostdeutschland hinein. Aber wenn man die ältere Generation fragt, also die erste Generation, die so ab '83 angefangen hat zu breaken oder Hip-Hop zu machen, was deren Erfahrungen sind, auch über die Wendezeit hinweg, sagen die: Es war im Osten wesentlich familiärer. Das ist im Westen nicht ganz so der Fall gewesen. Es war da schon immer mehr ein Wettbewerb und Clinch dabei.

Es war im Osten wesentlich familiärer.

Jörg Schnurre über Hip-Hop in Ostdeutschland

Und wenn man es jetzt auf Breakdance runterbricht, sagen viele: Was man im Osten so gemacht hat, war wesentlich mehr eine Performance, eine Show mit einer richtigen Choreografie. Während es im Westen eher das Freestylen war, also das spontane "Ich mache meine Moves und zack, das ist es." Und nicht: "Ich tanz mit zwei, drei, vier Leuten zusammen und mache eine Gesamtchoreografie."

Zahlreiche Jugendliche stehen auf der Straße um einen Breakdancer.
Jugendliche Ende 1980er-Jahre beim Breakdance an der Museumskreuzung in Dessau. Bildrechte: Enrico Gerhart

Wenn Sie heute sagen müssten, warum der ostdeutsche Hip-Hop Kulturerbe werden soll – was wäre Ihr stärkstes Argument?

Die Erzählung, die es schon ab '82 oder '83 gibt, bis zur Wende. Aber eben auch nochmal, was die Hip-Hop-Szene dann ab der Wende durchgemacht hat. Es war natürlich auch diese komplette ostdeutsche Transformation, die Wendezeit. Viele Menschen sind weggegangen. Viele haben sich erstmal dem neuen extrem hingegeben. Und man merkt, so ab 2010 geht es auf einmal wieder los: Wir sind ostdeutsch! Nicht unbedingt als Abgrenzung, aber trotzdem als Identitätssuche. Das prägt sich zunehmend stärker aus. Und mittlerweile merkt man das bei den ganzen Jams und Treffen, die es gibt.

Was ist bei dem aktuellen Workshop in Dessau zu erwarten?

Wir bringen die ganzen Leute zusammen. In den zwei Tagen geht es darum, sich ein bisschen zu vernetzen, Gespräche zu führen. Wir gucken Zusatzmaterial aus den Film "Here we come" und machen im Anschluss ein kleines Szenegespräch: Wie sind die Erfahrungen? Wie sind die Erlebnisse in den Achtzigern gewesen? Wie war es seit der Wendezeit?

Historische Schwarzweiß-Aufnahme: Zwei Menschen auf einer Bühne an Mikrofonen.
Ostdeutsche Hip-Hopper bei einer Veranstaltung in der DDR. Bildrechte: Frank Salewski

Dann wird es einen Vortrag von Leonhard Schmieding geben. Der hat sich in seiner Promotionsarbeit sehr stark mit dem Thema "Hip-Hop in der DDR" auseinandergesetzt. Es gibt auch noch ein Zeitzeugengespräch, beziehungsweise Traditionsvermittlung, was gerade in der Szene passiert. Mit einem Vertreter aus der ersten Generation, dann jemanden aus der zweiten Generation und mittlerweile auch jemanden aus der dritten, also relativ jüngeren Generation. Um da auch die Fragen noch mal zu beleuchten: Gibt es gerade noch etwas speziell Ostdeutsches? Spürt man das noch oder spürt man es wieder? Kommt da gerade was?

Wir sind da auch sehr offen, um zu gucken, wo wir denn gerade stehen. Kann man da wirklich etwas rausdestillieren, was diesen Antrag und auch diesen Titel dann so besonders macht?

Der Workshop ist der erste Schritt. Wie geht es dann weiter?

Wir werden den Welterbe-Antrag über den Winter schon mal in groben Zügen ausformulieren. Es gibt die Überlegung, weil es für einige jetzt zu kurzfristig war, dass wir im nächsten Jahr noch eine Veranstaltung machen – zum Beispiel ein "Boombox-Meeting" in Dessau.

Das Immaterielle Kulturerbe in Deutschland Das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes will die lebendigen kulturellen Traditionen und Ausdrucksformen in Deutschland aufzeigen. Die Vorschläge dazu kommen aus der Zivilgesellschaft. Sie werden in einem mehrstufigen Verfahren von staatlichen Stellen sowie der Deutschen UNESCO-Kommission bewertet und dann in ein Verzeichnis eingetragen. Auf dieser Liste für Deutschland stehen bislang knapp 130 Kulturformen, darunter das Bad Dürrenberger Brunnenfest, die deutsche Brotkultur und die Hip-Hop-Kultur in Heidelberg.

Unabhängig von diesem bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes Deutschlands gibt es auch das Immaterielle Kulturerbe der Menschheit der UNESCO, das derzeit etwa 700 Einträge zählt. Darunter den Geigenbau im italienischen Cremona, die Rumba in Kuba und der Pinisi-Bootsbau in Indonesien.

Quelle: MDR KULTUR (Das Gespräch führte Ben Hänchen), Deutsche UNESCO-Kommission
Redaktionelle Bearbeitung: op

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. September 2024 | 06:30 Uhr

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