Rechtsextreme Übergriffe auf Studierende in Köthen "Wenn es den Leuten nicht gut geht, gehen sie gegen Minderheiten vor"

31. März 2025, 09:05 Uhr

Im vergangenen Jahr haben in Köthen Unbekannte mehrmals ein internationales Studierendenwohnheim beschädigt und dabei rechtsradikale Parolen gerufen. Die Übergriffe waren kein Einzelfall. Was die Situation für Studierende, Stadt und Hochschule bedeutet.

Eine Frau lächelt und schaut in die Kamera
Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT

Eine Treppe zwischen Bäumen, hinter denen Wasser schimmert
Tagsüber sieht der kleine Park hinter dem Wohnheim Hubertus 6 idyllisch aus – nachts ist er vor allem dunkel. Bildrechte: MDR/Alisa Sonntag

Hubertus 6 ist ruhig gelegen. Wer aus einem der Eingänge des Köthener Studierendenwohnheims kommt, steht vor einem baumbewachsenen kleinen Hang, hinter dem sich ein Teich verbirgt. Was tagsüber idyllisch aussieht, ist nachts vor allem: dunkel. Und bietet damit möglicherweise leichtes Spiel für Angreifer – wie die, die im vergangenen Jahr Steine in die Scheiben des Wohnheims geschmissen hatten. "Ich glaube, dass sie möglicherweise die Dunkelheit genutzt haben, um zu verschwinden", vermutet ein Student.

Sebastian studiert seit einem Jahr an der Hochschule Köthen in einem englischsprachigen Medizintechnik-Master. Er kommt aus Kolumbien und ist einer von mehr als 2.000 internationalen Studierenden an der Hochschule Anhalt, viele davon in der Kleinstadt Köthen. Sebastians Nachnamen veröffentlicht der MDR ganz bewusst nicht – um ihn zu schützen. Denn im vergangenen Jahr gab es mehrere Angriffe auf das Wohnheim, in dem Sebastian wohnt, begangen mutmaßlich von Rechtsextremen.

Ein Mann steht vor einem Plattenbau und schaut in die Kamera 1 min
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MDR SACHSEN-ANHALT So 30.03.2025 09:00Uhr 00:39 min

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Rechtsextreme Angriffe in der Nacht

Laut der zuständigen Polizeiinspektion Dessau-Roßlau hatten im Juni 2024 in fünf Nächten über den Zeitraum von etwa zwei Wochen mehrere unbekannte Personen das Studierendenwohnheim beschädigt, die Studierenden belästigt und dabei teilweise rechtsextreme Parolen gerufen. Die Täter und eine mutmaßliche Täterin haben demnach Wohnheimfenster mit Steinen eingeschlagen, Fahrräder, Eingangstüren und Klingelanlagen beschädigt. Teilweise seien sie augenscheinlich betrunken gewesen und hätten laut Zeuginnen und Zeugen "lautstark gegrölt." Sebastian, der in dem Wohnheim lebt, erzählt, dass zweimal die Haustür repariert werden musste.

Hintergrund der Recherche

Diese Recherche beruht auf einer Kleinen Anfrage der Partei Die Linke an die Landesregierung Sachsen-Anhalt. Hochschulen in Sachsen-Anhalt wurden dabei nach rechtsextremen Vorfällen in 2023 und 2024 befragt. Die Hochschule Anhalt nannte unter anderem drei Übergriffe am Standort Köthen. Die Stadt ist damit kein Einzelfall, sondern ein Beispiel von mehreren. Andere Hochschulen benannten ähnliche Vorfälle. Bei den gemeldeten Zahlen ist allerdings von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen, weil den Hochschulen einige potenzielle Vorfälle unbekannt bleiben dürften. Mehr Information zu Rechtsextremismus an Hochschulen und den anderen Hochschulstandorten in Sachsen-Anhalt gibt es hier.

Eine Haustür mit einer neu angebrachten Klingelanlage daneben.
In dem Wohnheim Hubertus 6 in Köthen haben Unbekannte unter anderem die Klingelanlagen zerstört. Bildrechte: MDR/Alisa Sonntag

Auch Sebastians Klingel wurde bei dem Angriff zerstört. Er selbst, erzählt der Student, habe während der ersten Gewalttaten geschlafen. Sein Zimmer liege in einem der oberen Stockwerke. Erst am nächsten Morgen habe er in der gemeinsamen Whatsapp-Gruppe von Mitstudierenden von den Vorfällen erfahren. "Diejenigen, die im untersten Stockwerk wohnen, gegen deren Fenster Steine geworfen worden, die hatten in der Nacht natürlich nicht so viel geschlafen", sagt er.

Wie die Studierenden in Köthen mit den Attacken umgehen

Unter den Studierenden habe es in der herausfordernden Situation ein starkes Gefühl von Gemeinschaft gegeben. Sie hätten sich während der Angriffe gegenseitig unterstützt, sagt Sebastian: "Manche haben zum Beispiel angeboten, dass, wenn jemand spät arbeiten muss, sie gern in die Gruppe schreiben können, damit jemand sie abholt und sie nicht alleine heimgehen müssen."

Und nicht nur das: Die Studierenden wollten auch herausfinden, wer hinter den wiederholten Angriffen steckte. "Manche sind deswegen bis in die Nacht wach geblieben und haben aus dem Fenster geschaut, um die Angreifer filmen zu können." Und tatsächlich konnten die Studierenden im Wohnheim die Täter filmen und fotografieren. Laut der Polizeiinspektion Dessau-Roßlau konnten die Studierenden sogar das Kennzeichen von einem der Autos, mit dem die Unbekannten flüchteten, teilweise ablesen. Wer hinter den Attacken steckte, wissen sie dennoch bis heute nicht.

Manche sind bis in die Nacht wach geblieben, um die Angreifer filmen zu können.

Sebastian Köthener Masterstudent aus Kolumbien

Angst habe er selbst allerdings keine, so Sebastian. Er sei überrascht gewesen und habe sich gefragt, "warum haben sie das gemacht." Er habe die Menschen in Köthen meist als sehr freundlich empfunden. Dass ihm so etwas in Deutschland passieren würde, habe er nicht erwartet. Viele seiner Freundinnen und Freunde hätten sich nach den Vorfällen allerdings in Köthen eine Zeitlang nicht mehr sicher gefühlt.

Ein Mann steht vor einem Haus und schaut in die Kamera
Nach den Übergriffen hat Pezh sich oft unsicher gefühlt, wenn er spät nach der Arbeit im Dunkeln nach Hause gelaufen ist. Bildrechte: MDR/Alisa Sonntag

So auch Sebastians Freund Pezh. Der 28-Jährige will aus Sicherheitsgründen nur seinen Spitznamen veröffentlichen. Er gibt zu, sich nach den Angriffen auf das Wohnheim, das auch sein Zuhause ist, unsicher gefühlt zu haben. Seit knapp zwei Jahren lebt der Iraner in Köthen und studiert im selben englischsprachigen Medizintechnik-Master wie Sebastian. Die beiden spielen zusammen Volleyball und gehen regelmäßig ins hochschulinterne Fitnessstudio. Dort arbeitet Pezh auch neben dem Studium – oft bis spät in den Abend: "Wenn ich nach Hause gehe, ist es dann schon dunkel. Da hatte ich schon auch manchmal Angst und habe ganz genau aufgepasst, ob mich von irgendwo jemand angreifen will oder mich anschreit oder so." Etwa einen oder zwei Monate lang sei er besonders vorsichtig gewesen, um zu verhindern, dass ihm etwas zustoße. Außer den Angriffen betont er, in Köthen keine Probleme zu haben, und erzählt von einer Volleyballmannschaft aus deutschen Männern, die ihn zum Spielen eingeladen habe.

Wie die Hochschule in Köthen auf die Angriffe reagierte

Jörg Bagdahn ist Köthener und seit 2016 Präsident der Hochschule Anhalt mit ihrem Standort in Köthen. Er versteht die Sorgen der Studierenden: "Das kann sich, glaube ich, auch jeder selber vorstellen, wenn die Haustür beschädigt wird, die Klingelanlage beschädigt wird, dann fühlt man sich nicht wohl." Nach den Vorfällen hatte die Hochschule eine Informationsveranstaltung organisiert, bei der die Studierenden ihre Fragen und Probleme unter anderem mit der Polizei, Bagdahn und der Oberbürgermeisterin besprechen konnten. "Die Polizei hat nochmal informiert, welche Maßnahmen möglich sind. Wenn ich aus dem Ausland komme, gehe ich vielleicht nicht im ersten Schritt in Deutschland zur Polizei", sagt Bagdahn.

Ein Mann steht vor Gebäuden und Fahnen mit Logos und Aufschriften und schaut in die Kamera. 1 min
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MDR SACHSEN-ANHALT So 30.03.2025 19:00Uhr 00:49 min

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Das kann sich jeder selber vorstellen, wenn die Haustür und die Klingelanlage beschädigt werden, fühlt man sich nicht wohl.

Jörg Bagdahn Präsident der Hochschule Köthen

Außerdem hatte die Hochschule für etwa einen Monat die Bestreifung durch den Wachschutz intensiviert. Auch die Polizei war eine Zeitlang häufiger auf dem Campus Streife gefahren. Zusätzlich hat es laut der Hochschule mehrere Beratungen und Workshops zum Thema Rechtsextremismus unter anderem für das International Office der Hochschule Anhalt und die Hochschulleitung gegeben. Mittlerweile ist vor jedem Eingang des betroffenen Wohnheims eine Kamera zur Videoüberwachung aufgestellt. Der Hochschulsport bietet laut der Hochschule Anhalt außerdem auf Wunsch der Studierenden Selbstverteidigungskurse an.

Zwei Männer stehen zwischen Geräten in einem Raum, einer hat ein Mikrofon vor dem Mund
Mindestens einmal in der Woche gehen Pezh und Sebastian zusammen ins Hochschul-Fitnessstudio. Bildrechte: MDR/Alisa Sonntag

Der Masterstudent Sebastian lobt den Umgang der Hochschule und der Stadt Köthen mit der Situation: "Sie haben sehr schnell reagiert und haben uns geholfen, dass sich alle hier wieder sicher fühlen." Das bestätigt auch sein Freund Pezh. Einen kritischeren Blick darauf hat der Studierendenrat der Hochschule Anhalt. Auf Anfrage teilte er MDR SACHSEN-ANHALT mit, es sei fraglich, inwieweit Videoüberwachung tätliche Übergriffe verhindern solle: "Das ist nur ein Beispiel dafür, dass aus unserer Sicht die Maßnahmen nicht ausreichen, ganz zu schweigen davon, dass die ursächlichen Gründe angegangen werden."

Welche Erfahrungen internationale Studierende in Köthen sonst machen

Abends alleine durch Köthen laufen – das ist etwas, das Jiji nicht macht. "Ich bin eine Frau und ich habe dunkle Haut, also Nein", sagt sie mit einem freudlosen Lachen. Aus Sicherheitsgründen will die 30-Jährige nur ihren Spitznamen veröffentlichen. Sie ist mit Pezh und Sebastian befreundet. 2013 ist sie von Marokko nach Deutschland gezogen. In Köthen studiert Jiji seit mehr als zwei Jahren Biotechnologie in einem deutschsprachigen, dualen Studiengang. Auch wenn sie nicht im Wohnheim wohnt, beschäftigen sie die Vorfälle dort. Sie sagt: "Wenn eine Sache einem von uns passiert, dann könnte sie uns allen passieren."

Eine Frau sitzt im Freien vor einem Haus und lächelt in die Kamera.
Jiji macht in Köthen öfter rassistische Erfahrungen. Bildrechte: MDR/Dmytro Mukhin

Wenn eine Sache einem von uns passiert, dann könnte sie uns allen passieren.

Jiji Köthener Studentin aus Marokko

Auch ohne Kommentare begegne ihr Rassismus immer wieder im Alltag, erzählt sie: "Wenn ich in der Bäckerei sitze, alleine, und ganz normal meinen Kaffee trinke, dann sitzen die alten Leute da und starren mich an." Klar, sie könne nicht wissen, ob die anderen wirklich rassistisch seien oder nur schlechte Laune hätten. Allerdings: "Fast die Hälfte der Menschen hier hat zur Bundestagswahl AfD gewählt. Also will fast jeder Zweite nicht, dass ich hier bin", schlussfolgert sie. Sie habe gewusst, was sie erwarte, als sie nach Deutschland kam: "Wenn es den Leuten nicht gut geht, gehen sie immer gegen die Minderheiten – und das sind wir."

Auch Hochschulpräsident Bagdahn spricht das Thema Wahlen an. Mit einem Seufzen sagt er: "Dass wir eine Veränderung in der Gesellschaft haben, sieht man ja in den Wahlergebnissen. Hochschulen sind ein Spiegelbild der Gesellschaft und ja, manche Veränderungen beunruhigen einen."

Rechtsextreme Übergriffe auf internationale Studierende in den letzten 20 Jahren

Anfang 2024 hatte die rechtsextreme Kleinpartei "Dritter Weg" an der Hochschule in Köthen Flyer mit diskriminierender und homophober Propaganda verteilt. Im Juni 2023 war laut der Hochschule eine Person verbal beleidigt worden, auch dabei habe es einen rechtsradikalen Hintergrund gegeben. Das sind die Vorfälle, die die Hochschule auf die kleine Anfrage der Linken meldete. Die Anfrage bezog sich nur auf die Jahre 2023 und 2024.

Meldungen ganz ähnlich wie diese tauchten aus Köthen auch schon in den vergangenen 20 Jahren auf. 2018 zum Beispiel, als man sich in Köthen während rechtsextremer Demonstrationen um die internationalen Studierenden sorgte. In einem Bericht des Deutschlandfunk sagten auch vor sieben Jahren schon chinesische Studierende, dass sie sich in Köthen "nicht ganz sicher" fühlten. In dem Bericht steht auch, dass die Hochschule hoffe, das Hochschulgelände nicht erneut von einem Sicherheitsdienst überwachen lassen zu müssen. "Erneut" deshalb, weil es 2012 schon eine solche Überwachung gegeben hatte – nach mehreren Übergriffen auf chinesische Studierende. Einer von ihnen war laut Berichten von mehreren Männern angegriffen worden – vor seinem Wohnheim. Die Täter waren laut den Berichten damals bekannt, sind aber nach einem Verhör wieder auf freien Fuß gekommen.

Das Projekt "gegenPart", das in Anhalt gegen Rechtsextremismus berät – unter anderem jüngst auch die Hochschule Anhalt – und von Land und Bund gefördert wird, dokumentiert nach eigenen Angaben seit 1999 rechtsextreme Straf- und Gewalttaten. Schon 2006 schrieb das Projekt von einer "Übergriffsserie auf ausländische Studenten der Fachhochschule Anhalt". Seitdem hat es in seiner Chronik in jedem Jahr mehrere Vorfälle mit mutmaßlich rechtsextremen Hintergrund in Köthen dokumentiert. In etwa der Hälfte der Jahre ist darunter auch mindestens ein Vorfall im Kontext der Hochschule.

Allerdings waren die Vorfälle im Juni 2024 nicht die ersten am Hochschulstandort in Köthen. In den vergangenen 20 Jahren gab es aus der Stadt immer wieder Berichte über rechtsextreme Übergriffe auf Studierende.

Was die internationalen Studierenden für Köthen bedeuten

Tradition hat in Köthen allerdings auch der hohe Anteil internationaler Studierender. "Seitdem diese Hochschule vor über 100 Jahren gegründet wurde, waren immer 20 Prozent internationale Studierende", sagt Bagdahn. Mittlerweile gilt das für mehr als 30 Prozent der Studierendenschaft, ein Spitzenwert in Sachsen-Anhalt. Laut dem Hochschulpräsidenten bewerben sich auf jeden englischsprachigen Studienplatz etwa zehn Personen. Bagdahn spricht von einer "sehr positiven Einstellung gegenüber internationalen Studierenden" in der Stadt: "Ich glaube, die Präsenz und auch das Wirken der Hochschule und auch der internationalen Studierenden in die Stadt hinein ist sehr groß."

Die Oberbürgermeisterin der Stadt, Linken-Politikerin Christina Buchheim, stimmt Bagdahn zu. Die beiden kennen sich schon seit der Grundschule. "Die Studierenden gehören einfach zu unserer Stadt. Sie bereichern unsere Stadt, sie bringen auch sehr viel Kaufkraft hierher." Sie sehe es als wichtige Aufgabe der Stadt, "den Studierenden und allen anderen Menschen mit Migrationshintergrund zu zeigen, sie gehören mit zu uns, wir achten sie und wollen auch gemeinsam mit ihnen hier in unserer Stadt leben." Die Angriffe auf das Wohnheim im vergangenen Jahr hätten sie sehr erschüttert, sagt die Oberbürgermeisterin.

Eine Frau schaut in die Kamera 1 min
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MDR SACHSEN-ANHALT So 30.03.2025 19:00Uhr 00:38 min

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Es ist unsere Aufgabe, allen Menschen mit Migrationshintergrund zu zeigen, sie gehören mit zu uns.

Christina Buchheim (Die Linke) Oberbürgermeisterin von Köthen

Sie erzählt auch von Angriffen und Bedrohungen des Christopher Street Day in Köthen im vergangenen Jahr. Verantwortlich sei damals die rechtsextreme Kleinpartei Dritter Weg gewesen, die in Köthen "sehr, sehr aktiv" sei. Hochschulpräsident Bagdahn fügt hinzu: "Es gibt ja auch Videoaufnahmen von den Personen und es ist klar, das waren keine Studierenden, sondern das waren Personen, die einen rechtsradikalen Hintergrund hatten."

Wie die Polizei in Köthen nach den Angriffen reagiert hat

Laut Hochschulpräsident Bagdahn hat die Hochschule wegen der Vorfälle am Wohnheim Hubertus 6 Anzeige erstattet. Ganz aufklären können habe die Polizei den Fall aber bisher nicht. Studentin Jiji ärgert sich darüber: "Es gab ein Video und Zeugen und alles. Wir sind hier in Deutschland, die können mir nicht erzählen, dass sie die Täter wirklich nicht finden können."

Vor einem Haus ist an einer langen Stange eine Kamera befestigt, außerdem ein Schild.
Mittlerweile gibt es vor dem Studierendenwohnheim Hubertus 6 in Köthen Videoüberwachung. Bildrechte: MDR/Alisa Sonntag

Sie kritisiert auch das Verhalten der Polizei am Abend der Angriffe. Einerseits, weil die Einsatzkräfte 30 Minuten gebraucht hätten, um am Tatort anzukommen – in einer kleinen Stadt wie Köthen. Und andererseits, weil die Polizei die Studierenden anfangs nicht ernst genommen habe. Während des ersten Angriffs, so Jiji, hätten mehrere Studierende gehört, wie die Angreifer rassistische Parolen gerufen hätten. "Aber die Polizei hat gesagt: ‚Nein, das war bestimmt nicht ausländerfeindlich‘, ärgert sich Jiji. "Sie haben angedeutet, die Studierenden könnten das falsch verstanden haben, weil sie nicht so gut Deutsch sprechen."

Es gab ein Video und Zeugen. Die können mir nicht erzählen, dass sie die Täter wirklich nicht finden können.

Jiji Köthener Studentin aus Marokko
Menschen im Dunkeln, fotografiert unscharf von oben
Dieses Foto haben Studierende aus dem Wohnheim während einem der Übergriffe im Sommer 2024 gemacht. Bildrechte: MDR/privat

Als Reaktion auf die Vorwürfe der Studentin teilt die Polizei MDR SACHSEN-ANHALT mit, dass ihr von ausländerfeindlichen Rufen am ersten Tatabend nichts bekannt sei. In den polizeiinternen Einträgen zu den Einsätzen, die die Inspektion Dessau-Roßlau MDR SACHSEN-ANHALT zukommen ließ, ist von solchen Parolen nur an anderen Abenden die Rede. Allerdings hatten die Studierenden am Abend des ersten Angriffs nach Angaben der Polizei auch zuerst die Rettungsleitstelle angerufen.

Ein Plattenbau neben einer Straße und Bäumen
Über diese Straße könnten die mutmaßlichen Täter der Übergriffe auf das Studierendenwohnheim geflüchtet sein. Bildrechte: MDR/Alisa Sonntag

Nach den Angaben der Polizei waren die Streifenwagen außerdem in zwei von drei Fällen, in denen sie alarmiert worden waren, innerhalb von weniger als 10 Minuten am Wohnheim. In einem Fall hat es nach Angaben der Polizei vom Anruf bis zum Eintreffen des Streifenwagens 23 Minuten gedauert, da die Beamtinnen außerhalb von Köthen unterwegs gewesen seien, um einen Verkehrsunfall aufzunehmen.

Insgesamt habe die zuständige Polizeiinspektion Dessau-Roßlau zu den Vorfällen drei Strafanzeigen bearbeitet, bei denen es sich um Sachbeschädigung und Volksverhetzung gehandelt habe. Im Rahmen der Ermittlungen hätten die Beamtinnen und Beamten Zeuginnen und Zeugen vernommen sowie Begehungen und Befragungen vor Ort durchgeführt. Auch das vorhandene Videomaterial hätten die Beamtinnen und Beamten gesichtet, aber keiner Person zuordnen können. Die Polizei sei nicht befugt, Videomaterial ohne einen richterlichen Beschluss zu veröffentlichen. Im Juli 2024 habe die Polizei deshalb die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Diese teilte MDR SACHSEN-ANHALT auf Anfrage mit, die Verfahren eingestellt zu haben. Sie habe keine Täter ermitteln können.

Wie Köthen eine positive Veränderung erreichen will

Für die Stadt Köthen geht es, wenn es um die internationale Studierendenschaft geht, einerseits um die Sicherheit von Menschen. Allerdings auch um Faktoren wie Fachkräftemangel und demographischen Wandel. Köthen hat deswegen auch ein wirtschaftliches Interesse daran, dass internationale Studierende in die Stadt kommen – und dort im Optimalfall auch langfristig bleiben. Oberbürgermeisterin Christina Buchheim erzählt in dem Zusammenhang von einem Projekt.

Über die Landesinitiative "Stadt als Campus" wolle Köthen außerdem eine Art Studierendencafé als Verknüpfungspunkt zwischen der Studierendenschaft und anderen Anwohnenden schaffen, erzählt Buchheim: "Wir wollen den Studierenden einen Punkt bieten, sich in diese Stadt zu integrieren, also Kontakte zu knüpfen, sich mit Firmen in Verbindung zu setzen, vielleicht auch Wohnraum angeboten zu bekommen und sich dann doch vielleicht den Stoß zu geben, zu sagen, ich fühle mich hier wohl, hier bin ich willkommen und hier möchte ich in Zukunft leben." Am Tisch säßen dabei unter anderem der Studierendenrat und der Seniorenbeirat der Stadt. Allerdings fehle noch eine Anschubfinanzierung. Hoffnungen setze die Stadt dabei auf die Spendengelder, die sie im letzten Jahr über den Satiriker Jan Böhmermann erhalten hatte.

Wir wünschen uns mehr Maßnahmen von der Hochschule, da dort oft schöne Worte gesprochen werden, aber für konkrete Maßnahmen kein Geld vorhanden ist.

Sprecher des Studierendenrates der Hochschule Köthen

Studierendenrat: Was gegen Extremismus getan werden muss

Der Studierendenrat der Hochschule Anhalt findet, es müsse "mehr passieren". Die Hochschule Anhalt sei laut Zielvereinbarung mit dem Bildungsministerium federführend für die Integration ausländischer Absolventen in den Arbeitsmarkt verantwortlich. Leider herrsche vielerorts aber nicht die dafür nötige Willkommenskultur. Das Studierendengremium wünscht sich "mehr Geld für Prävention und Schutz, mehr Maßnahmen von Seiten der Stadt, mehr Solidarität zwischen Einheimischen und ausländischen Studierenden, mehr von Seiten der Hochschule, da dort oft viele schöne Worte gesprochen werden, aber dann für konkrete Maßnahmen oder Aktionen kein Geld vorhanden ist."

Das macht Köthen noch gegen Rechtsextremismus

Die Stadt, sagt Oberbürgermeisterin Buchheim, habe sich Gedanken zum Thema Rechtsextremismus gemacht. "Zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr ein Bürgerbudget ins Leben gerufen, weil man immer mehr merkt, dass die Menschen unzufrieden sind, weil zu wenig passiert." Köthen habe dafür 60.000 Euro im Haushalt eingestellt. Bürgerinnen und Bürger seien aufgerufen gewesen, Maßnahmen einzureichen, die von dem Geld umgesetzt werden können – "um hier auch aktiv mitgestalten zu können, dass man in gewissem Sinne einer Politikverdrossenheit entgegenwirkt", erklärt Buchheim. Das Format sei gut angenommen worden und soll nun jährlich fortgesetzt werden.

Warum manche Studierende trotzdem nicht bleiben wollen

Ob Sebastian, Pezh und Jiji das geplante Studierendencafé der Landesinitiative "Stadt als Campus" noch erleben werden, ist fraglich. Bisher plant niemand von ihnen konkret, in Köthen zu bleiben – ganz im Gegenteil. Sebastian sagt, er lebe gern in Köthen. Er kommt aus der Großstadt Medellín und genießt das ruhige Leben in einer kleineren Stadt.

Ein Mann steht vor einem Plattenbau und schaut in die Kamera
Sebastian genießt das ruhige Leben in einer kleineren Stadt als seiner Heimat Medellín. Bildrechte: MDR/Alisa Sonntag

Nach Deutschland sei er gekommen, weil das Land "eines der besten Länder der Welt" im Bezug auf Maschinenbau sei – das habe er zuvor studiert, erklärt Sebastian. Zukünftig wolle er Medizintechnik und Maschinenbau verbinden und hoffe, die Welt ein bisschen besser machen zu können. Wenn nicht in Köthen, dann "in einem anderen, kleinen, schönen Ort wie Köthen."

Wenn wir ein Kind bekommen und das meine Hautfarbe hat, will ich nicht, dass es das gleiche erlebt wie ich.

Jiji Köthener Studentin aus Marokko

Pezh sagt, er wolle nach Westdeutschland ziehen. Nach Köln vielleicht oder Düsseldorf. Köthen sei ihm zu klein: "Nach acht Uhr ist in Köthen alles geschlossen. Niemand ist mehr draußen. Es ist ein bisschen gruselig." In Westdeutschland sei es lebendiger, findet er.

Jiji hat einen ähnlichen Plan gemeinsam mit ihrem Ehemann. Nach dem Ende der Ausbildung wollen sich beide im ganzen Land bewerben. "Aber ob wir jetzt unbedingt in Ostdeutschland bleiben, das ist eine andere Frage", sagt sie. Sie habe in Ostdeutschland gelebt, seitdem sie nach Deutschland gekommen sei. Eigentlich, sagt sie, möge sie es hier "richtig gern". "Aber mit der AfD jetzt, die werden größer und größer und bekommen immer mehr Unterstützung…" Jiji denkt einige Jahre weiter in die Zukunft: "Wenn wir irgendwann ein Kind bekommen und wenn das meine Hautfarbe hat, will ich nicht, dass es das gleiche erlebt wie ich. Das möchte ich meinem Kind nicht antun."

Anmerkung der Redaktion: Durch einen redaktionellen Fehler vor der Veröffentlichung dieses Textes war das Zitat aus der Überschrift zunächst nicht im eigentlichen Text zu finden. Wir danken allen, denen dieser Fehler aufgefallen ist, für ihre Hinweise und haben das Zitat nun an entsprechender Stelle eingebaut. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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MDR (Alisa Sonntag) | Erstmals veröffentlicht am 30.03.2025

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 30. März 2025 | 19:00 Uhr

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