Splash Festival 2022 Festivalgelaende vor der MainStage beim UFO 361 Auftritt waehrend des 23. Splash Festivals
Das Splash Festival geht 2024 in die 26. Runde – für den Hip Hop in Deutschland ist es heute die wichtigste Adresse. Bildrechte: IMAGO / Hartmut Bösener

Erinnerungen Wie Eminem nach Chemnitz kam und der Hip Hop den Osten eroberte

03. Juli 2024, 10:16 Uhr

Das Splash Festival in Ferropolis ist heute das größte Hip Hop-Event in Deutschland und Künstler aus dem Osten wie Marteria aus Rostock, Trettmann aus Chemnitz oder 01099 aus Dresden gehören zu den Stars der Szene. Als die Hip Hop-Welle in den 80er- und 90er-Jahren Deutschland traf, hatten Kids aus dem Osten nur begrenzt Zugang. Die Stimmung nach der Wende war geprägt von Unsicherheit und Zukunftsangst. Auch finanziell sah es oft mau aus. Tino Kunstmann, Matthias Kretzschmer, Falko Luniak und Fabian Lang sind Hip-Hopper der ersten Stunde aus Chemnitz, Dessau, Leipzig und Halle – sie erinnern sich, wie sie ihre eigene Szene kreierten.

Karl-Marx-Stadt 1989: In der Fußgängerzone Rosenhof dreht sich ein junger Mann auf dem Kopf. Drei weitere stehen im Halbkreis um ihn herum und feuern ihn an. Im Publikum aus Passanten steht auch der dreizehnjährige Tino Kunstmann und beobachtet diese Szene. Damals hat er keine Ahnung, dass dies seine erste Begegnung mit Hip Hop war. Ein paar Jahre später sieht er dann im Fernsehen den Film, der sein Leben verändert: 

1986 lief 'Beatstreet' im DDR-Fernsehen. Eigentlich, um uns zu zeigen, wie schlecht es den Menschen im imperialistischen Ausland geht. Mich hat dieser Film so mitgerissen, dass ich immer tiefer in Hip Hop reingewachsen bin.

Tino Kunstmann, Musiker

Der Hip Hop-Film "Beatstreet" fasziniert viele Jugendliche und weckt ihre Neugier. Nach der Wende probierte sich Tino in jeder der vier Säulen der Hip-Hop-Kultur aus: Er war Breakdancer, legte Platten auf, sprühte Graffiti und rappte Texte auf Beats. Als Mitglied verschiedener Hip-Hop-Formationen begann er, eigene Songs aufzunehmen und wurde schließlich Teil des Duos Tefla & Jaleel.

Musiker Tino Kunstmann bei einem Auftritt 1993: er trägt eine weite helle Hose und ein Shirt mit einem Cannabis-Blatt darauf
Der Chemnitzer Musiker Tino Kunstmann (links) bei einem Auftritt 1993. Bildrechte: Tino Kunstmann

Splash: Von der Chemnitzer Jugendclub-Party zum größten Hip Hop-Festival Deutschlands

Auch Tinos Freundeskreis wollte Hip Hop nicht nur konsumieren, sondern mit gestalten: "Alle haben mitgeholfen, jeder hat etwas beigetragen. Einer von ihnen war Trettmann. Einige aus unserer Clique haben Hip Hop-Jams veranstaltet. Sie haben Advanced Chemistry, Cora E. und viele andere gebucht (…) sogar Eminem und der Wu-Tang Clan haben bei uns gespielt. Aus diesem immer weiter wachsenden Kreis an Leuten ist irgendwann auch das Splash! entstanden."

Dessau: Eigenes Hip Hop-Label und gute Adresse für Aggro Berlin zum Plattenpressen

Zur selben Zeit gründete Matthias "Kretschi" Kretzschmer in Dessau eins der ersten Hip Hop-Labels mit eigenem Vinyl-Presswerk. Sogar die Jungs von Aggro Berlin kamen zu Kretschi, um ihre Platten pressen zu lassen: "Ich war cool mit den Chefs von Aggro Berlin, Specter und Spaiche. Ich habe mit denen früher Graffiti gesprüht und Breakdance gemacht. Es ging immer über Kumpel-Connections. Damals hab ich 500 Exemplare der ersten 'Alles ist die Sekte'-Platte gepresst und die im Opel Corsa von Dessau nach Berlin gefahren."

Ein junger Mann im Plattenladen, er lächelt in die Kamera
Matthias "Kretschi" Kretzschmer gründete eines der ersten Hip Hop-Labels in Ostdeutschland. Bildrechte: Matthias Kretzschmer

Den ersten Hip-Hoppern im Osten fehlten oft nicht nur echte Adidas-Sneaker und neue Hip Hop-Songs, sondern auch Netzwerke. Doch davon ließ sich Kretschi nicht bremsen. Mit Kreativität, Offenheit und großem Tatendrang brachten er und seine Freunde die Kultur voran. "Als Hip-Hopper in der DDR warst du immer auf Entdeckungsreise (…) man hat da so richtige Antennen für entwickelt und musste aktiv sein. Es gab ja keine Handys. Es war eher so: Oh, der hat dicke Schnürsenkel, der hat bemalte Klamotten. Das war etwas Besonderes. Alles haben wir aufgesaugt. Immer am Gucken, immer am Connecten – Tapes und Moves ausgetauscht, um das, was wir aus dem Westen kannten, zu adaptieren."

Kretschi mit Mikrofon auf der Bühne
"Kretschi" bei einem Auftritt in den frühen 90er-Jahren Bildrechte: Matthias Kretzschmer

Als Hip-Hopper in der DDR warst du immer auf Entdeckungsreise.

Matthias Kretzschmer, Label-Gründer, Club-Besitzer und Hip-Hopper der ersten Stunde

Mittlerweile hatte Kretschi neben dem Musiklabel angefangen, als Manager zu arbeiten und eröffnete mit seinen Jungs einen der angesagtesten Hip Hop-Clubs Deutschlands, das "Bounce87" in der Leipziger Innenstadt. Hier gaben sich Rapper wie Kool Savas, Azad, Fler und Bushido die Klinke in die Hand. Auch internationale Stars wie Jadakiss und Busta Rhymes traten dort auf. "Den Osten auf die Karte bringen, das war unser Ziel", erklärt Kretschi seine Motivation. Und dieses Vorhaben ist geglückt. 

Schwarz-Weiß-Foto eines jungen Mannes in einem US-Car mit einer New York Yankees Kappe
Matthias "Kretschi" Kretzschmer im Jahr 1999 Bildrechte: Matthias Kretschmer

Aus Halle an die Spitze der internationalen Charts

Fabian Lang, damals unter dem Künstlernamen "Fabster" als Rapper aktiv, denkt gerne zurück an die Anfänge seiner Karriere. Auch ihm hat die Hip-Hop-Kultur Identität, Halt und Werte vermittelt: 

Du konntest dich als Jugendlicher entscheiden, ob du Nazi, Zecke oder Hip-Hopper wirst. Es gab eine politische Notwendigkeit, sich zu committen. Punks waren politisch eher bei uns zuhause. Deshalb gab es oft Hip Hop-Jams in Punk-Clubs.

Fabian Lang, Produzent

Das ostdeutsche Zusammengehörigkeitsgefühl war groß. Dennoch hatte der Westen eine bessere Ausgangssituation und dadurch einen klaren Vorsprung in Struktur, Möglichkeiten und Außenwirkung, sagt Fabian. "Köln hatte Mzee Records mit Cora E. und den Stieber Twins, in Stuttgart gab es das Label Four Music, Sony saß in München, Viva in Köln. Wir haben das als Zaungäste bewundert."

Musiker Fabster in einem weißen T-Shirt mit schwarzer Mütze lächelt und winkt in die Kamera.
Der Hallenser Fabian Lang aka. Fabster begann seine Musikkarriere als Rapper und ist heute unter dem Namen The Breed als Produzent erfolgreich. Bildrechte: Benny Körber

"Der Anspruch war immer, der King deiner Stadt zu sein, während man im Westen vielleicht schon dachte, ich will King von Deutschland werden", so Fabian. King seiner Heimatstadt Halle ist Fabian im Hip Hop schon lange. Heute produziert er als "The Breed" allerdings nicht nur Musik für Max Herre, Xatar, Plusmacher und Marteria, auch internationale Stars wie Anderson Paak oder Kodak Black rappen über Fabians Musik. Im hauseigenen Studio übernimmt er große Auftragsproduktionen und komponiert Filmmusik wie zuletzt für den Kinofilm "Spuk unterm Riesenrad".

Wer sind die Hip-Hop-Frauen des Ostens?

Es gab sie, aber nicht allzu viele. Stephanie "Klinge" Klingenberg aus Jena war eine wichtige weibliche Figur der ostdeutschen Hip Hop-Szene. Stephanie war als eine der wenigen weiblichen MCs national bekannt und arbeitete später beim westdeutschen Hip Hop-Label Mzee Records. Auch Anja Käckenmeister aus Rostock gilt als eine der Hip Hop-Pionierinnen Ostdeutschlands und konnte als "Pyranja" jungen Rapperinnen der nächsten Generation Vorbild sein. 

Vom Leipziger Jugendradio auf die Bühne

"Als ich ins Hip Hop-Game reinkam, Mitte der 90er-Jahre, gab es schon Einiges", erinnert sich Falko Luniak an die Anfänge seiner Hip Hop-Reise. "Ich bin durch Graffiti zum Hip Hop gekommen. Leipzig nach der Wende war ein einziges Chrom-Schwarz. Auch bei uns im Neubauviertel haben wir gesprüht. Erst als ich als 12-Jähriger in der Innenstadt beim Jugendradio 'Kaktus' war, hab ich im Stadtbild andere Aspekte der Hip Hop-Kultur wahrgenommen. Da waren Leute in Baggy Pants, Skater und Breakdancer und so lernte ich auch Hip Hop-Musik kennen."

Musiker Morlockk Dilemma auf einer Hip-Hop-Jam in Wolfen in den 90er-Jahren
Der Leipziger Musiker Morlockk Dilemma (rechts) auf einer Hip Hop-Jam in Wolfen 1999. Bildrechte: Falko Luniak

Falkos Familie zog Ende der 90er-Jahre nach Delitzsch. Dort fand Falko seine Hip Hop-Community und begann, selbst zu rappen. Später studierte er Journalismus, arbeitete bei Labels und öffentlich-rechtlichen Radiosendern. Rap bestimmte seine Freizeit. Seit 2013 lebt Falko von seiner Musik, spielt als Morlockk Dilemma ausverkaufte Tourneen und ist noch immer verliebt in diese bunte, authentische, vielseitige Kultur:

Hip Hop ist eine Kultur der weniger Privilegierten, und wir hatten damals tatsächlich nicht viel. Wir haben uns eigene Möglichkeiten geschaffen und uns beim Malen, Tanzen oder Rappen manchmal ein bisschen weggeträumt. (…) Hip Hop ist zu meiner Identität geworden.

Falko Luniak aka. Morlockk Dilemma

Jugendliche im Osten gestalteten ihre eigene Hip Hop-Kultur

Nach der Wende standen die Jugendlichen im Osten vor der Herausforderung, aus wenigen Ressourcen eine eigene Hip Hop-Kultur zu gestalten. Und diese Herausforderung nahmen sie an. Wo es an echten Adidas-Schuhen fehlte, malten sie die Streifen mit Textilfarbe selbst auf. Fehlende Vorbilder ersetzten sie durch starken Zusammenhalt à la "each one teach one". Und das noch fehlende Netzwerk wurde durch Neugier, Offenheit und Tatendrang aufgebaut. Die Kids von damals gründeten Labels, Clubs und Festivals, die noch heute die Szene prägen. 

Redaktionelle Bearbeitung: Viktoria Adler

Mehr über das Splash Festival und Hip Hop

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Größer als Hip Hop – Die Geschichte des Splash! Festivals | 04. Juli 2024 | 22:10 Uhr

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