Netzstabilität Netze noch nicht ausgebaut: Ökostromanlagen müssen zwangsabgeschaltet werden

19. Juni 2023, 21:23 Uhr

Es kommt immer häufiger vor, dass Netze die wachsende Menge an Wind- und Sonnenstrom nicht abtransportieren können und die Ökostromanlagen deswegen abgeschaltet werden müssen. Die Netzbetreiber wollen deswegen in den Netzausbau investieren.

Es passiert an Tagen wie diesen: Die Sonne scheint, der Wind weht und plötzlich weiß der Netzbetreiber 50Hertz nicht mehr, wohin mit dem Strom. Das Unternehmen betreibt die Überlandleitungen in Ostdeutschland und Hamburg. Um eine Überlast zu verhindern, musste 50Hertz vergangenes Jahr die Produktion von 1.000 Gigawattstunden Ökostrom unterbinden. Sprich: Das Unternehmen ließ Windräder stoppen. Es zahlte dafür 58 Millionen Euro an Entschädigung aus einer Umlage, in die alle Stromkunden einzahlen.

Ist das nun viel? 50Hertz-Sprecher Volker Gustedt formuliert es so: "Das sind bei uns im Netzgebiet etwa 2 Prozent der Stromerzeugung aus Windkraftanlagen, die im Jahresschnitt eben abgeregelt werden müssen und nicht genutzt werden können." Das klinge zwar erst einmal wenig, aber jede Kilowattstunde nicht erzeugter Energie sei eine verschwendete Kilowattstunde und das wolle 50Hertz ändern.

Ändern will das auch Mitnetz. Das Unternehmen betreibt in weiten Teilen Ostdeutschlands jene Leitungen, die den Strom in Gemeinden und Haushalte bringen. Die kaufmännische Geschäftsführerin Christine Janssen erzählt, Mitnetz habe vergangenes Jahr 3.200 von 75.000 Ökostromanlagen zeitweise stoppen müssen.

Um das zu reduzieren, investiere man: "Wir nehmen dieses Jahr 343 Millionen Euro in die Hand, um das Netz zu verstärken. Das meint Umspannwerke mit ihren Transformatoren. Das meint größere Leitungsquerschnitte und das meint auch gänzlich neue Trassen", erzählt Janssen.

Akzeptanzproblem durch stillstehende Windräder

Doch so sehr sich die Unternehmen um den Netzausbau bemühen, Wind- und Solaranlagen sind schneller installiert. Zwangsweise Abschaltungen ärgern auch Wolfram Axthelm, Chef des Bundesverbands Windenergie, obwohl seine Branche entschädigt wird, wenn Windräder gestoppt werden.

Für die Bürger sei nichts schlimmer, als morgens bei pfeifendem Wind vor die Tür zu treten und zu sehen, dass die Windräder still stünden, sagt Axthelm. Der Bundesverband Windenergie wolle das nicht zulassen: "Das ist ein Akzeptanzproblem und das wollen wir nicht zulassen. Deswegen ist unser Petitum seit mehreren Jahren schon, die Bundesregierung aufzufordern, die Nutzung von Windstrom auch dann zuzulassen, wenn wir ihn im Netz gerade nicht unterbringen können."

Überschuss nutzbar machen

Doch wie soll das funktionieren? Der Überschuss müsste in der Region möglichst spontan verbraucht werden. Elektrolyseure wären geeignet, die mithilfe von Windstrom grünen Wasserstoff erzeugen. Doch Elektrolyseure sind rar.

Eine schnelle Lösung wollen die Stadtwerke Erfurt testen. Sie bauen eine sogenannte Power-to-Heat-Anlage, die aus überschüssigem Strom Fernwärme für die Stadt macht. Kay Eberhardt von den Stadtwerken erklärt, wie es funktioniert: "Im Prinzip ist das so, dass dort Elektroden in ein Wasserbad getaucht werden und die Eintauchtiefe bestimmt, wie viel Leistung aus dem Strom in Wärme umgewandelt wird. Das kann man ein bisschen vergleichen mit dem Tauchsieder im privaten Bereich: Dort wird ein elektrisches Gerät in ein Wasserbad geführt und das Wasser wird dann erhitzt."

Die Stadtwerke investieren dafür acht Millionen Euro. Das Geld gibt es allerdings wieder vom Netzbetreiber 50Hertz zurück. Denn das Unternehmen hat nachgerechnet, dass es günstiger ist, die Nutzung des überschüssigen Stroms zu unterstützen, anstatt immer wieder Windräder anzuhalten und dafür eine Entschädigung zu bezahlen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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