Klinik-Insolvenzen Mehr Krankenhaus-Pleiten 2024 befürchtet
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06. Januar 2024, 21:37 Uhr
Schon vor einem Jahr war vor Klinik-Insolvenzen in Deutschland gewarnt worden. Mit Beginn des neuen Jahres wiederholt sich das. Tatsächlich hat es 2023 mehr Insolvenzen gegeben, was nun wie ein Vorspiel wirkt. Dabei lässt eine rettende Krankenhausreform auf sich warten und Gesundheitsminister Lauterbach wird vorgeworfen, "kalten Strukturwandel" zu fördern.
- DKG schlägt Alarm: Mehr Insolvenzen 2024 befürchtet
- Unsicherheit über die Krankenhausreform von Lauterbach
- Die Lage in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und Thüringen
Kurz vor dem Jahresende hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine düstere Prognose abgegeben: Bis zu 80 Klinik-Insolvenzen sagte der DKG-Vorsitzende Gerald Gaß für 2024 voraus – doppelt so viele wie 2023.
Von einem neuen "Rekordjahr" war da die Rede, wobei auch 2023 schon als eines gelten kann. Laut einer MDR AKTUELL vorliegenden Auflistung der DKG waren 2023 bundesweit 33 Insolvenzverfahren im Gang oder abgeschlossen, vier davon allerdings schon 2022 beantragt worden. Für sechs Standorte im Regiomed-Klinikverbund in Thüringen und Bayern kamen Anfang 2024 nun noch weitere Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung hinzu.
Die meisten sind sogenannte Schutzschirm- und Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung, nur vier davon Regelinsolvenzen. Zudem waren oder sind lediglich vier der laut DKG-Liste 38 insolventen Kliniken bundesweit in privater Hand, acht in öffentlicher und 26 in frei-gemeinnütziger Trägerschaft.
Wirtschaftliche Notlagen verschärft
Doch auch den noch ohne Gläubigerschutz laufenden Krankenhäusern geht es meist nicht gut. Lange Wartezeiten auf bestimmte Operationen und deren Verschiebung sind an den Kliniken inzwischen durchaus Alltag geworden.
Grund dafür ist auch die deutlich verschlechterte wirtschaftliche Lage der Kliniken, bei anhaltendem Personalmangel besonders in der Krankenhaus-Pflege, also vor allem im stationären Bereich. Düstere Daten dazu liefert das Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI).
Nach dessen Befragungsergebnissen dürfte der Anteil der Häuser mit negativer Jahresbilanz von 54 Prozent 2022 auf 78 Prozent 2023 gestiegen sein. Und kaum besser sind die Erwartungen für 2024: Unter mittelgroßen Häusern mit 300 bis 599 Betten rechneten 76 Prozent mit einer weiteren Verschlechterung, nur ein Prozent mit Verbesserung. Die übrigen waren laut DKI in dieser Frage noch unschlüssig. Doch auch in der Größenklasse ab 600 Betten rechneten 75 Prozent der Häuser mit weiterer Verschlechterung.
Die Gründe für die Misere sind vielfältig: Genannt wurden vor allem Preissteigerungen seit 2022 für Energie, medizinischen Bedarf und höhere Lohnkosten, wobei nur 16 Prozent der vom DKI befragten Krankenhäuser die Hilfen des Bundes über den Härtefallfonds und die inzwischen beendeten Preisbremsen für Gas, Fernwärme und Strom als hilfreich bewerteten.
Lauterbach soll helfen – tut es aber nicht
Helfen soll die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angestrebte große Krankenhausreform. Die aber lässt auf sich warten und ist zwischen dem Bund und den Ländern, die sich ihre Krankenhausplanung nur sehr ungern aus der Hand nehmen lassen, weiter umstritten.
Im Sommer 2023 hatten sich beide Seiten zwar auf ein Eckpunktepapier geeinigt. Auch wurde bei einem weiteren Bund-Länder-Treffen im November vereinbart, im Januar dieses Jahres einen Referentenentwurf für die Reform anzugehen. Davon aber war bis zuletzt noch nicht viel mehr zu hören.
Bisher geplant ist neben einer weitgehenden Abkehr von den bisherigen Fallpauschalen und der Einführung von Pauschalen für das Vorhalten von klassifizierten Leistungen der Kliniken auch ihre Einteilung in verschiedene "Level" – je nach Angeboten, wobei nicht mehr alle alles machen sollen.
Die Reform soll nach bisheriger Planung dieses Jahr in Kraft treten. Die konkrete Umsetzung vor Ort würde erst dann anlaufen, wobei aber viele der Details weiter umstritten sind. Denn gerade die geplanten "Level" könnten die bisherigen Krankenhausplanungen der Länder natürlich obsolet machen.
Reform-Vorschaltgesetz nicht in Sicht
Weil sich die Reform jedoch hinzog, hatte DKG-Chef Gerald Gaß bereits im März 2023 mit dem Verweis auf "wegen des fehlenden Inflationsausgleichs" aufgelaufene Defizite der Krankenhäuser gewarnt, dass viele von ihnen "die politische Therapie des Abwartens nicht überleben" werden. Er forderte ein Vorschaltgesetz zu der Reform, um mit finanziellen Sicherungen für Kliniken zu verhindern, dass Insolvenzen vorher zu Versorgungslücken führen.
Es werden mit und ohne Reform Kliniken sterben, weil wir zu viele haben.
Der Forderung haben sich alle Krankenhausgesellschaften der Länder angeschlossen, um "kalten Strukturwandel" zu vermeiden. Auch CDU, CSU und die Linke im Bundestag forderten ein Vorschaltgesetz. An Lauterbach aber prallte das bisher ab: Am Tag der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers sagte er im Deutschlandfunk, man könne nicht "immer weiter große Summen in das System bringen". Kliniken werden sterben, "weil wir zu viele haben".
Dabei scheint Ostdeutschland bisher weniger stark betroffen zu sein. Im vergangenen Jahr gab es Insolvenzen an nur vier Standorten, was Experten auch damit begründen, dass der Osten seinen Klinik-Strukturwandel schon hatte. Daher wird auch erwartet, dass die Reform zu weniger Schließungen führen könnte. Doch was tatsächlich passiert, bleibt abzuwarten.
Die Lage in Sachsen
Nach Angaben der Krankenhausgesellschaft in Sachsen (KGS) gab es zu Jahresbeginn weiterhin 76 Krankenhäuser an 117 Standorten mit etwa 26.000 Betten. Wie Pressesprecherin Melissa Rößler auf Anfrage von MDR AKTUELL sagte, ist 2022 kein Krankenhaus im Land geschlossen worden.
2023 wurde allerdings der Krankenhausbetrieb der Paracelsus-Klinik in Reichenbach im Vogtland eingestellt, nach einem Regelinsolvenzverfahren für die private GmbH, im Juli 2022 beantragt und im März 2023 abgeschlossen. Das kleine Krankenhaus hatte 250 Arbeitsplätze und 182 Betten.
Zudem wurden nach KGS-Angaben die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Klinken Erlabrunn GmbH per Ende 2023 geschlossen, die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der HELIOS-Klinik in Schkeuditz am 8. Dezember vorerst eingestellt, während sich in Dippoldiswalde das Krankenhaus momentan in einer Umstrukturierung befinde.
Nach MDR-Informationen wurde am 1. November 2023 aber auch die Entbindungsstation der Muldentalklinik in Grimma geschlossen. Nachwuchs für Grimma solle jetzt am Standort in Wurzen zur Welt kommen.
Angesprochen auf die finanzielle Lage der Kliniken in Sachsen sagte KGS-Sprecherin Rößler, ohne Übergangsfinanzierung vom Bund könne auch hier das Risiko von Insolvenzen steigen. Anfang des Jahres gebe es wegen der ausstehenden Reform weiterhin Unklarheit über die künftige Krankenhaus-Finanzierung. Seit 1. Januar gelte zwar der neue Krankenhausplan des Landes. Dieser sei im wesentlichen aber nur eine Fortschreibung des bisherigen.
Mit dem Blick auf das Reformvorhaben ihres SPD-Parteifreunds Lauterbach hatte Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping noch Ende September versichert, an allen Kliniken im Land festhalten zu wollen.
"Wir wollen vorhandene, bewährte Strukturen in das neue System überführen", sagte Köpping. Laut KGS-Geschäftsführer Friedrich München haben die Standorte in Sachsen trotzdem Reformbedarf. Fachbereiche seien auf den Prüfstand zu stellen und möglicherweise zu konzentrieren.
München zufolge machen Inflation und Tariferhöhungen auch sächsischen Krankenhäusern zu schaffen. Er hatte den Anstieg der Betriebskosten 2024 für sie im September 2023 auf 200 bis 300 Millionen Euro beziffert.
Die Lage in Sachsen-Anhalt
Sachsen-Anhalt geht mit etwa 70 Krankenhäusern ins neue Jahr. Das im September 2023 beantragte Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung für die Lungenklinik in Ballenstedt mit 106 Betten war Anfang 2024 noch im Gang. Betroffen waren hier 149 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Im Norden des Landes, im Landkreis Stendal, wird unterdessen drei Jahre nach der Schließung des Krankenhauses in Havelberg weiter auf den Start eines Medizinischen Versorgungszentrums gewartet. Nach den Angaben der landeseigenen Salus gGmbH als mögliche Betreiberin ist das Vorhaben im November 2023 auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Nach einer Krankenhausreform könnte das Universitäts-Klinikum in Magdeburg auch Schlaganfall-Patienten aus der Altmark helfen, um eine mögliche Versorgungslücke zu schließen. Mobile Facharzt-Teams könnten samt Ausrüstung in den Norden fahren oder fliegen, um schneller und effektiver zu sein als Patienten-Transporte über weite Strecken.
Die im Land zuständige Ministerin Petra Grimm-Benne (SPD) begrüßte die Krankenhausreform-Pläne, während sich die Krankenhausgesellschaft eher enttäuscht zeigte. Geschäftsführer Gösta Heelemann sah viele offene Fragen. In Sachsen-Anhalt klaffe eine Investitionslücke von etwa 1,5 Milliarden Euro, die in vergangenen Jahren eigentlich das Land hätte schließen müssen.
Dazu kommen ab Frühjahr mögliche Streiks im Saale-Krankenhaus in Calbe. Die Geschäftsführung hatte im Dezember die geplante dritte Runde der Tarifverhandlungen abgesagt, weshalb Verdi nun Streiks plante.
Unterdessen hat das Städtische Klinikum in Magdeburg seinen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft zum Ende des Jahres gekündigt. Grund könnten zu viele Streiks gewesen sein. Auch muss die Klinik ein Millionendefizit ausgleichen und könnte mit einem neuen Haustarifvertrag günstiger wegkommen.
Zwar bekamen die Kliniken im Land mehr als 45 Millionen Euro vom Bund, um gestiegene Energiekosten auszugleichen. Laut Krankenhausgesellschaft reicht das aber bei weitem nicht aus, um die Löcher zu stopfen.
Einen weiteren Rettungsschirm des Landes, wie ihn die Krankenhäuser gefordert hatten, lehnte das Gesundheitsministerium in Magdeburg allerdings ab. Stattdessen setzt das Land nun auf die geplante Krankenhausreform.
Die Lage in Thüringen
In Thüringen gab es Anfang 2024 mehr als 50 Krankenhäuser, wobei drei Standorte von den bundesweit ersten Insolvenzen in diesem Jahr betroffen sind. Der Klinikverbund Regiomed hatte am 2. Januar die Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung beantragt, da Coburg in Bayern, wo sich das mit 1.170 Leuten und mehr als 600 Betten größte Regiomed-Klinikum befindet, die Sanierungspläne der Kreise in Bayern und Thüringen abgelehnt hatte.
In Thüringen betroffen sind die Krankenhäuser in Hildburghausen mit 252 Beschäftigten und 129 Betten sowie in Sonneberg und Neuhaus am Rennweg mit zusammen 570 Beschäftigten und 305 Betten. Regiomed-Gesellschafter in Thüringen sind die Landkreise Sonneberg und Hildburghausen.
Wegen der Krankenhausreform sollen auch die Thüringer Krankenhäuser stärker zusammenarbeiten, wobei Gesundheitsministerin Heike Werner von der Linken auch hier zunächst mal erklärt hatte, dass es keine Krankenhaus-Schließungen im Land geben solle.
Rainer Poniewaß, Chef der Thüringer Krankenhausgesellschaft, warnte indes schon im Sommer 2023 vor möglichen Insolvenzen und forderte Investitionen. Und wie viele Kollegen und Kolleginnen argwöhnte auch er, es könne "Kalkül der Politik" sein, "die Reform mit weniger Krankenhäusern zu starten".
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 06. Januar 2024 | 10:30 Uhr
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