Reaktionen auf Europawahl 2024 Bundesregierung weist Rufe nach Neuwahl zurück
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11. Juni 2024, 13:56 Uhr
Die Bundesregierung hat nach der Europawahl Forderungen nach einer Neuwahl zurückgewiesen. Politiker der Union hatten nach den herben Verlusten der Ampelparteien bei der Europawahl vorgezogene Neuwahlen gefordert. CSU-Chef Markus Söder sagte, die Ampel habe in der Bevölkerung kein Vertrauen mehr.
Die Bundesregierung ist Spekulationen und Aufforderungen zu einer vorgezogenen Neuwahl wegen der Einbußen der Koalitionsparteien bei der Europawahl entgegengetreten. "Der Wahltermin ist im Herbst nächsten Jahres regulär, und das planen wir auch so umzusetzen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin. Es habe sich "zu keinem Zeitpunkt, keine Sekunde die Idee Bahn gebrochen, dass man in Deutschland Neuwahlen jetzt anfangen könne."
Die Ampel-Koalition sei ein Projekt, das auf vier Jahre angelegt sei. "Am Ende der vier Jahre wird abgerechnet. Da hat der Wähler wieder das Wort, und so ist die Politik auch gestaltet", sagte Hebestreit. Er hob hervor, dass die Regierung angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine oder beim Umbau der Wirtschaft für mehr Klimaschutz eine Menge Dinge angepackt habe. Das sorge für Unruhe. "Diese Regierung bemüht sich nach Kräften, die wichtigen Entscheidungen, die anstehen, auch umzusetzen." Dabei bleibe es auch nach einem Europawahl-Ergebnis, das für alle drei Parteien der Koalition nicht ersprießlich gewesen sei.
Scholz fordert Ampel-Parteien zur Zusammenarbeit auf
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die drei Ampel-Parteien nach der Europawahl zur Zusammenarbeit aufgerufen. "Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht", sagte Scholz am Montag in Berlin. "Keiner ist gut beraten, der jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen will." Ziel für SPD, Grüne und FDP müsse es aber sein, Ergebnisse zu erzielen, um die Zustimmung zur Arbeit der "Ampel" vor der nächsten Bundestagswahl zu erhöhen.
Es gehe darum, "dass wir unsere Arbeit machen, dafür zu sorgen, dass unser Land modern wird, dass es vorankommt", sagte Scholz bei einer Pressekonferenz. "Das muss jetzt für alle der Maßstab sein, sich anzustrengen und die Aufgaben zu lösen, vor denen wir stehen." Der Kanzler zeigte sich zugleich besorgt über die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Deutschland und in anderen Ländern. "Daran darf man sich niemals gewöhnen", sagte er. "Es muss immer der Auftrag sein, sie wieder zurückzudrängen." Scholz betonte, es gebe trotz des Schubs für Kräfte am rechten Rand eine "klare Mehrheit in Europa für Parteien, die sich ganz klassisch für Demokratie und Rechtsstaat einsetzen."
Forderungen nach Neuwahl des Bundestags
Nach größeren Einbußen vor allem der SPD und der mitregierenden Grünen waren unter anderem aus der Union Forderungen nach einer Vertrauensfrage von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Parlament und einer Neuwahl des Bundestags laut geworden.
CSU-Chef Markus Söder hat angesichts der starken Verluste der Ampel-Parteien bei der Europawahl eine vorgezogene Neuwahl des Bundestags gefordert. "Diese Regierung ist im Grunde genommen fertig. Und es muss jetzt ähnlich wie in Frankreich sein: Da hat es Neuwahlforderungen gegeben, da gibt es Neuwahlen durch Macron", sagte Söder am Montagmorgen dem Sender n-tv. Die Ampel habe kein Vertrauen mehr in der Bevölkerung.
Merz macht Ampel für Erstarken von Extremisten verantwortlich
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat die Ampel-Koalition für das Erstarken der Parteien an den politischen Rändern verantwortlich gemacht. Das Ergebnis der Europawahlen sei "eine unmittelbare Reaktion auf die gegenwärtige Politik der Ampel", sagte Merz. Es sei nun "erst einmal Aufgabe der Koalition, die Politik zu ändern." Das Erstarken der AfD sei aber auch für die Union eine "Herausforderung", sagte Merz. Dass die AfD in den ostdeutschen Ländern bei der EU-Wahl stärkste Kraft wurde, sei "nicht zufriedenstellend". Er sei aber zuversichtlich, dass die CDU bei den drei ostdeutsche Landtagswahlen im September stärkste Partei werden könne.
Der Forderung von CSU-Chef Markus Söder nach raschen Neuwahlen im Bund wollte sich Merz nicht anschließen: "Ich schließe das ausdrücklich nicht aus auch für das Jahr 2024, aber das ist eine Entscheidung des Bundeskanzlers." Klar sei jedoch, dass die Koalition die Unterstützung einer Mehrheit der Bevölkerung verloren habe. Das Wahlergebnis vom Sonntag sei "auch eine Abrechnung mit der Bundesregierung". Eine Vorentscheidung über die Frage der Kanzlerkandidatur in der Union zu seinen Gunsten wollte Merz in dem Ergebnis bei der Europawahl nicht sehen.
Christian Lindner stellt sich hinter Scholz
FDP-Chef Christian Lindner stärkte Bundeskanzler Olaf Scholz den Rücken. Es bestünden keinerlei Zweifel an dessen Führungsfähigkeit, sagte er. "Warum sollte sich daran etwas geändert haben? Wir haben ein gemeinsames Regierungsprogramm, einen Koalitionsvertrag, an dem wir gemeinsam arbeiten. Und solange sich alle zu der Arbeitsgrundlage bekennen, gibt es ja keinen Grund, Vertrauen infrage zu stellen", so Lindner. Die Ampelkoalition müsse das "Signal dieser Europawahl" aber durchaus ernst nehmen.
Ihr schlechtes Abschneiden bei der Europawahl ist auch für die Grünen kein Anlass, die Ampel-Koalition infrage zu stellen. "Es braucht keine Vertrauensfrage", sagte der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour am Montag in Berlin auf eine Frage nach dem Rückhalt für die Koalition und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Man habe mit SPD und FDP einen Vertrag für vier Jahre geschlossen, an dem man festhalten werde. Mit Blick auf den Stimmenzuwachs der AfD, sei es wichtig, jetzt Lösungen anzubieten, erklärte Nouripour. Das gelte besonders für die laufenden Verhandlungen über den Haushalt für 2025. Die Schlussfolgerung aus der Europawahl dürfe nicht sein, dass die Ampel-Partner Streit öffentlich austrügen.
Ampel-Parteien wollen ihr Profil schärfen
Die Ampel-Parteien haben unterdessen angekündigt, ihr jeweiliges politisches Profil schärfen zu wollen – zielen dabei aber in unterschiedliche Richtungen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert machte am Montag auch die Politik der "Ampel" für die Schlappe seiner Partei verantwortlich; einen "Sparhaushalt auf Kosten des sozialen Zusammenhalts" werde es mit der SPD nicht geben.
FDP-Chef Christian Lindner warnte hingegen vor einer kostspieligen Politik der Umverteilung. Grünen-Chefin Ricarda Lang forderte mehr Klimaschutz. "Das Ergebnis hat was mit der Ampel zu tun, daran kommt niemand vorbei", sagte Kühnert am Morgen dem Sender Welt TV. Die SPD setze zwar im Prinzip auf die richtigen Themen, aber "wegen der Ampel" hätten sich dann doch viele gegen die SPD entschieden. Die SPD müsse sich wieder klarer profilieren. "Eine Partei muss auch immer gucken, ab wann es sie irgendwann in einen Strudel reinzieht, aus dem man schwerlich nur noch rauskommt."
Ihre Forderung nach einer Lockerung der Schuldenbremse kann die SPD in der Koalition nicht gegen die FDP durchsetzen; die finanziellen Spielräume bei der aktuellen Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 sind auch deshalb sehr eng. Auf die Frage, ob die Koalition am Haushaltsstreit zerbrechen könnte, sagte Kühnert nach einer Sitzung der Parteigremien: "Das ist eine hypothetische Frage, die ich hier nicht beantworten kann."
AFP, dpa (nvm)
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 10. Juni 2024 | 14:00 Uhr