Ein Taschenrechner liegt neben Bargeld auf ausgedruckten Tabellen.
Dass Ostrenten höher seien als Westrenten, davon ist immer wieder mal die Rede. Doch die Statistik sieht anders aus! Bildrechte: Colourbox.de

Rentenpolitik Das Märchen vom reichen Ost-Rentner

31. Mai 2021, 17:32 Uhr

Bis zu 234 Euro sollen Ostrentner im Schnitt mehr bekommen, titelte am Samstag die BILD. MDR-Wirtschaftsredakteur Frank Frenzel erklärt, warum der Vergleich hinkt und wie viel mehr Westrentner wirklich bekommen.

Die Schlagzeile war unübersehbar: ganz oben auf Seite 1, in großen Lettern: "Ost-Rente bis zu 234 Euro höher als West-Rente", titelte die Bild-Zeitung am Samstag und verweist auf neue Zahlen der Rentenversicherung. Einmal mehr strapaziert das Boulevardblatt das Märchen vom reichen Ostrentner.

Doch was BILD verschweigt: Beim Rentenvergleich Ost/West werden Äpfel mit Birnen verglichen. Das sollte BILD mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eigentlich wissen.

Was schreibt BILD konkret?

Das Blatt beruft sich auf eine neue Auswertung der Rentenversicherung, wonach in Sachsen im Durchschnitt 1.301 Euro/Monat ausgezahlt werden, gefolgt von weiteren ostdeutschen Bundesländern wie Brandenburg 1.293 Euro, Sachsen-Anhalt 1.284 Euro, Thüringen 1.278 Euro, Mecklenburg-Vorpommern 1.255 Euro und Berlin 1.184 Euro. Mit 1.145 Euro/Monat folgt dann auf Platz 6 das erste westdeutsche Bundesland, nämlich Baden-Württemberg.

Es folgen alle anderen West-Bundesländer, Schlusslicht ist Rheinland-Pfalz, wo Rentner laut Statistik 1.067 Euro im Monat beziehen. Die Differenz zwischen Sachsen und Rheinland-Pfalz beträgt 234 Euro. Als Begründung für die hohen Renten im Osten gibt Bild die hohe Erwerbsquote von Frauen in der DDR an, was zweifellos stimmt und – speziell in Sachsen – die hohe Zahl von vielen Industriejobs zu DDR-Zeiten. 

Lügt BILD?

Ein klares Nein! BILD lügt nicht, die Statistik ist korrekt. Auf Nachfrage erklärt die Deutsche Rentenversicherung, dass die Zahlen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP im Bundestag stammen. Die dabei verwendete Statistik stammt wiederum von der Deutschen Rentenversicherung.

Interessant dabei ist, dass es sich bei den Zahlen um die Nettozahlbeträge von Frauen und Männern handelt, so dass aufgrund der höheren Frauenrenten im Osten die fünf neuen Länder und Berlin auf den vorderen Plätzen landen mussten. Was aber BILD verschweigt ist, dass die Renten in Ost und West nicht miteinander vergleichbar sind. Eigentlich hätte BILD auch schreiben können "Ost-Äpfel sind größer als West-Birnen" oder – um es noch klarer auszudrücken – "Ost-Pflaumen sind größer als Westkirschen".

Rente in der DDR – alle zahlten ein

Anders als in der "alten" Bundesrepublik und heute im vereinten Deutschland waren in der DDR alle Erwerbstätigen gesetzliche rentenversichert. Jeder zahlte in die Rentenversicherung ein. Es gab keine Beamten, die im Alter Pensionen bezogen und deren Altersversorgung aus einem völlig anderen Topf stammt.

Auch Selbständige, Unternehmer oder Freiberufler, wie Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte oder Architekten konnten in der DDR nicht in andere Versorgungssysteme "flüchten", so wie das heute für diese meist gutverdienenden Berufsgruppen möglich ist, die in berufsständische Versorgungswerken für ihr Alter ansparen können. All diese Berufsgruppen – die auch in der DDR nicht zu den Geringverdienern gehörten – waren in der DDR rentenpflichtversichert und beziehen heute relativ gute Renten. Sie heben also den Ost-Durchschnitt an.

Im Westen dagegen sind diese Berufsgruppen gar nicht in der Rentenstatistik enthalten, weil sie ja eben nicht zum gesetzlichen Rentensystem gehören. So erhalten Beamte eine Pension und viele Freiberufler Renten aus den berufsständischen Versorgungswerken. 9% der Westsenioren waren früher Beamte und beziehen heute eine Pension von im Schnitt 2.897 Euro brutto im Monat. In die Rentenstatistik geht dieser Wert jedoch nicht ein. Auch die Durchschnittsrente aus den berufsständischen Versorgungswerken – im Westen 2.162 Euro  im Monat – ist höher als der Durchschnitt der gesetzlichen Rente.

Zusatzrenten – im Osten in der Statistik,  im Westen nicht

Ein weiteres Problem des Äpfel-Birnen-Vergleichs der Renten ist die Einbeziehung der DDR-Zusatzrenten in die gesetzliche Rentenstatistik. Alle in der ehemaligen DDR erworbenen Zusatzrentenansprüche sind nämlich heute Teil der gesetzlichen Rente. Das betrifft die Zusatzrenten des Staatsapparates, die sogenannte Intelligenzrente aber auch Systeme wie die Freiwillige Zusatzrente FZR oder anders gesagt – die Zusatzrenten gibt es nicht zusätzlich zur gesetzlichen Rente, sie stecken bereits drin.

 Was das bedeutet, lässt sich am besten am Beispiel von angestellten Lehrern verdeutlichen. Ein angestellter Lehrer bekommt im Westen eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine Zusatzrente VBL, das ist die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder. Für die offizielle Rentenstatistik zählt aber nur die Höhe der gesetzlichen Rente, die Zusatzrente (VBL) bleibt unberücksichtigt.

Auch in der DDR hatten Lehrer eine Zusatzversicherung. Diese ist heute Teil der gesetzlichen Rente und fließt somit in die Statistik ein. Übrigens: 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es natürlich auch im Osten eine Zusatzrente für den öffentlichen Dienst, die nur für Beschäftigungszeiten im vereinten Deutschland gilt. Hier beziehen Ost-Senioren im Durchschnitt 180 Euro brutto im Monat. Im Westen sind es 396 Euro, also mehr als das Doppelte. Beide Werte gehen nicht in die Statistik ein.

Reiche Westsenioren drücken Rentendurchschnitt West

Kaum zu glauben, aber ausgerechnet die Renten gutsituierter Westsenioren lassen die Renten-Durchschnittswerte im Westen sinken. Um das zu verstehen, müssen wir uns in die Tiefen der Rentenstatistik begeben, die übrigens auch für BILD zugänglich ist. Danach haben zum Stichtag 31.12.2019 (aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor), in den alten Bundesländern 1.650.996 Männer eine gesetzliche Rente von unter 600 Euro im Monat bezogen. Das sind sage und schreibe 22,8% aller Männer, die eine gesetzliche Rente beziehen, also jeder fünfte Mann. In den neuen Bundesländern sind es nur 6%.

Sind also Westmänner massiv von Altersarmut betroffen? Bei nur 600 Euro Rente im Monat müsste Vater Staat mit der Grundsicherung zur Hilfe eilen. Aber davon kann seine Rede. Offiziell beziehen auch nur ca. 2,4% aller Senioren in Deutschland eine Grundsicherung. Wie also ist diese hohe Zahl von Männern mit Minirenten zu erklären? Ganz einfach: Viele Berufstätige, die sich später als Beamte, Selbständige oder Freiberufler aus der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung verabschieden, sind am Anfang ihres Berufslebens noch gesetzlich rentenversichert. Mitunter sind es nur wenige Jahre. Die Rentenansprüche dafür verfallen aber nicht. Sobald das gesetzliche Rentenalter erreicht ist, haben diese Senioren Anspruch auf diese nur geringen Rentenansprüche. Die Folge sind dann Minirenten von wenigen hundert Euro. Und diese Renten fließen in die offizielle Statistik.Tatsächlich aber haben diese meist gutverdienenden Berufsgruppen sehr hohe Alterseinkünfte – aber eben nicht aus der gesetzlichen Rente. Und diese hohen Alterseinkünfte gehen dann nicht die Statistik ein. Bei Beamten werden die Mini-Renten mit der Pension verrechnet, bei Selbständigen und Freiberuflern gibt es die Beträge extra zu ihrer privat angesparten Rente. Diese Minirenten drücken damit den Durchschnittswert im Westen.

Statistik richtig lesen

Die Rentenhöhen in Ost und West sind als nicht miteinander vergleichbar und schon gar nicht sagen die Zahlen der BILD etwas über den tatsächlichen Wohlstand von Senioren aus. In den neuen Bundesländern bestehen alle Alterseinkünfte zu 94% allein aus der gesetzlichen Rente. In den alten Ländern sind es nur 68%. Das heißt, knapp ein Drittel entfällt auf andere Zahlungen. Das betrifft die Beamtenversorgung (Pensionen), die im Westen zu 18% zur Absicherung des Alters beiträgt – im Osten nur zu 3%. Das betrifft die betriebliche Altersversorgung, wo die im Westen mit 11% mehr zum Lebensstandard beiträgt als im Osten (3%). Und es betrifft auch die private Vorsorge.

Was aber heißt das unterm Strich? Wie viel haben denn nun die Rentnerhaushalte in Ost und West tatsächlich zum Leben? Bei Ehepaaren sind es im Monat: 2.989 Euro im Westen und 2.577 Euro im Osten.Bei alleinstehenden Frauen 1617 Euro im Westen und 1567 Euro im Osten. Bei alleinstehenden Männern 1.875 Euro im Westen und 1.563 Euro im Osten.

Die Nettoeinkommen der Senioren sind im Westen also höher. Die Zahlen stehen im aktuellen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung. Sie sind leicht zu finden – auch für BILD.

Man muss es nur wollen!   

Quelle: Umschau

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 19. Januar 2021 | 20:15 Uhr

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