Studie zur Pressefreiheit Fast 100 Angriffe auf Journalisten in Deutschland im vergangenen Jahr
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14. April 2025, 22:27 Uhr
Die Zahl der tätlichen Übergriffe auf Journalisten in Deutschland hat 2024 einer Studie zufolge einen neuen Rekordwert erreicht. Besonders Lokaljournalisten sind von Bedrohungen betroffen – bei der Entwicklung spielt auch die AfD eine Rolle.
- Angriffe auf Journalisten durch die extreme Rechte sind die größte strukturelle Bedrohung für die Pressefreiheit. Bedrohungen auch durch AfD-Politiker.
- Bedrohungen gehören laut Studie zum Alltag von Lokaljournalisten in Sachsen und Thüringen.
- Viele Angriffe in Berlin und auf Pro-Palästina-Demos.
Die Zahl der körperlichen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten ist in Deutschland auf einen neuen Höchststand gestiegen. 2024 hat es laut der Studie "Feindbild Journalist:In" insgesamt 98 verifizierte, tätliche Übergriffe gegeben – von Schubsen über Schlagen und Treten bis hin zum Angriff mit Fahnenstangen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
Größte strukturelle Bedrohung für die Pressefreiheit: Rechtsextremismus
Die extreme Rechte stellt strukturell weiterhin die größte Bedrohung für die Pressefreiheit in Deutschland dar, schreiben die Autoren. Ein Grund: die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD). Im vergangenen Jahr erzielte die AfD bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen neue Rekordergebnisse – in Sachsen und Thüringen holten sie jeweils mehr als 30 Prozent. In beiden Ländern wird die Partei vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft.
"Die Wahlergebnisse des vergangenen Jahres zeigen einmal mehr, dass die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer Positionen gewählt wird", sagt der Co-Autor der Langzeitstudie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig, Patrick Peltz. Die Erfolge der AfD mobilisierten die extremen Rechten außerhalb der Politik. So komme es neben tätlichen Angriffen am Rand von extrem rechten Kundgebungen auch zu Beleidigungen und Diffamierungen im Internet sowie Bedrohungen.
Lokaljournalistin berichtet von Bedrohung durch AfD-Politiker
Insbesondere bei Lokaljournalisten können Bedrohungen bis ins Private gehen. "Wir haben eine Kollegin, bei der stand mit Kreide 'Neun Millimeter' an der Haustür", sagte die Regionalleiterin der "Freien Presse" für Mittelsachsen, Grit Baldauf, MDR AKTUELL. Es seien auch bereits rohe Eier oder Hundekot dort rangeschmiert worden.
Baldauf ist auch bereits persönlich bedroht worden. Ein ehemaliger AfD-Stadtrat hatte im sozialen Netzwerk Facebook geschrieben, dass er sie auf einer Stadtratssitzung in Freiberg bespucken wolle. "In der Regel sichern wir solche Nachrichten und bringen sie, wenn sie aus unserer Sicht einen Tatbestand erfüllen, auch zur Anzeige", sagt die Journalistin. Das Verfahren dazu läuft.
Bedrohungen sind Alltag von Lokaljournalisten in Sachsen und Thüringen
Solche und ähnliche Bedrohungen in sozialen Netzwerken sowie psychologischer Druck gehören zum Alltag von Lokaljournalisten. Das ist das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten, weiteren ECPMF-Untersuchung. Demnach erlebten Medienschaffende in Sachsen und Thüringen besonders bei Veranstaltungen zunehmend Feindseligkeiten bis hin zu körperlicher Gewalt.
Das Ergebnis der Studie "Lokaljournalismus unter Druck", die das Sicherheitsempfinden und die Bedrohungserfahrungen von Medienschaffenden in Sachsen und Thüringen durch Befragungen untersucht hat, zeigt, "dass sowohl Mandatsträger als auch außerparlamentarische Akteure offen medienfeindlich auftreten". Das Klima gegenüber der Presse habe sich verschärft.
"Besonders herausfordernd ist dann speziell für LokaljournalistInnen die Nähe zu diesen AkteurInnen, die sich nicht nur auf das berufliche Umfeld beschränkt, sondern auch ins Private reicht", sagt Co-Autor Peltz. Lokaljournalisten lebten häufig in den Orten, über die sie berichten. "Eine klare Trennung zwischen Berufs- und Privatleben ist dann kaum möglich – und genau das macht sie besonders vulnerabel."
Personalmangel, hohe Arbeitsbelastung und knappe finanzielle Ressourcen
"Lokaljournalisten werden inzwischen verantwortlich gemacht für Dinge, die Menschen nicht mögen", sagt Baldauf, die seit 1989 für die "Freie Presse" tätig ist. "Sie werden als Teil eines Systems betrachtet." Journalisten würden teils für die schlechten Nachrichten, die sie verkünden, verantwortlich gemacht: "Für Missstände, für lange Entscheidungswege in Behörden. Für die Debatte um das Impfen in der Corona-Zeit, für Corona-Regeln bis jetzt zur Migrationspolitik."
Lokaljournalisten werden inzwischen verantwortlich gemacht für Dinge, die Menschen nicht mögen.
Hinzu kämen erschwerende Faktoren für die Lokaljournalisten, heißt es in der Studie: "Personalmangel, hohe Arbeitsbelastung und knappe finanzielle Ressourcen." Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit extremen Rechten vor Ort, die auch noch zu juristischen Auseinandersetzungen oder zu gezielten Einschüchterungen führen könnten, würden deswegen vermieden oder erst gar nicht versucht.
Viele Angriffe in Berlin und auf Pro-Palästina-Demos
Die meisten tätlichen Angriffe auf Medienschaffende ereigneten sich 2024 im Bundeslandvergleich erneut in Berlin (62 Fälle), heißt es in der Studie. Der größte Teil davon erfolgte auf pro-palästinensischen Demonstrationen.
Für besonderes Aufsehen sorgte Anfang 2024 der schwere Angriff auf einen Videojournalisten in Leipzig. Der 22-Jährige war bereits während einer pro-palästinensischen Demonstration mit Greta Thunberg bedrängt worden. Direkt nach der Kundgebung wurden er und sein Begleiter von mehreren Teilnehmenden verfolgt und brutal zusammengeschlagen.
Nach Berlin folgen Sachsen mit zehn und Bayern mit sieben registrierten Fällen. Seit Beginn der langjährigen Untersuchungsreihe im Jahr 2015 war Sachsen stets das Bundesland mit den meisten Angriffen auf Medienschaffende. Seit 2023 ist es Berlin.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 14. April 2025 | 10:35 Uhr
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