Migration Flüchtlingsverbände: Bezahlkarten für Asylbewerber sind diskriminierend
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05. Oktober 2023, 12:26 Uhr
In der Union und auch bei der Bundesregierung werden Stimmen lauter, Asylbewerbern in Deutschland das Bargeld zu streichen. Sie sollen nur noch Sachleistungen oder spezielle Bezahlkarten bekommen. Die Rechnung lautet: Weniger Leistungen = weniger Flüchtlinge. Pro Asyl und Flüchtlingsräte lehnen das ab und erklären, warum es nicht so einfach ist.
Bezahlkarten statt Bargeld sollen Asylbewerber abschrecken
Vertreter der Bundesregierung haben sich dafür ausgesprochen, Asylbewerbern in Deutschland die Leistungen einzuschränken. So sind statt eines Taschengeldes in bar spezielle Bezahlkarten oder verstärkt Sachleistungen im Gespräch. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte, Asylbewerber sollten kein Bargeld mehr bekommen. Wenn der deutsche Staat Leistungen kürze, müsse das auch wehtun. Zudem würde das die Schlepperkriminalität eindämmen. Denn die Schlepper würden oft erst später mit dem Geld bezahlt, das die Asylbewerber in Deutschland erhielten und dann in die Heimat schickten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) rief die Länder auf, diese Vorschläge anzugehen. Die Entscheidung zur Art der Hilfsleistungen liege seit Jahren in der Verantwortung von Ländern und Kommunen. Wenn Asylbewerber kein Bargeld erhalten, so das Kalkül, wäre Deutschland für Geflüchtete weniger attraktiv.
Die Vereine Pro Asyl und der Flüchtlingsrat in Sachsen-Anhalt lehnen den Vorschlag ab und haben verfassungsrechtliche Vorbehalte. Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat sagte MDR AKTUELL, Rückflüsse von Geld in die Heimat der Geflüchteten werde man kaum verhindern können. Meist hätten sich die Familien der Geflüchteten verschuldet, damit Mitglieder es nach Europa schafften und das müsse dann beglichen werden. Bezahlkarten würden daran wenig ändern. Dann würden die mit der Karte erlaubten Dinge im Laden gekauft und für etwas weniger Cash weiterverkauft. Wege, um an Bargeld zu kommen, gebe es immer. Wer solle das kontrollieren?
Leistungen für Asylbewerber
Geflüchtete, die in Deutschland um Schutz und Asyl bitten, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), die Sätze sind niedriger als das Bürgergeld. Davon wird je nach Unterbringungsart nur ein Teil als Bargeld ausgezahlt. In zentralen Aufnahmeeinrichtungen oder Sammelunterkünften sind der Großteil der Hilfe Sachleistungen zur Unterbringung, Ernährung, Heizung, Gesundheitspflege, Kleidung. Vom Regelsatz 410 Euro für einen alleinstehenden Asylantragsteller werden 182 Euro für den Eigenbedarf bar ausgezahlt.
Sachleistungen und Taschengeld verringern sich für Partner, weitere erwachsene Haushaltsangehörige sowie Kinder je nach Alter. In Sammelunterkünften werden zehn Prozent der Leistungen pauschal abgezogen - wegen der effektiveren und preiswerteren Gemeinschaftsunterbringung. Leben Asylantragsteller dezentral in Wohnungen, soll die Hilfe laut Gesetz überwiegend als Geldleistung zur Verfügung gestellt werden.
Pro Asyl kritisiert Entmündigung und Diskriminierung
Pro Asyl bewertet Sachleistungen für Geflüchtete als demütigend und diskriminierend. Referentin Andrea Kothen sagte MDR AKTUELL, in der Praxis bedeute das in den zentralen Aufnahmeeinrichtungen monatelang Fertigessen, das weder dem Geschmack der Geflüchteten entspreche, noch Allergien berücksichtigt. Werde im Supermarkt mit Geldkarten bezahlt, die nur für ein eingeschränktes Sortiment gelten, sei das eine Ungleichbehandlung und Beschränkung individueller Bedürfnisse. Ohne Bargeld könne man oft keine öffentliche Toilette benutzen. Diese Bezahlkarte bedeute, im Alltag eigentlich selbstverständliche Handlungsmöglichkeiten zu verlieren.
Bezahlkarte: Verfassungsrechtlich bedenkliche "Schikane"
Pro Asyl hält zudem einen Stopp frei verfügbarer Bargeldleistungen für verfassungsrechtlich mindestens fragwürdig. Gerichtsurteile legten nahe, dass ein vollständiger Entzug von Bargeld verfassungswidrig wäre. Kothen verweist auf die festgeschriebene Menschenwürde, das Sozialstaatsprinzip und ein Existenzminimum, das auch soziokulturelle Teilhabe umfasse. Zudem gelte im Sozialhilferecht eine sogenannte Dispositionsfreiheit. Demnach soll Bedürftigen ermöglicht werden, ihre Ausgaben an konkrete, gerade wichtige individuelle Bedürfnisse anzupassen.
Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat stellte im Gespräch mit MDR AKTUELL klar, spezielle Geldkarten seien eine diskriminierende "Gängelung und Schikane“. Aus ihrer Sicht haben Asylbewerber ein Anrecht auf eine Girokarte wie andere Menschen auch. Eine Beschränkung der Bezahloptionen mit der Geflüchteten-Geldkarte schränke die Selbstbestimmung ein. Sie räumte ein, das könne etwa bei Glücksspielen positiv sein, sei aber bei Alkohol schon problematisch, wenn man jemanden ein Glas Wein verwehre.
Kosten für elektronische Bezahlkarten fraglich
Als Argument für eine wiederaufladbare Bezahlkarte wird auch die Kostenersparnis für Kommunen genannt. Das Geld müsse dann nicht von Mitarbeitern am Schalter an die Asylbewerber ausgezahlt werden. Doch Pro Asyl hat da Zweifel. Kothen erläutert MDR AKTUELL, die Kosten für eine solche Umstellung auf spezielle Bezahlkarten für Geflüchtete seien noch unklar. Es müssten Produktionsfirmen engagiert, Akzeptanzstellen gefunden und technische Fragen gelöst werden. Profiteure seien dann meist private Dienstleister. Die Städte und Gemeinden zahlten dagegen drauf.
Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat räumt ein, im Idealfall könnten Bezahlkarten auch den Geflüchteten Vorteile bieten. Sie müssten dann nicht immer ihr Bargeld am Schalter abholen, sondern es würde automatisch aufgeladen. Das sei für alle einfacher.
Sachleistungen wären teure Rolle rückwärts
Die Rückkehr zu mehr Sachleistungen für Geflüchtete in Aufnahmeeinrichtungen lehnt Pro Asyl auch aus Kostengründen ab. Diese seien teurer als Geldleistungen. Denn dafür brauche es Personal und Dienstleister, die Essen kochten, Kleidung verteilten, Einkauf und Lagerung organisierten. Viele Kommunen hätten das wieder eingestellt nach ihren schlechten Erfahrungen in den 1990er und 2000er Jahren mit unterschiedlichen Sachleistungssystemen. Grundsätzlich führten Sachleistungen zu einer unzulässigen Leistungskürzung. Denn eine staatlich organisierte Versorgung werde dem individuellen Bedarf niemals gerecht.
Flüchtlingsorganisationen halten die Kürzung von Leistungen prinzipiell für den falschen Ansatz. Pro Asyl verweist auf wissenschaftliche Untersuchungen, wonach die Ursachen für eine Flucht- oder Migrationsentscheidung weit über das Motiv Geldleistungen im Zielland hinausreichen, individuell getroffen werden und komplex sind. Demnach spielen vor allem der Aufenthaltsort von Familienangehörigen, Freunden oder der Community, die Sprache, aber auch die mutmaßlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine größere Rolle. Sozial- und asylpolitische Regelungen hingegen wirkten nur eingeschränkt.
MDR AKTUELL (ans)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 01. Oktober 2023 | 09:30 Uhr