Faktencheck Warum sich Geflüchtete nicht einfach so die Zähne neu machen lassen können
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29. September 2023, 12:06 Uhr
Friedrich Merz sorgte mit seiner Äußerung zur angeblich besseren medizinischen Versorgung Geflüchteter für Aufsehen. Er behauptete, deutsche Patienten würden keinen Arzttermin bekommen, weil sich abgelehnte Asylbewerber die Zähne neu machen ließen. Experten erteilen dem Vorwurf eine klare Absage. Ein Faktenchek.
- Abgelehnte Asylbewerber bekommen in Deutschland eine medizinische Akutversorgung.
- Einen Zahnersatz bekommt eine geflüchtete Person nur, wenn aus medizinischen Gründen kein Aufschub möglich ist.
- Dass in Deutschland derzeit die Arzttermine knapp sind, ist ein strukturelles und langjähriges Problem des Gesundheitssystems – an dem nicht Geflüchtete Schuld haben.
Die von CDU-Chef Friedrich Merz genannte Zahl kommt grob gerundet hin. Laut Innenministerium lebten Ende Juni etwas mehr als 279.000 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland. Der größte Teil davon, knapp 225.000, mit Duldung.
Abgelehnte Asylbewerber bekommen Akutversorgung
Welche Ansprüche haben sie im deutschen Gesundheitssystem? Am Anfang nur sehr eingeschränkte, erklärt der Migrationsexperte Mike Mösko: "Nämlich eigentlich nur Leistungen für die Akutversorgung. Also wenn Menschen akute Schmerzen haben, haben sie die Möglichkeit, zum Arzt oder zur Ärztin zu gehen und sich behandeln zu lassen und diese Behandlung dann abrechnen zu lassen."
Mösko ist Professor für Psychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal und leitet eine Forschungsgruppe zum Thema Migration und Gesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Kann sich also ein Asylbewerber oder eine Asylbewerberin die Zähne neu machen lassen? Der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Christoph Benz, sagt: "Nö, der kriegt auf jeden Fall, und das kann man ethisch ja nun niemandem vorenthalten, die Schmerzbehandlung, also alles das, was moderne Zahnmedizin kann. Aber der bekommt natürlich nun keinen super Zahnersatz." Das sei nur in sehr seltenen Fällen möglich. Dafür brauche es auch eine besondere Genehmigung, die bestätigt, dass spezielle medizinische Probleme hinzukommen.
Klar im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt
Geregelt ist das im Asylbewerberleistungsgesetz. Explizit steht dort, dass es Zahnersatz nur gibt, wenn dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Diese Notversorgung gilt zunächst für 18 Monate. Für einige geht sie dann noch weiter: Wer für mangelnde Kooperation sanktioniert wird, kann dadurch in die Notversorgung zurückfallen. Oder wenn noch Fragen im Asylverfahren offen sind.
Die anderen Geduldeten bekommen praktisch die gleichen Leistungen wie gesetzlich Versicherte. Aber auch hier beobachtet der Präsident der Zahnärztekammer keine große Nachfrage nach Zahnersatz. Benz sagt: "Wir haben 2015/16 die Flüchtlinge untersucht auf Mundgesundheit, und das sah gar nicht so schlecht aus." Da es vor allem jüngere Menschen seien, die nach Deutschland kommen, gehe eine Behandlung meist nicht über kleinere Eingriffe hinaus.
Expertin: Fehlende Termine sind Folge des kaputt-gesparten Gesundheitssystems
Deshalb weist der Fachmann auch den impliziten Vorwurf von Merz zurück, dass deutsche Patientinnen und Patienten wegen der Geflüchteten nicht an einen Termin kommen.
Auch Christiane Falge, Professorin für Gesundheit und Diversity an der Hochschule für Gesundheit Bochum, sagt, zwar merkten viele Menschen, dass sie schlechter Arzttermine bekommen. Aber: "Das ist ein Strukturproblem unseres Gesundheitssystems als Ergebnis zunehmender Sparmaßnahmen. Und das wird auf dem Rücken von Geflüchteten ausgetragen, die sowieso schlechteren Zugang zu Gesundheit haben."
Denn ob sie eine Gesundheitskarte – ähnlich einer Versichertenkarte – bekommen oder sich vor jedem Arztbesuch einen Schein vom Amt holen müssen, das entscheiden das Land oder die Kommune.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 29. September 2023 | 06:00 Uhr