Armutsforscher Lindners Definition von Kinderarmut ist "Taschenspielertrick"
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22. August 2023, 07:35 Uhr
Die Kinderarmut sei "bei den ursprünglich deutschen Familien, die schon länger hier sind" deutlich zurückgegangen, sagt Finanzminister Lindner und zieht einen direkten statistischen Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Zuwanderung. Einen Taschenspielertrick nennt das ein Armutsforscher, denn Lindner rechnet nur mit Bürgergeldempfängern.
Am Anfang steht der Begriff: Kinderarmut. Was bedeutet das überhaupt? Christian Lindner bezieht sich mit seiner Aussage offensichtlich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Danach liegt die Kinderarmut heute in etwa auf dem Niveau von 2015, als rund zwei Millionen Kinder auf Hartz-IV, heute Bürgergeld, angewiesen waren.
Lindners Kinderarmuts-Statistik ist "Taschenspielertrick"
Der Unterschied: Die Zahl der Kinder mit deutschem Pass ist um eine halbe Million zurückgegangen, die der ausländischen Kinder dagegen entsprechend gestiegen. Zu Lindners Argumentation sagt der Armutsforscher Christoph Butterwegge: "Das beruht im Grunde auf einem statistischen Taschenspielertrick."
Das hat damit zu tun, dass die vergangenen Bundesregierungen sehr stark versucht haben, dieses Problem durch eine Bereinigung der Statistik zu lösen.
Nur Bürgergeldbezieher einbezogen
Denn Lindner verstehe Kinder fälschlicherweise nur dann als arm, wenn die Transferleistungen beziehen, sprich: Bürgergeld. "Und tatsächlich ist der Anteil der deutschen Kinder im Bürgergeld-Bezug gesunken. Das hat damit zu tun, dass die vergangenen Bundesregierungen sehr stark versucht haben, dieses Problem durch eine Bereinigung der Statistik zu lösen."
Armutskriterien treffen auch auf Familien zu, die kein Bürgergeld beziehen
Zu nennen seien da etwa der Kinderzuschlag oder das aufgestockte Wohngeld. Dadurch seien viele Menschen aus dem Bürgergeld herausgefallen, sagt Butterwege.
"Daraus zieht er [Finanzminister Lindner (Anm. d. Red.)] den Schluss, eine halbe Million deutscher Kinder ist nicht mehr arm. Aber in Wirklichkeit sind die trotzdem natürlich noch arm, weil sie zwar als Familie ein paar Euro mehr haben als im Bürgergeld-Bezug, aber immer noch nicht so viel, dass sie aus der Armutsstatistik herausfallen."
Armutsgefährungsquote ist maßgeblich – und seit 2015 deutlich gestiegen
Diese Armutsgefährdungsquote sei maßgeblich, sagt Butterwegge. Sie zeigt, wie viele Kinder in Familien leben, denen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung stehen.
Laut Statistischem Bundesamt ist diese Quote seit 2015 deutlich gestiegen, auf inzwischen 21,6 Prozent. Dazu sagt Erik Seils, Sozialexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts, kurz WSI, der Hans-Böckler-Stiftung: "Grundsätzlich halte ich das durchaus für richtig, also, dass es tatsächlich in der Bundesrepublik einen weiteren Anstieg der Kinderarmut gegeben hat. Zwischen 2015 und sagen wir 2019, das ist richtig," sagt Seils.
Zahl der Zuwandererkinder kommt einfach dazu
"Von einer Zäsur würde ich jetzt nicht sprechen wollen", fährt er fort. "Aber es hat einen Anstieg gegeben, und der wird in der Hauptsache auf die Zuwanderung zurückzuführen sein. Bei den Deutschen dürfte sich da gar nicht so viel getan haben."
Zahlen seines Institut und der Bundesstatistiker belegen das. Danach ist es eben keineswegs so, dass der Anteil armutsgefährdeter Kinder mit deutschem Pass abnimmt. Auch bei hier geborenen Kindern mit Migrationshintergrund gibt es kaum Schwankungen. Vielmehr kommen die Kinder eingewanderter Eltern einfach dazu.
MDR AKTUELL
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 22. August 2023 | 06:18 Uhr
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