Neue Ungereimtheiten Habecks Staatssekretär Graichen verlässt Wirtschaftsministerium
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17. Mai 2023, 20:57 Uhr
Der umstrittene Staatssekretär Patrick Graichen muss seinen Posten beim Bundeswirtschaftsministerium räumen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bestätigte den Rückzug. Er verwies auf neue Ungereimtheiten und einen konkreten Verstoß. Die Union fordert unterdessen weitere Aufklärung.
- Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen verliert wegen neuer Vorwürfe seinen Posten.
- Die Union fordert weitere Untersuchungen, "Lobbycontrol" mahnt zu strengeren Regeln.
- Graichen war bereits in den vergangenen Wochen massiv in die Kritik geraten.
Der massiv in die Kritik geratene Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen muss seinen Posten räumen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bestätigte den Rückzug Graichens. Dies sei am Dienstagabend in einem gemeinsamen Gespräch entschieden worden, sagte der Grünen-Politiker in Berlin. Graichen solle in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden.
Neue Ungereimtheiten und Compliance-Verstoß
Habeck verwies auf neue Ungereimtheiten und konkret einen Verstoß gegen interne Compliance-Regeln. Dabei gehe es um eine geplante Förderung im Rahmen der nationalen Klimaschutzinitiative, bei der es eine Verbindung mit seiner Schwester gebe. Es seien zu viele Fehler gemacht worden, sagte Habeck. Ein Nachfolger für Graichen solle so schnell wie möglich gefunden werden, idealerweise noch vor der parlamentarischen Sommerpause.
Zuvor hatten das Nachrichtenmagazin "Spiegel" und die Deutsche Presse-Agentur (dpa) unter Berufung auf Regierungskreise übereinstimmend über Graichens Ausscheiden berichtet. Hintergrund sind demnach Ergebnisse weiterer interner Prüfungen.
Respekt aus Ampel-Fraktionen – Scholz betont gute Zusammenarbeit
Vertreter der Regierungsfraktionen zollten Wirtschaftsminister Habeck Respekt für die Entscheidung. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann erklärte, Transparenz und Compliance-Regeln sowie ihre Einhaltung seien etwas, das den Grünen sehr wichtig sei. Ähnlich äußerte sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. "Mit dem Schlussstrich des Ministers unter eine wochenlange Debatte über sein Haus verbinden wir die Erwartung, dass nun wieder Sachpolitik in den Mittelpunkt rückt", sagte er dem "Tagesspiegel".
Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte in Island, er habe heute vom Rückzug Graichens erfahren. "Mit Herrn Graichen selbst habe ich gut zusammengearbeitet und ich gehe davon aus, dass der Wirtschaftsminister jetzt seine Arbeit mit voller Kraft fortsetzt".
Union fordert weitere Aufklärung – "Lobbycontrol" mahnt zu strengeren Regeln
CDU-Generalsekretär Mario Czaja bezeichnete den Schritt als richtig und überfällig. Die Vorwürfe gegen Graichen würden "weitere Fragen nach den Abläufen im Wirtschaftsministerium" aufwerfen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrinth erklärte, der "Filz-Skandal" im Umfeld Habecks sei noch lange nicht aufgearbeitet – ein Untersuchungsausschuss werde "immer wahrscheinlicher".
Die Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol forderte unterdessen strengere Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten in der Politik. Der Fall zeige, dass das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesregierung insgesamt "ihre Compliance-Verfahren und ihren Umgang mit Interessenkonflikten deutlich verbessern müssen", erklärte der Lobbycontrol-Experte Timo Lange.
Kemfert sieht Wärmewende nicht gefährdet
Klima-Ökonomin Claudia Kemfert sieht die Wärmewende durch die Affäre indes nicht gefährdet. Sie sagte in "Kemferts Klima-Podcast" von MDR AKTUELL, Robert Habeck sei allerdings schon angezählt. "Das ist wirklich ein Problem." Jetzt gelte es, Ruhe in die Sache zu bringen. Beim Thema Wärmewende habe man "viele Hausaufgaben zu machen".
Kemfert erklärte, sie gehe davon aus, dass Graichens Posten mit einer "neutraleren" Person mit politischer Kompetenz besetzt wird. "Wenn Habeck da weiter agieren will, muss er stark und standhaft bleiben und das weiter durchziehen."
Kritik an Postenvergabe und Verbindungen
Graichen stand zuletzt unter anderem wegen der Vergabe eines Spitzenpostens bei der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) an seinen Trauzeugen, den früheren Berliner Grünen-Politiker Michael Schäfer, in der Kritik.
Graichen war am Vorauswahlprozess beteiligt und hatte die Beziehung zunächst nicht transparent gemacht. Inzwischen wurde ein neues Besetzungsverfahren gestartet. Später hatten er und Habeck von einem Fehler gesprochen. Nachdem Habeck zunächst an seinem Staatssekretär festgehalten hatte, erklärte er nun: "Menschen machen Fehler". Es seien hier aber zu viele passiert.
Kritisiert wurden auch Graichens familiäre Verbindungen zum Öko-Institut, das immer wieder Aufträge des Ministeriums für Gutachten und Studien bekommen hat. Seine Schwester Verena Graichen arbeitet dort und ist zudem mit Wirtschafts-Staatssekretär Michael Kellner verheiratet, ein Bruder von Graichen ist ebenfalls beim Öko-Institut tätig.
dpa/AFP/Reuters (dni)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 17. Mai 2023 | 10:00 Uhr