Integration Viele Geflüchtete von 2015 sind in Arbeit – trotzdem noch Luft nach oben

30. Juli 2023, 05:00 Uhr

Mehr als die Hälfte der Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen, sind in Lohn und Brot. Das ergab eine Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die diese Woche veröffentlicht wurde. Viele arbeiten jedoch unter dem Niveau, das ihre Tätigkeit in der Heimat hatte. Und: Es gibt einen großen Geschlechterunterschied.

Carolin Voigt, Reporterin, Redakteurin und Sprecherin
Bildrechte: MDR/Karsten Möbius

54 Prozent – so viele der Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland kamen, waren im Jahr 2021 erwerbstätig. Da kann man das Glas jetzt halb voll oder halb leer sehen.

Expertin wertet die 54 Prozent als Erfolg

Yulia Kosyakova wertet die Zahlen eher positiv. Sie leitet den Forschungsbereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am IAB – dem Arbeitsmarkt- und Berufsforschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit.

Zusammen mit drei Kollegen hat sie die Daten für den Bericht zusammengetragen. "Man muss sich erinnern, dass es um Personen geht, die vor Kriegsereignissen geflohen sind oder vor Verfolgung und Diskriminierung. Sie kommen zumeist unvorbereitet in die Zielländer. Sie haben davor nicht die Sprache gelernt. Sie konnten sich auf die Integration nicht vorbereiten. Sie haben häufig keine Dokumente dabei. Sie haben keine Netzwerke und kaum Informationen."

Hinzu kämen langwierige Asylverfahren, Beschäftigungsverbote, Wohnsitzauflagen und zuletzt die Covid-Krise. Wenn man all das berücksichtige, so Kosyakova, seien 54 Prozent nach sechs Jahren Aufenthalt ein guter Erfolg.

Starke Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Auffällig in dem Bericht: das Geschlechtergefälle. 67 Prozent der männlichen Geflüchteten von 2015 haben Arbeit, aber nur 23 Prozent der Frauen. Kosyakova sieht zwei zentrale Ursachen: Die Frauen, die kamen, hätten oft Berufe, die es bei der Anerkennung besonders schwierig haben und bei denen sehr gute Sprachkenntnisse gefordert sind– zum Beispiel als Lehrerin oder in der Gesundheitsbranche.

Hinzu kämen Betreuungsverpflichtungen zu Hause. "Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist schwierig. Nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für Migrantinnen und Migranten und die quasi deutschen Frauen. Wir haben einfach ein strukturelles Problem mit Kinderbetreuung und so weiter."

40 Prozent der Beschäftigten arbeiten unterhalb ihres Tätigkeitsniveaus

Ein weiterer Befund der Befragung: Von den 54 Prozent Beschäftigten arbeiten gut 40 Prozent unterhalb des Tätigkeitsniveaus vor ihrer Flucht. Das deckt sich mit Zahlen der Arbeitsagentur. Aus denen geht hervor, dass Geflüchtete vor allem in Wirtschaftszweigen arbeiten, für die selten hohe Qualifikationen benötigt werden. Frank Vollgold von der BA-Regionaldirektion Sachsen. "Aus den Asylherkunftsländern arbeiten die meisten Menschen im Bereich der Zeitarbeit. Denn: In der Zeitarbeit ist der Einstieg erstmal relativ leicht möglich – meist auch im Helferbereich. Darüber hinaus im Gastgewerbe, in der Logistik und natürlich im verarbeitenden Gewerbe."

Ein Hindernis für die Arbeitsmarktintegration, das immer wieder kritisiert wird: die derzeitige Verteilung der Geflüchteten. Unter anderem das DIW Berlin fordert eine sinnvollere Verteilung, bei der sowohl die Qualifikation Geflüchteter als auch regionale Arbeitsmärkte stärker in den Blick genommen werden. DIW-Experte Jan Göbel erklärt: "Eine Verteilung, die die lokale Arbeitsmarktsituation berücksichtigen würde, wäre nicht nur von Vorteil für die Erwerbschancen für die Geflüchteten, sondern auch von Vorteil für die Arbeitsmarktsituation vor Ort, sodass die Kompetenzen der Geflüchteten hier gezielter eingesetzt werden können."

Politisch bewegt sich in die Richtung allerdings noch nichts. Für die Integration in der Zukunft gibt es also noch Luft nach oben.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 30. Juli 2023 | 06:00 Uhr

Mehr aus Politik

Mehr aus Deutschland

Nachrichten

Ein Mann lächelt in die Kamera. 1 min
Bildrechte: Andreas Franke

Nachrichten

Porträt Olaf Feuerborn 1 min
Bildrechte: MDR/Engin Haupt