Getreideernte auf norddeutschen Feldern - grüner Mähdrescher vor malerischem Sonnenuntergang bei der Erntearbeit.
Ob so die Landwirtschaft von morgen aussieht, hängt auch an der Frage, wie die EU-Subventionen in Zukunft verteil werden. Bildrechte: imago images/Countrypixel

Datenanalyse EU-Agrarsubventionen: Millionen für Aldi-Töchter und Großbetriebe in Mitteldeutschland

20. Januar 2023, 05:00 Uhr

In Mitteldeutschland sind die Zahlungen aus den Agrarfördertöpfen der EU ungleicher verteilt als im Rest von Deutschland. Wie eine MDR-Datenanalyse zeigt, erhalten relativ wenige Top-Empfänger den Hauptanteil der Fördermittel - darunter auch Betriebe, die Investoren wie Aldi-Nord gehören. Die andere Hälfte der Empfänger bekommt dagegen nur zwei Prozent der Gesamtmittel.

Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) – das hört sich für viele Menschen erst einmal wahnsinnig langweilig an. Tatsächlich geht es bei der GAP aber nicht nur um wahnsinnig viel Geld, das die EU ausgibt (380 Milliarden Euro über die nächsten Jahre) – die EU-Staaten bestimmen mit der Verteilung des Geldes auch, wie sich Europa in Sachen Klimaschutz und Nahrungsmittelsicherheit für die kommenden Jahrzehnte aufstellt. Zu sehen, wer dabei von den Fördersummen profitiert und wie die Zahlungen auch in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt verteilt sind, war bisher kaum möglich.

Riesiger Datensatz analysiert

Der MDR konnte nun einen Datensatz auswerten, der seit Dezember Einblick in alle in der EU zwischen 2014 und 2021 geflossenen Agrarförderungen gibt. Die Daten wurden in den vergangenen Jahren von FragDenStaat in Kooperation mit Arena for Journalism gesammelt und im Rahmen des Farmsubsidy-Projektes veröffentlicht. Ausgewertet wurden die Daten bereits von Correctiv, NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung sowie Der Standard, Follow The Money oder der Gazeta Wyborcza.

Zum Aufklappen: Das kurze GAP-FAQ

Mit über 30 Prozent bildet die GAP das Schwergewicht des EU-Finanzrahmens. Jährlich fließen seit diesem Jahr 6,3 Milliarden Euro an deutsche Landwirtinnen und Landwirte, aber auch an Investoren und Investorinnen. Das Ziel: Die EU will zum einen Landwirtschaftsbetriebe wettbewerbsfähig halten, bezahlbare Lebensmittel sichern, aber auch den Umweltschutz fördern. Für die neue geltende Förderperiode müssen alle Mitgliedstaaten einen Nationalen Förderplan entwickeln, der genau regelt, wie die Gelder ausgezahlt werden. Die Gelder fließen dabei aus zwei Töpfen:

  1. In der mit gut 5 Milliarden Euro pro Jahr größeren ersten Säule, dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL), stecken in erster Linie Direktzahlungen, die pro Hektar Agrarland gewährt werden. Dabei handelt es sich vorwiegend um eine Einkommensgrundstützung - sprich Geld, das die Betriebe zum finanziellen Überleben bekommen. Hinzu kommen noch Zahlungen für Junglandwirte und eine Umverteilungsprämie für kleinere und mittlere Betriebe. Wirklich neu in der seit Januar geltenden Förderperiode sind die 23 Prozent Ökoregelungen: Hier können Landwirtinnen und Landwirte jährlich eine von sieben Option auswählen, um ihren Betrieb nachhaltiger zu gestalten - beispielsweise durch Agroforstsysteme.
  2. Die zweite Säule bildet der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Er umfasst vor allem Fördergelder für den Umwelt- und Klimaschutz, sowie für die Co-Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen wie den Hochwasserschutz. Jährlich fließt damit in den kommenden Jahren gut eine Milliarde Euro pro Jahr nach Deutschland. Konkret soll der ländliche Raum entwickelt und die biologische Vielfalt gesichert werden.

Löwenanteil bei den Großen

Die Datenanalyse des MDR zeigt, dass die Verteilung der EU-Agrarfördergelder in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen noch ungleicher als im Rest Deutschlands ist. Wenige Top-Empfänger in Form von großen Betrieben und öffentlichen Einrichtungen erhalten den Hauptanteil der Mittel – einzelne Landwirtinnen und Landwirte immer weniger. Die oberen zehn Prozent bekamen in Mitteldeutschland satte 73 Prozent aller Mittel. Auf ganz Deutschland gerechnet waren es lediglich 58 Prozent der Gelder. 

Vor allem fällt auf: Auf die untere Hälfte der Empfänger entfallen in Mitteldeutschland nur zwei Prozent aller Förderungen. Auf ganz Deutschland gerechnet sind es immerhin fünf Prozent. Und zum Vergleich: Auf ganz Europa gerechnet fallen die Unterschiede noch deutlicher aus, wie "Der Standard" berechnet hat. Hier bekommen die oberen 50 Prozent rund 99 Prozent aller Subventionen.

Hinweis: Die Berechnung unterscheidet nicht, ob ein Betrieb oder eine öffentliche Einrichtung Geld aus dem Topf für Direktzahlungen (EGFL) oder dem Fonds für ländliche Entwicklung (ELER) empfangen hat.

Mitteldeutsche Empfänger bekommen im Schnitt relativ viel

Insgesamt flossen zwischen 2014 und 2021 rund 53,2 Milliarden Euro von der EU nach Deutschland. Nach absoluten Zahlen lagen die drei mitteldeutschen Länder im Mittelfeld der Bundesländer. Betrachtet man die durchschnittliche Fördersumme für Empfänger, landet Sachsen-Anhalt an zweiter Stelle (gut 22.000 Euro), Sachsen an vierter (gut 21.000 Euro) und Thüringen an sechster Stelle (knapp 15.000 Euro). Schlusslicht ist übrigens Bayern, wo im Schnitt nur gut zweieinhalb Tausend Euro gezahlt werden.

Historisch lässt sich das vorwiegend mit der Agrarstruktur erklären, da in der Nachwendezeit viele Betriebsleiterinnen und -leiter entschieden, die DDR-LPG einfach in moderne Agrargenossenschaften umzuwandeln. Deshalb ist die Agrarstruktur in Mittel- und Ostdeutschland auch heute noch sehr groß und die Betriebe sind im Schnitt viel größer als in den Alten Bundesländern. Und da die Direktzahlungen vorwiegend an die Fläche gebunden sind, dürfte das ein wichtiger Faktor für die höheren Summen in Mitteldeutschland sein.

Die Grafik zeigt, wie viel Subventionen Empfänger im Schnitt pro jeweiligen Landkreis erhalten haben. Vor allem in den südthüringischen Kreisen wird im Schnitt weniger ausgezahlt als in den meisten Teilen in Sachsen-Anhalt und Sachsen. Große Städte - allen voran die kreisfreie Stadt Magdeburg - scheinen auf den ersten Blick große Summen zu beziehen. Dort sitzen jedoch auch in der Regel öffentliche Institutionen wie Landesämter oder Ministerien, die beträchtliche Mittel aus dem Topf für ländliche Entwicklung (ELER) erhalten (siehe unten).

Das Recherchezentrum Correctiv hat in seiner Auswertung der Daten eine Liste der größten 100 deutschen Empfänger aufgestellt. Insgesamt finden sich darunter 43 öffentliche, aber auch private Empfänger. Mitteldeutschland ist also gut vertreten. Der MDR hat zu drei Beispielen recherchiert, um zu erklären, wofür das EU-Geld verwendet wird:

Beispiel 1: Absolute Nummer 1 kommt aus Sachsen-Anhalt

Mit fast 100 Millionen ausgezahlten Euro an EU-Subventionen kommt die Nummer eins unter den deutschen Leistungsempfängern aus Sachsen-Anhalt: Der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) bezog diese Gelder komplett aus der zweiten Säule der GAP – dem ELER-Topf. "Sachsen-Anhalt war in der jüngeren Vergangenheit mehrfach von extremen Hochwassern betroffen, die für massive Schäden und viel Leid bei Anwohnern gesorgt haben", wie das übergeordnete Umweltministerium auf Anfrage schreibt.

Nach den Jahrhunderthochwassern 2002 und 2013 seien mit den EU-Geldern mehr als 100 Hochwasserschutzvorhaben umgesetzt worden. Sachsen-Anhalt nutzt den Angaben nach die Förderung, um Deiche zurückzuverlegen oder bestehende Fehler in den Deichen zu stopfen. Neben den Geldern aus der GAP gibt es für den Hochwasserschutz auch noch andere Geldtöpfe. Warum Sachsen-Anhalt für den Hochwasserschutz dabei auffallend mehr Fördergelder aus dem ELER-Topf beantragte als andere Bundesländer wie beispielsweise Sachsen, konnte das Umweltministerium in Magdeburg nicht richtig nachvollziehen: "Jedes Bundesland hat seine eigene Strategie, welche Mittel für die Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen zum Einsatz kommen." Insgesamt will Sachsen-Anhalt bis 2027 weitere 657 Millionen Euro in einen "nachhaltigen" Hochwasserschutz investieren.

Darüber hinaus finden sich unter den TOP 100-Empfängern allein fünf Landkreise aus Sachsen-Anhalt. Beispielsweise wurden im Landkreis Stendal Projekte im Rahmen von über 12 Millionen Euro aus dem ELER-Topf zwischen 2014 und 2021 umgesetzt. Das Landwirtschaftsministerium begründet das damit, dass Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern "viele investive Maßnahmen gefördert hat, mit denen der ländliche Raum gefördert wird." So habe beispielsweise auch der Breitbandausbau einen "hohen Stellenwert".

Beispiel 2: Aldi-Nords Investitionsobjekt unter den TOP-100

Auch unter den Top-100 der deutschen Subventionsempfänger – genauer: auf Platz 86 – ist die Aschara Landwirtschaftsgesellschaft mbh. Sie erhielt in den Jahren 2020 und 2021 allein über zwei Millionen Euro aus der ersten Säule der EU-Subventionen. Der private Betrieb ist insofern interessant, als dass er zeigt, wie Betriebe profitieren, die mehrheitlich außerlandwirtschaftlichen Investoren gehören:

Einem Recherchepapier der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) zufolge handelt es sich bei der Aschara Landwirtschaftsgesellschaft mbh um einen Tochterbetrieb der ADIB Agrargesellschaft. Der Fall ADIB hatte vor wenigen Jahren für Schlagzeilen gesorgt, als die Besitzerfamilie des ehemaligen Bauernverbandspräsidenten Klaus Kliem das Unternehmen an eine private Stiftung des Aldi-Nord-Konzerns verkauft hatte.

Das Gesellschafter-Geflecht von Aldi-Nord ist komplex: Nach den Recherchen der AbL besitzt der Konzern über seine Lukas-Stiftung und weitere Tochtergesellschaften in Mitteldeutschland insgesamt sieben Landwirtschaftsbetriebe. Die Tatsache, dass sich außerlandwirtschaftliche Unternehmen und Investoren in Ostdeutschland mittels solcher Anteilskäufe den Zugang zu Ackerland sichern, ist nicht neu.

Mittels der Daten von Farmsubsidy lässt sich nun aber ablesen, dass die sieben zu Aldi-Nord gehörenden Betriebe in den Jahren 2020 und 2021 immerhin rund 5,9 Millionen Euro an EU-Subventionen erhalten haben.

Zum Aufklappen: Thüringen ringt um ein Agrarstrukturgesetz

Ob in Zukunft außerlandwirtschaftlichen Investoren der Zugang zum Bodenmarkt erschwert wird oder nicht, hängt vor allem von den Bundesländern ab. Seit Jahren wird in Thüringen beispielsweise um ein Agrarstrukturgesetz gerungen, das den Bodenmarkt ein Stück weit regulieren und transparenter machen könnte. Derzeit befindet sich ein Entwurf des Landwirtschaftsministeriums nach eigenen Angaben in Ressortabstimmungen. Ob daraus ein Gesetz entsteht, bleibt aber wegen unterschiedlichster Interessen und rechtlichen Hürden fraglich.

Beispiel 3: Ministerien erhalten Millionen für Verwaltungskosten

Relativ viel EU-Geld floss allerdings auch in Ministerien verschiedener Landesregierungen. Das Sächsische Umwelt- und Landwirtschaftsministerium (SMEKUL) und das Thüringer Landwirtschaftsministerium (TMIL) erhielten jeweils gut 25 Millionen Euro an ELER-Fördermitteln und landeten unter den Top-100-Empfängern auf Platz 15 und 16.

Auf MDR-Anfrage teilten die Ministerien mit, dass die Subventionen vor allem im Rahmen der "Technischen Hilfe" ausgegeben wurden. Soll heißen: Die Bundesländer finanzieren mit der Summe Personal- oder IT-Kosten, um die ELER-Mittel überhaupt umsetzen zu können.

Thüringen begründet seinen relativ hohen Rang unter den Top-100 damit, dass mit den Subventionen auch die sogenannte Flurbereinigung finanziert wurde – wenn also ländliche Grundstücksflächen neugeordnet oder zusammengefasst werden. Andere Bundesländer, so das Ministerium, hätten dafür andere Finanzierungsquellen, und nicht die ELER-Mittel.

Fazit: Das sagen die Daten aus

Private und öffentliche mitteldeutsche Empfänger finden sich verstärkt unter den Top-Empfängern europäischer Agrarsubventionen. Zudem fließt im bundesweiten Vergleich mehr Geld an relativ wenige Empfänger. 

Mit Blick auf die großen, öffentlichen Empfänger dürfte das an den Bemühungen beispielsweise von Ministerien liegen, verstärkt in den ländlichen Raum zu investieren. 

Mit Blick auf die privaten Empfänger lässt sich die Dominanz der großen Betriebe mit den Direktzahlungen der ersten Säule erklären: Da die Betriebe in Ostdeutschland historisch erwachsen oft deutlich größer sind und die Zahlungen an die Fläche gebunden sind, fließt hierhin auch das meiste Geld. 

Kritik: Schwaches Lob für neue GAP-Politik aus Mitteldeutschland

In Mitteldeutschland löst der ab Januar geltende neue Strategieplan für die Auszahlung der EU-Fördermittel unterschiedliche Reaktionen aus. Darin sind eben auch die neuen Öko-Regelungen in der ersten GAP-Säule mit immerhin ungefähr 1,4 Milliarden jährlich enthalten. Während die AbL die Öko-Regelungen als "ersten zaghaften Schritt in die richtige Richtung" lobt, kritisieren die Bauernverbände, dass dadurch Gelder für die Einkommensstützung fehle.

Ob der neue Strategieplan zur GAP dazu führt, ökologische Landwirtschaft zu fördern, soll in Deutschland laut Koalitionsvertrag zur Mitte der Legislaturperiode überprüft werden. Für die darauffolgende Förderperiode ab 2027 will die Bundesregierung dann ein Konzept vorlegen, mit dem Betriebe nicht mehr Direktzahlungen für die reine Fläche der Betriebe bekommen – sondern danach, was sie an Klima- und Umweltleistungen umsetzen.

Mitarbeit an diesem Artikel: Simon Wörpel und Konrad Herrmann
Mit Unterstützung von: FragDenStaat und dem Lokalnetzwerk von Correctiv.

Hinweis: Grundlage der Recherche ist die Datenbank Farmsubsidies, für die FragDenStaat in Kooperation mit Arena for Journalism europaweit Daten gesammelt hat. CORRECTIV.Lokal ist ein Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. Es ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden finanziert.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 20. Januar 2023 | 14:00 Uhr

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