TikTok Faktencheck Identitätsfeststellung in Deutschland – Nur mit Schülerausweis zum Visum?
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20. August 2024, 12:42 Uhr
Der Tiktoker Deniz Karabag behauptet, Impfpässe und Schülerausweise würden als Identitätsnachweise zur Einreise nach Deutschland ausreichen. Eine "neue Verwaltungsvorschrift" würde Behörden anweisen, die Visavergabe nicht nur von amtlichen Dokumenten abhängig zu machen. Das Auswärtige Amt und ein Anwalt für Migrationsrecht ordnen die verzerrte Behauptung des Tiktokers ein.
- Eine vermeintlich neue Vorschrift aus Berlin empört "Deniz Kontrovers" bei Tiktok. Sein Video sammelt tausende Views, Likes und Kommentare.
- Das Auswärtige Amt dementiert die Behauptung, dass ein Schülerausweis für einen Identifikationsnachweis bei Visumsanträgen ausreichen würde.
- Auf die angesprochenen Fehler in seinem Video reagiert der Tiktoker zunächst nicht. Der Account wurde mittlerweile gelöscht.
Deniz Kontrovers, wie sich Deniz Karabag nennt, ist für seine mitunter hunderttausendfach geklickten Videos bekannt. Er betreibt bei Youtube, Instagram und Tiktok Social-Media-Kanäle. Bei Tiktok folgten ihm Anfang August mehr als 260.000 Accounts.
Er beschreibt sich selbst als "Politik-Kritiker" und ist nach eigenen Angaben ehemaliger Bundeswehr-Fallschirmjäger und laut seinem LinkedIn-Profil von Oktober 2022 bis März 2023 Korrespondent beim russischen Staatssender "RT Deutsch". RT Deutsch ist mittlerweile in Deutschland verboten.
Tiktoker: "Skandal im Außenministerium"
In einem seiner Tiktok-Videos berichtet er von einem "Skandal im Außenministerium". Er beruft sich dabei auf einen Artikel des FOCUS, dass Schülerausweise oder Impfausweise als Identifikationsnachweis ausreichen würden.
Das Auswärtige Amt schreibt dazu auf MDR AKTUELL-Anfrage: "Der Nachweis der Identität erfolgt grundsätzlich durch geeignete öffentliche Urkunden. Sollten diese jedoch nicht vorliegen, müssen andere Beweismittel herangezogen werden, um die Voraussetzungen für das Visum prüfen zu können. Diese anderen Beweismittel stellen die alternative Glaubhaftmachung dar."
Gründe, warum eine "alternative Glaubhaftmachung" notwendig ist, kann zum Beispiel der Umstand sein, dass "der Herkunftstaat keinen Pass ausstellt, wie es zeitweilig in Afghanistan war, oder weil die Beschaffung eines Reisepasses unzumutbar ist, wegen drohender politischer Verfolgung oder drohender Menschenrechtsverletzungen", schreibt Rolf Stahmann, ein erfahrener Anwalt für Migrationsrecht aus Berlin.
Anwalt für Migrationsrecht: "Alleine mit Schülerausweis erhält niemand ein Visum"
Stahmann erklärt weiter: "Die Erteilung von Visa hat je nach beabsichtigtem Aufenthaltszweck verschiedene, zum Teil sehr viele Voraussetzungen. Zwei dieser vielen Voraussetzungen sind die Klärung der Identität und die Passpflicht." Hier könne die alternative Glaubhaftmachung Menschen helfen, die keine Dokumente in ihren Herkunftsländern bekommen können.
Der Anwalt aus Berlin betont: "Alleine mit einem Schülerausweis oder Impfausweis erhält niemand ein Visum, denn die übrigen Visumsvoraussetzungen müssen ebenfalls vorliegen. Im Falle von Personen aus Afghanistan müssen die Aufnahmevoraussetzungen nach der Bundesaufnahmeregelung erfüllt sein, in diesem Fall eine Gefährdung durch Taliban."
Unter Umständen gibt es also die Möglichkeit, mit anderen Papieren, zum Beispiel dem Schülerausweis, einen Identifikationsnachweis als alternative Glaubhaftmachung für ein Visum nach Deutschland einzubringen. Aber: Immer nur im Einklang und der Plausibilität weiterer Dokumente. Das bestätigt eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes: "Ein Schülerausweis oder Impfpass sind für einen Identitätsnachweis nicht ausreichend."
Alternative Glaubhaftmachung
Sollte ein Antragsteller oder eine Antragstellerin keine geeigneten öffentlichen Urkunden vorlegen können, mit denen er beispielsweise seine Identität, seine Staatsangehörigkeit oder seine Eheschließung nachweisen kann, dann hat er oder sie die Möglichkeit diese Tatsachen durch andere Dokumente vorzulegen.
Dies erfolgt in einer abgestuften Reihenfolge: Nach den öffentlichen Urkunden sind weitere amtliche Dokumente vorzulegen, bei denen die Identitätsprüfung erfolgte. Im letzten Schritt kann auf Kosten des Antragstellers auch ein DNA-Gutachten durchgeführt werden. Am Ende ergibt sich aus allen vorgelegten Unterlagen ein Gesamtbild, dass zum Ergebnis einer Prüfung führt.
Da die alternative Glaubhaftmachung in der Rechtsprechung verankert ist, ist es auch entsprechend anzuwenden. Die Anwendung ist nicht neu geschaffen worden – seit Längerem ist es Praxis, dass weitere Unterlagen oder auch Zeugenaussagen zur Klärung von Tatbeständen herbeigezogen werden.
Auf das Prinzip der alternativen Glaubhaftmachung wird insbesondere in Ländern zurückgegriffen, in denen das Urkundenwesen unzuverlässig ist.
Quelle: Auswärtiges Amt
Anweisung "von oben"?
Deniz Karabag skandalisiert das Vorgehen als "Anweisungen von ganz oben". Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts sagt dazu: "Unser Visumhandbuch wird regelmäßig aktualisiert. Im Zuge der Aktualisierung angepasste Artikel werden dann an die Visastellen verschickt, um auf die Neuerungen aufmerksam zu machen."
Eine Neuerung sei die alternative Glaubhaftmachung definitiv nicht: "Die Anwendung ist nicht neu geschaffen worden. Seit Längerem ist es Praxis, dass weitere Unterlagen oder auch Zeugenaussagen zur Klärung von Tatbeständen herbeigezogen werden. Auf das Prinzip der alternativen Glaubhaftmachung wird insbesondere in Ländern zurückgegriffen, in denen das Urkundenwesen unzuverlässig ist", schreibt das Auswärtige Amt.
Das bestätigt Rolf Stahmann und verweist auf ein Gerichtsurteil vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vom 23. September 2020. Bei diesem Fall ging es um die Einbürgerung einer chinesischen Staatsangehörigen tibetischer Volkszugehörigkeit, die keinen Identifikationsnachweis hatte.
Account gesperrt und Video nicht mehr aufrufbar
Angesprochen auf die Fehler im Video reagiert Karabag zunächst nicht. Das Video ist einige Tage später allerdings nicht mehr aufrufbar und der Account wird nicht mehr angezeigt.
Tiktok habe "ohne Begründung das Konto von 'Deniz Kontrovers' gesperrt". Das gibt er am 15. August 2024 von einem neu aufgesetzten Kanal aus mit einem Video bekannt. In einem weiteren Video sagt er, er habe deshalb Klage gegen Tiktok eingereicht.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 15. Juli 2024 | 15:00 Uhr
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